Olympische Spiele in Tokio 2020: Das Märchen von den Gratisspielen
Die Olympischen Spiele von Tokio sollen die Steuerzahler nichts kosten. Doch trotz Rekorderlösen durch dubiose Sponsoren geht die Rechnung nicht auf.
In Japans Hauptstadt stellt man dieses Jahr Rekorde auf. Wenn im Sommer die Olympischen Spiele 2020 nach Tokio kommen, werden Höchstleistungen aber nicht erst in den Sportarenen zu finden sein. Schon jetzt, bevor alle Spielstätten und das Olympische Dorf überhaupt fertig sind, wollen die Organisatoren neue Standards setzen. „Wir denken weiterhin, dass für die Spiele kein Steuergeld verwendet wird“, hat der Sprecher des Organisationskomitees Masa Takaya schon mehrmals erklärt. „Die werden über Sponsoren finanziert.“
Es ist eine Ansage, die eine Sensation erwarten lassen müsste. Schließlich wurden die Olympischen Spiele über die vergangenen Jahrzehnte immer kostspieliger und für die Städte, in denen sie stattfanden, im Nachhinein meist zu einem teuren Spaß. Die Organisatoren von Tokio aber haben seit dem Zuschlag für das Austragungsrecht im Herbst 2013 immer wieder versprochen, dass man es anders machen werde. Tokio 2020, das werden nachhaltige Spiele, nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell.
Was nun tatsächlich ein Rekord ist: Die Organisatoren haben die einmalige Summe von umgerechnet gut 3 Milliarden US-Dollar durch private Sponsoren eingenommen. Nie zuvor wurden bei Olympischen Spielen auch nur annähernd so hohe Werbeerlöse erzielt. Nicht einmal die Spiele 2008 in Peking, bei denen die chinesische Regierung Zugriff auf diverse potente Staatsunternehmen hatte, reichten an dieses Niveau heran. Und auch 2012 in London, wo immerhin das geballte Finanzkapital sitzt, gaben Sponsoren nur ein Drittel dessen ab, was nun in Japan lockergemacht wurde.
Für das Internationale Olympische Komitee (IOC) sind dies hervorragende Nachrichten. „Das ist eine unglaubliche Summe“, hat der Chef der IOC-Koordinierungskommission John Coates über die Sponsoreneinnahmen gejubelt. Denn wegen der immer wieder ausufernden Kosten hat sich vor allem in demokratischen Ländern die Meinung verbreitet, von Olympischen Spielen profitierten neben dem IOC nur noch amtierende Regierungschefs, deren Gesichter dann im Scheinwerferlicht glänzten, sowie die werbenden Unternehmen. Die Gesellschaft müsse nach zwei Wochen Sportparty für die Rechnung aufkommen.
Hochverschuldeter japanischer Staat
Nicht zuletzt aufgrund dieser Annahme lehnten in den vergangenen Jahren Bürgerentscheide in Wien, Hamburg, München, Innsbruck, Calgary oder Sion eine Bewerbung um das olympische Austragungsrecht ab. Über das Fortbestehen Olympischer Spiele ist sich das IOC zuletzt offenbar derart unsicher geworden, dass es 2017 erstmals zwei aufeinander folgende Spiele am selben Tag vergab. Paris und Los Angeles hatten eigentlich gegeneinander um 2024 konkurriert. Nun aber ist Paris 2024 an der Reihe und Los Angeles 2028. Denn unsicher erschien es, ob sich zu einem späteren Zeitpunkt noch ein neuer Bewerber gefunden hätte.
Anhand des Beispiels von Tokio soll gezeigt werden, dass es doch möglich ist, die größte Sportveranstaltung der Welt finanziell seriös zu planen. So eine Botschaft ist nicht nur für potenzielle Bewerber, sondern auch in Japan selbst nötig. Der japanische Staat ist mit rund 230 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, anteilig also deutlich höher als die in Europa berüchtigten Großschuldner Griechenland und Italien. Und auch wenn Japan im Gegensatz zu den EU-Ländern seine eigene Notenbank hat, also unbegrenzt eigenes Geld drucken kann, werden die ausufernden Schulden auf irgendeine Weise von zukünftigen Generationen beglichen werden müssen.
Für allzu extravagante Olympische Spiele fehlt in Japan eigentlich das Geld. Um deshalb möglichst viele Sponsoren anzuwerben, haben die Organisatoren mit einer Gewohnheit voriger Spiele gebrochen, nach der es pro Wirtschaftsbranche immer nur einen Sponsor gibt. Weil die Spiele in Japan als patriotisches Anliegen gelten, die nicht zuletzt das Wiederauferstehen nach der Tsunami- und Atomkatastrophe von Fukushima 2011 symbolisieren sollen, machen nun Erzrivalen gemeinsame Sache. Olympische Spiele in Japan, heißt es, dürfe sich kein einheimischer Betrieb von Rang entgehen lassen.
So zählen nicht nur die beiden großen Fluglinien Japan Airlines und All Nippon Airways zu den Sponsoren, sondern auch die zwei Sanitäranlagenhersteller Toto und Lixil, die Großbanken Sumitomo Mitsui und Mizuho, die Bahnanbieter Tokyo Metro und Japan Rail sowie die Bauunternehmen Daiwa House und Mitsui Fudosan. Die Liste von direkten Konkurrenten, die nun zusammen auftreten, ließe sich fortsetzen. Jeweils bis zu 100 Millionen US-Dollar haben die 65 japanischen Unternehmen gezahlt, um bis zum Sommer ihre Produkte mit dem olympischen Banner bewerben zu dürfen.
Ausgeklammerte Kosten
Doch so beeindruckend die Tokioter Fundraisingaktivitäten auch sind: Für die Erzählung der Olympischen Spiele zum Nulltarif für die Steuerzahler reichen sie wohl nicht annähernd aus. Die 3 Milliarden US-Dollar machen rund die Hälfte jener Kosten aus, die während der Wettbewerbe anfallen, also Ausgaben für Strom, Catering, Sicherheit und Transport. Die andere Hälfte kommt von den IOC-Exklusivsponsoren sowie Einnahmen aus Ticketing und Merchandising.
Ausgeklammert haben die Veranstalter aber all jene Kosten, die schon vorher entstehen, nämlich Ausgaben für sämtliche Bauprojekte vom Olympiastadion über die Schwimmhalle bis zum olympischen Dorf. Diese Kosten machen laut Plan noch einmal mehr als 6 Milliarden US-Dollar aus und werden durch Steuermittel finanziert. Eine von der Metropolregierung Tokio eingesetzte Budgetkommission hat zudem errechnet, dass die Kosten vermutlich in etwa doppelt so hoch liegen könnten.
Doch nicht nur an dieser Stelle hinkt die Tokioter Story von den günstigen Olympischen Spielen. Auch die vielzitierten olympischen Werte sind nicht überall wiederzuerkennen. Die IOC-Charta spricht schon in Absatz 1 vom „erzieherischen Wert des guten Beispiels“ und der „Achtung universell gültiger Prinzipien.“ Bei der Suche nach zahlungsbereiten Partnern scheint das Tokioter Bewerbungskomitee teilweise beide Augen zugedrückt zu haben. Schließlich fielen mehrere Sponsoren zuletzt durch Vorfälle auf, die sich mit diesen Idealen kaum vertrugen.
So kam im Herbst 2013, als Tokio gerade das olympisches Austragungsrecht zugesprochen war, über die zwei Großbanken Sumitomo Mitsui und Mizuho heraus, dass sie vermehrt Kredite an Yakuza-Gruppen vergeben hatten, also das japanische organisierte Verbrechen. Für den Status als Olympia-Partner war dies ebenso wenig nachteilig wie eine Betrugsaffäre Ende 2018 beim Elektronikhersteller Mitsubishi Electric, der bei Qualitätschecks Daten gefälscht hatte.
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Ebenso im vorletzten Jahr flog auf, dass der Transport- und Lieferungskonzern Yamato in Rechnungen für Tausende Kunden Beträge angesetzt hatte, die höher als vereinbart waren, wodurch diese um insgesamt 15,3 Millionen US-Dollar geprellt wurden. Anfang 2019 geriet dann der Nudelhersteller Nissin, Sponsor der einst Weltranglistenersten im Tennis, Naomi Osaka, in die Kritik. Für einen animierten Werbespot hatte Nissin die dunkelhäutige Osaka hellhäutig aussehen lassen. Erst nach Vorwürfen von Whitewashing und Rassismus zog Nissin den Spot zurück.
Die olympischen Organisatoren haben sich zu diesen Vorfällen bislang nicht geäußert. Auf die Frage, ob man jemals einen Sponsor verschmäht habe, weil er zu den olympischen Werten nicht so gut passe, antwortet Sprecher Masa Takaya nach Zögern nur: „Dazu kann ich nichts sagen.“ Sollte Tokios kaum wählerische Sponsorenakquise Schule machen, so dürften sich bei künftigen Auflagen Olympischer Spiele immer mehr fragwürdige Betriebe mit dem positiven Image des Sports schmücken.
Das IOC scheint sich daran, dass die eigenen Prinzipien offenbar nicht so ernst genommen werden, kaum zu stören. John Coates, der Chef der Planungskommission, freut sich stattdessen über die „tolle Unterstützung.“
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