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Das ist unser Spukhaus!

Am Tag, als Rio Reiser 70 geworden wäre, besetzen Schauspieler*innen des Theaters Bremerhaven ein Haus – als Werbung für die anstehende Premiere ihres Rio-Reiser-Stücks

Das Bremerhavener Theater-„Rauch-Haus“ befindet sich im Szeneviertel „Alte Bürger“ Foto: Kristin Päckert

Von Jan-Paul Koopmann

Wie schön das Leben ohne Polizei wäre, „Ach!“, hat Rio Reiser 1972 im „Rauch-Haus-Song“ gefragt. Dass die Zeiten sich geändert haben, ist schon daran zu merken, dass der erste Szenenapplaus auf der Bremerhavener Demo zu Reisers 70. Geburtstag ausgerechnet einem Polizisten gilt. Nicht ganz zu Unrecht allerdings: Der war immer ganz allein, zutiefst entspannt und hat den Demozug souverän über sämtliche Fußgängerampeln ans Ziel gelotst – damit die anstehende Hausbesetzung auch ohne Zwischenfälle über die Bühne geht.

Natürlich war der zivile Ungehorsam abgesprochen und der Fahrplan wasserdicht eingetütet. Es ist ja Kunst, so was wie die Einweihung einer temporären Außenspielstätte des Bremerhavener Theaters – und vor allem PR für die im Februar anstehende Uraufführung: „Rio Reiser“ gibt es dann nämlich: „Wer, wenn nicht wir?“ Dafür wollten Schauspieler*innen und Publikum aufmarschieren, laut Einladung im alten Parka und mit Palituch.

Von denen waren an den Hälsen der immerhin rund 100 Demonstrant*innen dann allerdings nur sehr vereinzelt welche zu sehen. Am Wetter dürfte es nicht gelegen haben – kalt genug war es ja –, sondern daran, dass sich auch die sonst ausgesprochen traditionsbewusste Linke in den vergangenen 30 Jahren ein wenig weiterentwickelt hat. Hausbesetzungen gibt es noch, die Palitücher sind hingegen erfreulich selten geworden. Und da reiben sich offensichtlich doch die Fronten auch noch so nostalgisch eingefärbter Symbolpolitik.

Ansonsten blitzt durchaus Freude am Reenactment auf: Ob da nun einigermaßen textsicher das Einheitsfrontlied intoniert wird oder hier und da „die internationale Solidarität“ hochlebt. Wirklich Schwung kommt allerdings erst in die Sache, als am Ziel das gemeinschaftliche Singen für die Liveschaltung des Lokalfernsehens eingeübt wird: der „Rauch-Haus-Song“, versteht sich.

Das Bremerhavener Rauch-Haus liegt im nördlichen Teil der Bürgermeister-Schmidt-Straße, dem hier als „Alte Bürger“ bekannten alternativen Szeneviertel. Auf den Fensterbänken des Hauses mit der Nummer 218 hängen Transparente, die ehemalige Pizzeria im Erdgeschoss ist als kleiner Veranstaltungsraum erschlossen, mit dezenten Stockflecken und klobigen Sofas.

Apropos Muff: auch wenn hier irgendjemand Mutiges Patschuli aufgetragen hat, was sich mit den vertrauten Parfums und Rasierwassern des bürgerlichen Theaterpublikums mischt. An der Theke reihen sich die angezapften Biere zunächst eine ganze Weile vergeblich aneinander: Man trinkt Weißwein. Und während an der Kasse noch darüber gegrübelt wird, dass man den „Solibeitrag“ stimmiger doch in D-Mark hätte ausweisen sollen, ziehen von draußen die ersten Graswölkchen herein, weil der verdienstvolle Polizist dann doch irgendwann im wohlverdienten Feierabend verschwindet. Also doch ein bisschen wie früher – hellsichtig hatte jemand groß „Museum“ an die Wand über der Bar geschrieben.

Die Theaterband hat den Scherben-Ton dann auch ausgesprochen gut getroffen, obwohl, oder vielleicht auch weil man gerade mal drei Tage geprobt hatte: „Wir müssen hier raus“, „Keine Macht für niemand“ – Sie wissen schon. Zwischendurch gibt es immer wieder Teach-ins, wenn auch mit der tragikomischen Wende, dass heute statt internationaler Kapitalschweinereien vor allem die Geschichte der nachkriegsdeutschen Linken nacherzählt wird: Studentenunruhen, Antiimperialismus, „Ho-Ho-Ho“ und „Ho-Chi-Minh!“

Dass Rio Reiser und die Scherben diesem ganzen Betrieb damals auch nicht so ganz widerspruchslos aufgesessen waren, hatte Dramaturg Peter Hilton Fliegel bereits vorab übers Megafon aus dem Fenster des Hauses in Erinnerung gerufen: „Hoch die Internationale, Kinderschokolade!“ Und spätestens da wird es dann doch ein wenig gespenstisch.

Denn klar, hatte der Spontispruch der Scherben jene studentischen Revoluzzer vergrätzt, die es schließlich todernst meinten mit ihrem internationalen Kampf. Heute klingt es nach einer Blödelei, die man deshalb erklären muss, weil auch die echten Parolen kaum noch wem ohne ausdrücklich gesetzte Ironiemarker über die Lippen gehen. Vielleicht ist das sogar der entscheidende Punkt: Nicht der Kampf um Wohn- und Schutzräume, nicht Armut und Gewalt und schon gar nicht die Ausbeutung sind vom Tisch – sondern die historische Linke, die dagegen antrat.

Auch diese Besetzung will ja mehr als nur Theater bewerben: Ausdrücklich will man auch zur Wohnungsnot Stellung nehmen und zum dramatischen Verschwinden unkommerziellen öffentlichen Raums. Nur geht das in seiner Komplexität eben leicht unter in der nostalgischen Sause. Es ist dann doch ein 70. Geburtstag, den Rio Reiser, wie man hier hofft, von seiner Wolke aus besichtigt.

Ein paar, die früher schon dabei waren, tauschen sich über die Kämpfe von damals aus. Über Hausbesetzungen um die Ecke und über den Bodenfrost in Gorleben

Der Musiker ist auch nicht das einzige Gespenst in der Pizzeria. Deutlich leiser als Che Guevara und Rudi Dutschke, von denen hier immer wieder die Rede ist, meldet sich im Subtext der Anfang 2017 verstorbene Kulturtheoretiker Mark Fisher zu Wort. Seine von Jacques Derrida entliehenen „Hauntology“ ist jedenfalls das vielversprechendste Instrument, die Bremerhavener Beklemmung zumindest sprachlich in den Griff zu bekommen.

Mit Fisher könnte man sagen, dass dieses Nachspielen der Vergangenheit eben auch die Erinnerung an eine ausgebliebene Zukunft beinhaltet. Und je inbrünstiger und authentischer die gespielte Agitation von der Bühne ausfällt, umso drängender wird der Haken an der Sache: dass es damals eben kein Spiel war. Und dass es auch hätte klappen können.

Ein paar, die früher schon dabei waren, ziehen sich bald aus dem Gedränge zurück und tauschen sich auf dem Bürgersteig über die Kämpfe von damals aus. Über Hausbesetzungen um die Ecke und über den Bodenfrost in Gorleben. Tatsächlich wie eine Erscheinung wirkt daneben der junge Mensch am Fenster, der da über die Revoltengeschichten staunt und beim Mitsingen „Der Traum ist aus“ vom Blatt abliest. Wirklich wahr!

Und plötzlich scheinen Rio Reiser und die Revolution sehr viel weiter weg als nur auf dieser Wolke. Vielleicht auch gerade, weil hier äußerlich alles wie die Faust aufs Auge passt.

„Rio Reiser – Wer, wenn nicht wir?“: weitere Veranstaltungen in der „Alten Bürger“ 218 am 24. 1. und 5. 2.; Premiere des Stückes: Sa, 15. 2., 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven

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