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einmal taz – immer taz

Auf der Kleinanzeigenseite „Wiese“ wurde früher gesucht und gefunden, verkauft und verschenkt. Heute haben wir die Ehemaligen gebeten, hier ein paar Worte zu verlieren

■Es gibt keinen Mann in meinem Leben, mit dem ich so oft lautstark gestritten habe wie mit dir. Meinen Vater ausgenommen. Nicht etwa, weil du eine Vaterfigur für mich warst, sondern weil euch beide eine Eigenschaft verbindet, die mich regelmäßig in den Wahnsinn und zu Wutausbrüchen getrieben hat. Sturheit.Wenn du es drauf anlegst, reagierst du so starrköpfig, so störrisch und halsstarrig, dass kein Argument, keine Erklärung oder Beweisführung bei dir durchdringt. Dein Stoizismus ist legendär. Zum Zähneknirschen. Dein ungerührter Blick eine Lektion in Coolness. Wahrscheinlich hat die taz deswegen überlebt, hast du die taz überlebt. Über vierzig wahnwitzige Jahre, das muss man erst einmal hinkriegen.Reibung schafft Wärme, das wissen wir beide. Ändere dich bloß nicht! Werde ja nicht altersmilde. Egal wer tobt – Du bist jeden Wutausbruch wert! DeineBascha Mika ab 1988 in der taz, Chefredakteurin 1998 bis 2009

■ Lieber Kalle, unvergessen dein in die Geschichte eingegangenes Bonmot, das auf einer taz-Vollversammlung eine hitzige Debatte beendete: „Ihr könnt beschließen, was ihr wollt – es ist sowieso kein Geld da.“Du sagtest es mit einem Lächeln, das so entwaffnend war wie das Argument selbst.Thomas Schmidab 1979 in der taz, Chefredakteur 1995 bis 1996

■ Als ich 2011 fest zur taz gekommen bin, war ich das, was ich heute jung nennen würde, und du warst da. Gar nicht so jung, aber tatendurstig und intuitiver als die meisten Start-ups und Thinktanks. Du hast mich vor allem damit beeindruckt, dass du einfach gar keine Zukunftsangst bezüglich der taz hattest. Recht hast du gehabt. Persönlich möchte ich dir dafür danken, dass ich wirklich immer deinen Rückhalt hatte. Danke.Aline Lüllmann Abteilungsleiterin Digitale Transformationbis 2019

■ Du hast die Geschäfte der taz Jahrzehnte geführt, bist durch dick und dünn gegangen und hast alle drohenden Konkurse mental und gesundheitlich überstanden. Ich glaube, das Geheimnis dafür ist dein dickes Fell. Als erster Finanzcontroller der taz konnte ich deinen Pelz ein wenig durchkitzeln. Das hat ziemlich Spaß gebmacht. Für dein zweites Leben, dein Leben nach der taz, wünscht dir alles Gute dein ehemaliger Mitarbeiter und KollegeDirk Wildt Redakteur, Finanzcontroller, 1992 bis 1997

■ Im April vor 40 Jahren erschien die taz zum ersten Mal regelmäßig, das war für die Redakteur*innen eine große Herausforderung. Aber genau so schwierig war es, den kaufmännischen Bereich aufzustellen, das Rechnungswesen, den Vertrieb und die Anschaffung der Geräte, wie die Satzmaschinen. Das hat im Wesentlichen Kalle vollbracht, als Geschäftsführer. Als ich ihn im Sommer 79 vertrat, sagte er mir, was ich tun solle, was ich unbedingt bezahlen muss, was warten kann. Und so hat er das Projekt über Jahre geschaukelt und letztlich zum Erfolg geführt. Chapeau!Wolfgang (Zaggi) Zügel Chef vom Dienst, 1979 bis 1991

■ Seit meinem – glücklicherweise mit der taz verbundenen – Eintritt in den professionellen Journalismus zu Anfang der Neunziger ging die Rede von den verborgenen Qualitäten dieses Mannes: Er wisse um alles, kenne seine Hinze und Kunze, ziehe die Strippen, er, Kalle werde ganz sicher auch der nächsten Krise mit einem genialen Schachzug begegnen! Mich wunderte damals, wie sehr ein als antiautoritär verschrieenes Milieu einem einzelnen Mann zuzutrauen bereit war. Äußerlich wie kommunikativ hinterließ er stets den Eindruck eines unauftrumpfenden, fast ein wenig farblosen Menschen. Jetzt die These. Und das ist gut so! Das von Kalle so perfekt verkörperte Paradox eines uncharismatischen Charismatikers hat nicht nur der taz zu überleben geholfen, es könnte sich auch sonst als zukunftsweisend herausstellen.Thomas Groß Kulturredakteur, 1991 bis 2000

■ Le taz c’est moiDiesen Spruch hatten Werbeleiter Willi und ich unserem geschätzten Geschäftsführer Kalle im Jahr 2000 mal auf ein T-Shirt drucken lassen. Er nahm es huldvoll lächelnd entgegen, hat es aber nie getragen. So hatten wir es auch nicht gemeint. Es war eine Mischung aus Biobaumwolle, Res­pekt und Majestätsbeleidigung. Le taz, beziehungsweise la taz hat schließlich keinen König! Schon gar keinen absolutistischen. Auch Kalle war einer aus dem Volk, der nach Feiern die Zigarettenstummel vom Rasen der Dachterrasse auflas. Andererseits: Kalle war auch nicht kein Sonnenkönig. Er war das Zentrum der Macht, und es war eine Herausforderung, sich gegen ihn durchzusetzen, ihn zu etwas zu bewegen, das nicht seinem eigenen klugen Geist entsprungen war oder ihm nicht zeitnah einleuchtete. Noch ein Unterschied zu Louis Quatorze: Wir drehten uns nicht um Kalle, sondern gemeinsam mit ihm um die taz. Kalle hat persönlich viel gegeben und riskiert. Er gewährte jederzeit Audienzen, man konnte ihn überzeugen, anschreien, begeistern, sich manchmal auch einfach nur an ihm abarbeiten. Kalle der Große gab Halt, Freiraum und regelte alles zum Besten. Wenn er geht, bleibt die taz stark und gut aufgestellt zurück. Merci, oh König, mein König!Stefanie Urbach Werbeleiterin 1996 bis 2006, seit 2015 Aufsichtsrätin

■Kalle ist blass und blond wie vor vierzig Jahren. Seine Frau ist dieselbe heute wie damals. Kalle war immer Geschäftsführer der taz. Er war schon Geschäftsführer, da gab es noch lange keinen Chefredakteur. Kein Wunder, dass es ihm gleich war, wer unter ihm Chefredakteur war. Er kaufte erst Autos, dann ein Haus und zuletzt wurde er auch noch Bauherr. Ich beneide ihn um seine Konstanz, um seine Treue. Eine taz ohne ihn kann ich mir nicht vorstellen. Dass er das kann, davon gehe ich aus. Er ist von uns allen einfach der Klügste und Größte.Arno Widmann ab 1979 in der taz, Chefredakteur 1994-1995

■ Ende März 1996 wurde die Berliner Lokalredaktion von Beamten des Landeskriminalamts (LKA) und einem Staatsanwalt durchsucht. Grund war ein Bekennerschreiben einer linksextremen Gruppe, das in einem Artikel erwähnt worden war. Schubladen und Tische wurden geöffnet. Inmitten des staatlich angerichteten Chaos tauchte plötzlich Kalle auf – bewaffnet mit einem Fotoapparat und knipste! Wir waren baff.Mit einem Mal wurde es laut: Ein Polizist pochte auf sein Recht aufs eigene Bild. Gezerre folgte, minutenlang, schließlich Kalles Schrei: „Sie brechen mir den Arm, Sie brechen mir den Arm!“Zufällig stand ich in der Nähe, ein anderer LKA-Mann wandte sich an mich, vermutlich, weil ich als einziger in der Lokalredaktion ein Sakko trug: „Sie sehen hier wie ein Vernünftiger aus, können Sie nicht helfen?“Und so kam es, dass ich einmal auch Kalle helfen durfte, ihm, der dafür sorgte, dass inmitten aller taz-Krisen stets pünktlich unsere Löhne gezahlt wurden. Ich redete auf die Kontrahenten ein, das Wunder geschah, die Kamera wurde auf den Tisch gelegt, der Kriminaler lockerte seinen Griff. Zivilität kehrte ein, Staatsdiener und tazler kamen ins Gespräch: Kalle unterschrieb ein Papier, der LKA-Mann steckte es ein, noch immer misstrauisch, wie mir schien. Am nächsten Tag erschien ein Bericht („Razzia bei der taz“), in dem der Vorfall mit Kalle gentlemanlike unerwähnt blieb – illustriert mit einem Bild. Darauf waren keine Gesichter zu erkennen. So hatte es Kalle, taz-Fotograf für einen Augenblick, dem LKA-Beamten versprochen. Schriftlich. Und – selbstverständlich – Wort gehalten.Severin Weiland Lokalredaktion Berlin, 1992 bis 2002

■ Da war dieser blonde junge Mann – damals eher Junge als Mann – immer etwas blass, immer mit leiser Stimme, immer auf Distanz zu den heißlaufenden Debatten der Edelfedern und Revolutionspoeten, immer skeptisch beobachtend im Hintergrund. Hätten wir damals, in der Gründerzeit der taz, Wetten abgeschlossen, wer aus unserer Combo jemals zur mächtigsten Person in der taz werden würde, keine/r von uns hätte einen Pfifferling auf Kalle Ruch gesetzt. Danke‚ ‚blonde Eminenz‘!Vera Gaserow Redakteurin Inland, 1979 bis 1991

■ 1977 wurde der Politikwissenschaftler Tilman Fichter im ‚Prospekt Tageszeitung‘ nach den Chancen einer linken Tageszeitung befragt: „Eine Tageszeitung ist vor allem eine riesige Verschleiß- und Knochenzerreißmaschine, in der viele Leute kaputt gemacht werden (…). Ein solches Unternehmen kann überhaupt nur gut gehen, wenn 20 bis 30 Frauen und Männer wirklich bereit sind, für ein oder zwei Jahre ständig an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. Das müssen aber Genossinnen und Genossen sein, die nicht bei der ersten internen Krise ausflippen, sondern weiter arbeiten, auch dann, wenn es keinen Spaß macht. (…) Deshalb bin ich skeptisch. Falls diese Tageszeitung klappt, wäre sie m.E. so etwas wie ein 7. Weltwunder“.Obwohl ich als Frankfurter taz-Frau gegenüber den Berliner taz-Leuten Vorbehalte hatte, war schon damals für mich klar, dass der Berliner Kalle Ruch nicht bei der ersten internen Krise ausflippt, sondern stoisch immer weiter arbeitet!Gisela Wülffing taz-Gründerin und Kuratoriumsmitglied taz Panter Stiftung seit 2008

■ Kalle, 40 Jahre hat er das taz-Unternehmen gesteuert, aber kein Wort zu viel gesagt. Große Entwürfe hat er nie messianisch und mitreißend gepredigt, er hat sie mit stoischer Lakonie umgesetzt. Wenn er jemals – was eigentlich bei der Geschichte der taz gar nicht anders sein kann – aufgeregt war, dann hat es niemand gemerkt. Von der Wattstraße zur Friedrichstraße, von Sperrmüll-Möbeln zu Designerbüros, von der chaotischen taz-Bürgerinitiative zur professionellen Zeitung, vom anarchischen Start-up mit einer nach Monaten bemessenen Lebenserwartung zum allseits anerkannten Verlagshaus: Die Lebensleistung eines insgeheim leidenschaftlichen (wie sonst hätte er das all die Jahre durchhalten können?), kreativen (wie sonst hätte er zahlreiche Krisen in produktive Unternehmensstrategien transformieren können?), schweigenden (wie sonst hätte er betriebswirtschaftlich realistische, aber höchst komplexe Entscheidungen durchsetzen können?) Langstreckenläufers. Martin Kempe Gewerkschaftsredakteur, 1979 bis 1991

■ Kalle, eine Sphinx, hat nie viel geredet. Aber er hat uns in den Zeiten des Neoliberalismus sicher mehr als einmal den Arsch gerettet. Danke Kalle! Schöne Rente!Annette Jensen Redakteurin Öwi, 1990 bis 1998,Bettina Markmeyer Reporterin,1989-1999

■Für Kalle war schon 2010 klar: Die Digitalisierung macht der gedruckten taz den Garaus. Ja, er ließ sich sogar dazu hinreißen, ein Datum zu nennen: 2022 werde es keine gedruckte taz mehr geben … Ich habe Kalle für diese Provokation bewundert. Zugleich fühlte ich mich herausgefordert, ihm zu widersprechen. Aber wenn Kalle die gedruckte taz mal wieder in einer AR verbal beerdigte, hörte sich dies immer sehr schlüssig an. Er wirkte als der große Strategie, die Anhänger der täglichen Printausgabe hingegen schien die Aura der Rückwärtsgewandten zu umgeben. Als Genossin, ehemalige Aufsichtsrätin und ehemalige Brasilien- und Südamerika-Korrespondentin und als treue Abonnentin der täglich gedrucken taz hoffe ich immer noch darauf, dass Kalles Prognose 2022 nicht eintritt. Auch wenn er die besseren Argumente hat.Danke Kalle, Deine Astrid Prange Aufsichtsrätin, 2008 bis 2015

■ Zwei große Figuren der deutschen Nachkriegsgeschichte ziehen sich nun zurück. Im Frühjahr 1979 wurde Uli Hoeneß Manager des FC Bayern München, Karl-Heinz „Kalle“Ruch sein Pendant in der taz. Beide navigierten 40 Jahre lang diese Firmen um alle Klippen und Stromschnellen herum, der eine als öffentlich-barocker Gröhlhansel, der andere als dezenter Buster Keaton. Sonnenkönig und Schattenmann. Aktienkrösus und Genosse. Nicht zu vergessen bitteschön, Kalle Ruch musste nie in den Knast, auch das: unfassbar genial!Norbert Thomma Koch und Chefredakteur, 1995 bis 1996

■ Kalle hat mich immer beeindruckt mit seiner ruhigen Ausstrahlung, seiner Unbeirrbarkeit und Dickköpfigkeit. Als ich später beim DLF Kultur war und ihn für die Sendung „Im Gespräch“gewinnen wollte, war er einer der ganz Wenigen, die starrsinnig dagegen waren, in dieser tollen Sendung aufzutreten. Lange habe ich gedacht, ich krieg ihn irgendwie rum und wenn es „nur“für die taz ist, aber nix zu machen. Ich hätte es mir denken können … Ganz lieben Gruß vonStephanie von Oppen Redakteurin, 1996 bis 2001

■ So richtig schlau geworden bin ich aus Kalle nie. Viele sagten: „Nur wegen ihm gibt es die taz noch immer.“Andere meinten: „Wegen Kalle hat die taz nie den Durchbruch geschafft.“Ich weiß bis heute nicht, was stimmt. Auf jeden Fall hat er sehr oft das richtige Gespür gehabt, wie die taz am Leben zu halten ist. Und ohne seine Unterstützung, die Konzeption von Rettungskampagnen anzugehen, würde mir eine der großartigsten und spektakulärsten Erfahrungen meines Berufslebens fehlen.Gerd Thomas Anzeigenleiter, 1992 bis 2000

■ Vor einigen Monaten habe ich Kalle von Weitem in Hamburg am Hauptbahnhof gesehen. Und weil so ein blöder Bahnhof ja immer megabusy ist, wirkten alle, mich wahrscheinlich eingeschlossen, als wären sie lieber schon wieder woanders. Kalle dagegen machte auf mich den Eindruck, als sei es eigentlich ganz schön dort. Er schien über der Hektik zu schweben: Er bewegte sich fort wie die Schildkröte in „Momo“, gemächlich einen Schritt vor den anderen setzend. Und dann war er plötzlich weg. Ich kenne Kalle nicht sonderlich gut, aber es kann sein, dass das mein Haupteindruck ist: dass er sich nicht anstecken lässt von dem ganzen Wahnsinn um ihn herum. Aber trotzdem vor den anderen ankommt.Klaus Raab Redakteur Wochenende, 2017 bis 2018

■ Ach Kalle, Du Undurchschaubarer! Nun werde ich nie erfahren, ob du mich damals irgendwie besonders oder nur irgendwie besonders nervig fandest. „Ein Argument wird nicht besser, wenn du es zehnmal wiederholst.“Diese Keule von einem Satz, von dir an mich gerichtet, traf jedenfalls ins Schwarze meiner Schwäche, VerhandlungspartnerInnen eher niederzuringen als zu überzeugen. Ausgesprochen von einem zurückhaltenden, immer die Contenance wahrenden Menschen wie dir, hat der Satz seine Wirkung nicht verfehlt und ist bis heute mein mahnender Begleiter. Dafür kann ich mich nur bedanken und wünsche dir ein beglückendes Altenteil mit Dackel und Schiebermütze!Sybille Pook Werbeleiterin, 1990

■ Manchmal erkennt man die wahre Güte eines Menschen erst mit etwas Abstand. Das trifft für mich bei Kalle auf jeden Fall zu. Während meiner taz-Jahre blieb er bis zum bitteren Ende undurchschaubar, oft unberechenbar und in meinem persönlichen Empfinden unzuverlässig. Im Abstand habe ich verstanden, dass er immer für seine eigene Zukunfts-Version der taz gekämpft hat. Mit Voraussicht, großem Erfolg und großer Härte – auch sich selbst gegenüber. Dafür schätze ich ihn sehr und bin dankbar für die gemeinsamen sechs Jahre. Ich habe viel von Kalle gelernt – der wahren und einzigen Sphinx der taz.Ines Pohl Chefredakteurin, 2009 bis 2015

■ Wenn ich das richtig erinnere: Einmal haben Doris Benjack, Kalle und ich die erste Nacht eines mehrtägigen Nationalen Treffens (so was gab‘s ja mal) in Stuttgart auf dem Wohnzimmerteppich eines freundlichen taz-Aktivisten (so was auch) zugebracht. Für die Folgenacht hat sich Kalle dann eine professioneller betreute Unterkunft gesucht, was ich ihm schon damals nicht verübelt habe.Richard Nöbel Säzzer und Layouter, 1979 bis 2017

■ Da wir ein Nichtverhältnis pflegten, ist und bleibt er für mich eine rätselhafte Figur. Ein Typ zwischen Kühlschrank und Koryphäe. Eine Art Kaltwesen, vampirgleich erschloss er dem Blatt immer neue Blutkonserven. Dazu passt auch, dass er über lange Jahre kaum zu altern schien. Und natürlich sein Faible für Sichtbeton.Hans-Hermann Kotte Redakteur Medien und Wahrheit,1989 bis 1995

■ Lieber Kalle, deine Präzision in allem war manchmal richtig einschüchternd. Und du hast so ein großes Herz! Wir waren immer stolz darauf, dich kennen gelernt und mit dir in diesem Projekt gearbeitet zu haben.Rula André Werbungund Philippe André Produktionscontroller

■ Als ich die taz verließ, wusste ich noch nicht, was die taz, wir alle, an Kalle hatten und haben. Er ist gradlinig, hartnäckig, kreativ, nüchtern, ausdauernd und dabei freundlich. Ihm fällt immer was ein, er sucht und findet Lösungen, sein Glas ist immer halbvoll. Und das im besten Sinne als Diener der Redaktion, im Geiste dessen, was die taz ausmacht, und was sie sich – auch dank Kalle – bis heute bewahren konnte. Selbstverständlich? Mitnichten. Und ich muss es wissen, weil ich nach Kalle noch etwa ein knappes Dutzend Geschäftsführer kennenlernen durfte. Glücklich also diejenigen, die Kalle weiter um sich haben. Alles Gute, Kalle! Brigitte Fehrle Lokalredakteurin Berlin, 1990 bis 1994

■ Sein ThronEr schreitet durch die taz wie durch einen Roman. Er geht wahnsinnig leise. Man kann ihn nicht hören, bevor er auftritt. Und er tritt nur auf, wenn es ernst ist. Dann lehnt er an der Wand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Wenn er redet, sind alle anderen still. Wenn er da so steht, an die Wand gelehnt, dann merkt man, dass ihm sein Stuhl fehlt. Er ist ein bisschen nackt ohne seinen Stuhl. Alle kennen Kalles Stuhl. Helles Holz, elegante Lehnen. Ein kleiner Thron. Ich war wohl sieben Jahre bei der taz. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mich je bemerkt hätte. Hochnäsig ist er nicht. Aber stets mit Dingen beschäftigt. Zahlen zum Beispiel. Strategien wahrscheinlich. Sonderbar, dass seine sanfte Stimme auch drohen kann. „Modell Grieneisen“sagt er dann nur und meint damit, dass er die taz auch sterben lassen könnte, wenn man nicht auf ihn hört. Es hören dann immer alle auf ihn. Ich glaube das bleibt auch so, wenn nur noch sein Stuhl da sein wird. Man weiß einfach, was er sagen würde. Kalles Macht. Die bleibt.Volker WeidermannKulturredakteur, 1994 bis 2001

■ Lieber Kalle, ich war auf dem Nationalen Plenum im Herbst 1991 der taz-Berichterstatter, als Ihr, Du und der Verlag, Euren großen Sieg für die Gründung einer Genossenschaft gegen die schnelle Geld- und Investorengier der Redaktion errangt. Ich ahnte damals natürlich noch nicht, wie groß und anhaltend dieser Sieg sein würde, als ich von dem Plenum schrieb, durch die taz gehe einen Riss zwischen denen, die sie schreiben, und denen, die sie produzieren. Für eine linke Zeitung, dass musste ja dann jedem Leser klar sein, sind Produzenten wichtiger als Schreiberlinge. Und Du warst natürlich der erste unter den Produzenten – und bist es so lange geblieben! Schon damals und auch heute noch sei Dir dafür gedankt von Deinem Dich stets in Paris zum Besuch erwartenden Auslandskorrespondenten.Georg Blume Auslandskorrespondent, 1985 bis 2013

■ Kalle Ruch, das muss gesagt werden, hat die Zeitungslandschaft von ganz Berlin entscheidend geprägt. Ohne ihn wäre die Meinungsfreiheit in dieser Stadt eine andere, die Beharrlichkeit, mit der Journalist*innen in Berlin doch immer wieder Themen nachgehen, die nicht im Mainstream liegen und last but not least die Überschriftenkultur (obwohl mir selbst zumindest kein einziger Artikel aus seiner Feder bekannt ist). Danke dafür!Benny Härlin Lokalredakteur Berlin, 1980 bis 1983

■ Ein Fluss namens KalleDie Havel bei Strohdehne kann einen einiges lehren. Etwa über Persönlichkeiten. Dort bei Strohdehne, wo der Hauptstrom kurz zuvor sich mit der Gülper Havel vereint hat und kurz danach auch das Wasser des Garzer Schleusenkanals noch hinzu kommt, fließt der schon mächtige Strom mit einer ruhigen Beharrlichkeit. Was dort im Sommer an den Ufern an aufgeregtem Geschrei der badenden Kinder zu hören ist, lässt den Fluss ebenso kalt wie die dahin gleitenden Ruderboote und Motoryachten. Oberflächlichkeiten eben. Kalle kennt den Fluss, in dem er seine Angel treiben lässt. Und in Kalle ist gleichfalls eine Strömung, die ihre Energie aus der Tiefe holt. Eine Kraft, die nie versiegt. Eine Kraft, die man zeitweilig aufzuhalten vermag, über die man sich empören kann, die sich aber immer wieder Bahn bricht. Mit der stoischen Ruhe eines Flusses hat Kalle die Geschicke der taz bestimmt, hat das kleine taz-Boot von den zerstörerischen Springfluten des revolutionären Begehrens bis hin zu den Niedrigwassern der Dürre-Perioden mit den tückischen Insolvenz-Felsen dicht unter der Oberfläche sicher geleitet. Das kann man nur, wenn man im Herzen wie ein Fluss ist. Mit mächtiger Kraft und dem unerschütterlichen Glauben, dass sich die Kurskorrekturen im langen Lauf des Wassers von selbst als die richtigen Entscheidungen beweisen. Angler sind glückliche Menschen.Gerd Nowakowski Ressortleiter Lokalredaktion Berlin, 1980 bis 1998

■„Kalle? Who’s that?“ möchte man fragen. Auch nach 34 Jahren in der taz bzw. deren Umfeld bleibt der Mann ein Rätsel für mich. Glücklicherweise hab ich nie ein Portrait über Kalle, jenen wortkargen und geheimnisvoll erfolgreichen Medienmacher, schreiben müssen. Deine diversen Coups, manchmal mit großer Sturheit gegen alle Widerstände durchgesetzt, haben die taz zu dem gemacht, was sie heute ist – eine wichtige Stimme des unabhängigen Journalismus. Danke.Petra Bornhöft Redakteurin Inland, 1985 bis 1990, Kuratoriumsmitglied taz Panter Stiftung

■ Auf den ersten Blick so kühl wie ein Bommerlunder; dann konnte ich aber erkennen, dass das Gedeihen seiner Kinder und das Überleben der taz für Kalle Ruch als Lebensaufgaben gelten.Johannes Rauschenberger24 Jahre Aufsichtsrat der taz

■ Als ich 2001 bei der taz anfing, platzierte man mich für die ersten Jahre Kalle direkt gegenüber. Uns trennten keine fünf Meter Luftlinie, aber über 20 Jahre taz-Erfahrung. Geschäft? Führung?? Nicht bei der taz! So dachte ich. Es dauerte ein paar Jahre, ehe mir dämmerte, dass Kalle beides beherrscht. Und zwar sehr gut – auf eine einmalige, sehr subtile Weise. Was uns bis heute verbindet: zu wissen, wann man aufhören muss. Alles Gute, Kalle!Peter Scheibe Justiziar, 2001 bis 2013

■ Für mich als Jungredakteurin damals war Kalle immer wie ein Fels in der Brandung – und gleichzeitig unnahbar. Ich hatte ja von nix ne Ahnung – und er war ganz das Gegenteil, immer sehr selbstsicher in dem, was er tat und entschied. Insofern kann ich nur krampfhaft nach Anekdoten suchen – die mir aber partout nicht einfallen wollen … Ich glaube, er hat seinen Job trotz aller Widerstände richtig gut gemacht. Ich wünsche ihm alles Gute!Viele GrüßeMartina Schrey (Habersetzer)Lokalredaktion Berlin, 1989 bis 1994

■ Von heute aus betrachtet ist alles ganz einfach: Kalle hatte recht. Kalle hatte die Zahlen, hat gerechnet, hatte Idee, hat die Ideen verwirklicht – und was hat er damit gemacht? Eine Zeitung (mit)gegründet, die vier Jahrzehnte am Leben gehalten und nebenbei zwei (große) Häuser gebaut. Und eine Genossenschaft ins Leben gerufen, die blüht und gedeiht und nun eine ehemals kleine, linksradikale Zeitung trägt, die noch die alten UnterstützerInnen hat und viele neue, und die Zeitung hat neue LeserInnen und neue MacherInnen. Und eben ein neues Haus. Na bitte. Recht gehabt. Danke.Andreas Rostek Redaktionsleiter, 1979 bis 1991

■ Eines Tages im Rudi-Dutschke-Haus auf der Treppe zwischen viertem Stock und Rauchersofa eine Etage höher: Mein Kollege Martin Reichert und ich sind auf dem Weg nach oben. Kalle geht nach unten. Wir grüßen. Kalle grüßt zurück, stoppt und lächelt süffisant.„Glückwunsch, Du bist Umsatzführerin!“, ruft Kalle mir entgegen. Wir halten inne. Wir ahnen: Da kommt noch was nach. „Vor mir!“, sagt er dann. Martin und ich schauen uns an. Schließlich ist er der Grund für meinen hohen Umsatz im taz-Café, seine Essenskarte ist schon länger unauffindbar. Es gibt keine Kennzahl, die Kalle nicht im Auge hat.Susanne Lang Redakteurin, Ressortleiterin taz2, 2003 bis 2008

■Geno-Hotelstoisch, entschieden, leise, beharrlich, immer einen im (taz) Sinn, ach was: immer zehn im Sinn! Nur, Kalle, dass du dem taz-Geno-Hotel nicht zugetan warst...Kuratoriumsmitglied taz Panter Stiftung

■ Chapeau, Kalle! Du hast der taz mit der real existierenden Genossenschaft eine stabile Grundlage und mit gut beratenen Immobilienentscheidungen eine nachhaltige Basis für die redaktionelle Arbeit geschaffen. Alternativen sind machbar! Das ist die taz-Botschaft – passgenau zum Medien-Schacher in unserer Zeitenwende! Georgia Tornow Redakteurin ab1986, erste gewählte Redaktionsleiterin 1988 bis 1994

■ Redakteure kommen und gehen, Chefredakteure auch. Er aber bleibt. In diesem Bewusstsein blickte Kalle Ruch über Jahrzehnte auf die taz, wie ein General vom Feldherrnhügel oder wie ein Gott vom Olymp auf uns einfache Sterbliche. Eine gepflegte Verachtung für die taz-Redaktion und ihre täglichen Aufgeregtheiten konnte er sich deshalb nicht immer verkneifen. Und wenn man ihn früher im taz-Café in der Rudi-Dutschke-Straße traf, wo er mittags seine Zeitung las, vermittelte er gerne den Eindruck, er lese lieber die FAZ als die taz. So ist Kalle.Daniel Bax Redakteur Kultur, Meinung, Inland, 1998 bis 2017

■ Nachdem ich meinen Vertrag unterschrieben hatte, brachte man mich im Auto zum Bahnhof. Ich weiß nicht mehr, ob Kalle am Steuer saß oder nur mitfuhr, jedenfalls waren wir zu spät dran, deshalb wurde es eine Michael-Schumacher-artige Blitz-Fahrt durch die Stadt. Verdammt gefährlich, sagte ein mitfahrender taz-Genosse: „Kalle darf nix passieren, sonst ist die taz am Ende.“Danke, lieber Kalle, dass Du es so lange bei der taz ausgehalten hast.Arno Luik Chefredakteur, 1995 bis 1996

■ Lieber K. aus B., was sollen die ganzen Worte? Wir haben noch nie viel gesprochen. Ging wunderbar. Natürlich würde mich interessieren, was du S.T. so erzählt hast. Aber wahrscheinlich bleibt es dein Geheimnis. Danke für die tolle, lehrreiche Zeit in der taz, so manche Empfehlung und dass man mit Dir schweigen kann. Alles Gute, Lautes und Leises, Deine N. aus B. Nina Schönian Kreativchefin, 2006 bis 2013

■ Kalle ist taz, Kalle war taz. Kalle wird immer taz bleiben. Nach seinem überraschenden Ableben am 1. September 2039 werden die taz-Hinterbliebenen dem taz-Verleger ein taz-Mausoleum errichten. Seine Asche wird in einer rot-schwarzen taz-Urne auf einem kunstvoll drapierten Berg von papiernen taz-Ausgaben in einer Glasvitrine in der Eingangshalle des taz-Hauses ausgestellt. Alle taz-Mitarbeiter und alle taz-Besucher werden Tag für Tag an ihrem Großen Vorsitzenden vorbeiziehen. Im Leben wie im Tode kann ihm keiner entkommen.Erst im Jahre 2078 wird eine aufmüpfige junge taz-Praktikantin die längst in Vergessenheit geratene Frage stellen; „Ist das Kunst oder kann das weg“?Und erst dann werden die tazlerinnen nach einer giftigen Diskussion, die sich über ein Jahr hinzieht, den lieben Kalle zum 100. taz-Geburtstag sprichwörtlich an die Luft setzen. Und eine listige Berliner Böe wird ihn hinauf tragen zur großen grauen taz-Wolke am fernen Firmament. Dort werden die Alt- und Gründergenossinnen ihn grummelnd willkommen heißen. Nur Kalle hat jetzt echt keinen Bock mehr auf taz. Es war genug.Georg Baltissen (EEEAPvv), Erster, Einziger und Ewiger Alterspräsident von „verboten“, 1996 bis 2017

■ Lieber Kalle, ungeachtet unserer gelegentlichen Differenzen möchte ich mich anlässlich Deines Abschieds aus der taz für Deinen langen Atem in unserem „Projekt“herzlich bedanken. Immerhin konnte ich dadurch meinem Traumjob in der Auslandsredaktion bis zum Zeitpunkt meiner Rente nachgehen. Ich wünsche Dir, dass Du deine neue Freiheit lange genießen kannst. Ich kann das nur empfehlen.Beste Grüße,Beate Seel Ressortleiterin Ausland,1979 bis 2019

■ Lieber Kalle, da Einfach-nur-in-Rente-Gehen ja längst aus der Mode ist, hätte ich da einen Vorschlag: Eine kleine Seminarreihe, gern auch in Kreisen des BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger), Thema: „Warum Geschäftsführer*innen sich nicht rpt NICHT in redaktionelle Belange einmischen – und wie das geht.“Danke dafür, und auch im Falle des Einfach-nur-Bücherlesens, analog oder digital (aber analog liest es sich besser): Alles Gute!Jeannette Goddar Lokalredakteurin Berlin, 1991 bis 1996

■ Er hätte im 18. Jahrhundert und davor auch ein erfolgreicher und weltberühmter Feldherr werden können. Aber so viel Blut liegt ihm nicht. Also hat er sich zum Management einer Kohorte von Menschen angeschlossen, denen das Zeitungsmachen aus den verschiedensten Gründen ein hohes Anliegen war und klargemacht, dass er sie nicht verführen, aber zu führen beabsichtigt – nicht offensiv analog, sondern mit der Macht des besseren Arguments. Das hat er Jahrzehnte so praktiziert – mit großem Erfolg. Nun folgt ein weiteres Meisterstück: Der Abschied in Frieden. So eine seelisch gelungene Selbstverwaltung wünsche ich jedem, der in dieser unserer Republik was zu sagen hat. Ich bin etwas neidisch.Gert Behrens Steuerberater, Kuratoriumsmitglied taz Panter Stiftung seit 2008

■ Es muss bei einer der Rettungskampagnen Ende der Neunziger gewesen sein. Ich war frisch in der taz, fand den Laden alles in allem super – und dann erklärte Kalle in einer Redaktionskonferenz mit eiskalter Miene, todernst und mit wie üblich leiser Stimme: Man könne die tazeigentlich auch zu machen. Was ist denn das für ein Arsch, dachte ich mir. Es hat Jahre gedauert, bis ich verstanden habe, dass Kalle immer genau das Gegenteil eines Totengräbers dieser tollen Zeitung war. Er war der Retter, über Jahrzehnte. Und auch, wenn er es ungern gezeigt hat. Deshalb, Kalle, das musst Du jetzt aushalten: Du bist der größte Verleger Deutschlands!Philipp Gessler Reporter, 1998 bis 2017

■ Lang liegt meine Zeit bei der taz zurück, aber Kalle Ruch ist in meiner Erinnerung stets präsent geblieben. Besonnen, integer, ernsthaft – so hat er auf mich damals (Anfang der Neunziger!) gewirkt. Und im Gegensatz zu seiner Bescheidenheit für seine persönlichen Belange war er im Dienst der taz Visionär und Vorkämpfer mit dem ganz großen Plan. Dass jemand wie er so lange geblieben ist, hat mich Jahr um Jahr mehr beeindruckt. Ein Glücksfall für die taz und hoffentlich auch für ihn!Sabine Jaspers Medienredak-teurin, 1991 bis 1993

■ Es dauerte knapp acht Jahre, da hatte ich meine erste und letzte Mail von Kalle im Postfach. Es war eine Antwort auf die „Kündigung meines Arbeitsverhältnisses zum Monatsende“. Kalle schrieb: „Liebe Annabelle, viel Glück dann. kalle“Ich fand: Damit war alles gesagt. Schlicht, kein Erstaunen oder Herumgerede, in sechs Worten auf den Punkt. Vielleicht lag es am kleinen „k“in „kalle“, vielleicht lag es am Abschiedsschmerz, ich weiß es nicht – aber einen Moment lang fühlte ich mich Karl-Heinz Ruch wirklich nahe.Annabelle Seubert Redakteurin taz am Wochenende, 2011 bis 2019

■ Ein journalistisches Klischee, das es in keine gute Zeitung schafft, lautet: „Und er lächelt verschmitzt.“Kaum ein Lächeln aber würde man so verkennen durch die Verschmitzung der Welt – ihre Verniedlichung durch Oberflächlichkeit – wie das vielschichtige Lächeln des Kalle Ruch. Denn nicht bloß hat er die taz geformt, sondern gewiss hat auch die taz Kalle geformt, bis in die geheimnisvoll gekräuselten Mundwinkel hinein: Wenn alle am liebsten Purzelbäume schlagen, braucht es einen, dem nicht die Gesichtszüge entgleiten, egal was die Welt, die Branche und die morgige Ausgabe bereithalten. Patrik Schwarz Redakteur Inland, 1997 bis 2005

■ Anfangs war mir Kalle nicht geheuer. Als ich ab 1990 Artikel für die Öwi-Redaktion schrieb und bei taz-Partys herumstand, verwickelte er mich in Gespräche über Atomkraftwerke, Ökostrom oder irgendwelche Firmen. Was will er bloß?, fragte ich mich. Ich war unsicher, hatte Geschichte studiert, nicht Wirtschaft. Er las alles genau, was auf unseren Seiten stand, lobte, stellte in Frage, diskutierte, hatte Ahnung, brachte mich durcheinander. Mit der Zeit fand ich heraus: Kalle interessierte sich für Wirtschaft insgesamt, auch für die Ecken, die wir lieber ignorierten. Schon mal nicht schlecht für einen Geschäftsführer, dachte ich.Hannes Koch Redakteur Öwi, 1995 bis 2008

■ Kalle-TriptychonIch kenne Kalle seit 1991. Aber es sind drei spätere Bilder von Kalle, die mich immer begleiten werden.

1. Bild: Kalle sitzt im 5. Stock des Neubaus mitten zwischen den Verlagsmitarbeiter/innen. Ohne jedes Zeichen der Macht. Auf dem Weg zu den gemeinsamen Sitzungen von Vorstand und Aufsichtsrat komme ich dutzendfach an diesem Schreibtisch vorbei. Nirgends sonst habe ich einen Geschäftsführer erlebt, der so unprätentiös dasitzt.

2. Bild: Ich bin noch Redakteur, in den Neunzigern. Sicherheitsbehörden suchen in der taz nach einem Bekennerschreiben. Kalle begegnet mir im Flur, er sitzt auf seinem verschlossenen Schreibtisch. Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden tragen den Schreibtisch, den sie beschlagnahmen wollen, mit dem Geschäftsführer über den Gang. Fotografen anderer Verlage drängen die Treppe hinauf, um die Durchsuchung festzuhalten.

3. Bild: Kalle am Telefon: Wir können ein neues taz-Haus in der Friedrichstraße bauen, wir bekommen das Grundstück günstig. Was denkst Du? Meine Rückfrage: Und das Alte verkaufen? Seine Antwort. Nein, das alte Haus behalten und das Neue für uns alle bauen.

Lieber Kalle, vielen Dank für die vergangenen Jahrzehnte! Ich werde Dich sehr vermissen.Hermann Josef TenhagenStellv. Chefredakteur 1996 bis 1998, seit 2004 Aufsichtsrat der taz

■Kalle war einfach immer da. Selbstverständlich, im Hintergrund die Dinge bewegend. In meiner Zeit in der taz – von 1986 bis 1990 – hatte ich so viel mit der Frauenredaktion und mit mir selbst und meiner neuen Rolle als Journalistin zu tun, abgesehen davon, dass in dieser Zeit Tschernobyl in die Luft flog und die Mauer fiel, dass ich mir über solche Dinge wie Geschäftsführung überhaupt keine Gedanken gemacht habe. Erst sehr viel später, als ich selbst Geschäftsführerin von zwei selbst gegründeten Organisationen wurde, ist mir Kalles enorme Leistung, den„Laden“über Jahre, ach Jahrzehnte, zusammen zu halten und mutige, richtungsweisende Entscheidungen für die materielle Basis der Taz zu treffen, so richtig bewusst geworden.Also, alles Gute für den Brandenburger Ruhestand, lieber Kalle, der taz-Birnbaum möge gedeihen und viele süße Früchte tragen.Helga Lukoschat Frauenredakteurin, 1986 bis 1990

■ Lieber Kalle, nur noch ein paar Tage, dann hast du es geschafft. Lobreden, Feierlichkeiten, Schulterklopfer und Zapfenstreich – ich wünsch dir das volle Programm. So viel Unbehagen muss noch sein! Denn wenn es nach mir gegangen wäre, hättest Du noch ein paar Jährchen dranhängen können. Schließlich war es für mich ein gutes Gefühl, in der taz noch einen Freund zu haben, der einem aus Wattstraßenzeiten sehr vertraut ist und dafür sorgt, dass der taz kein Unbill was anhaben kann oder dass da was anbrennt. Du stehst noch gut im Futter und Genossenschaft, da bist du vom Fach. Oder wie der Genosse Detlef Berentzen gesagt hätte: Einmal Avantgarde, immer Avantgarde! Hau rein und Abrazos!Tonio Milone Kalles Mitarbeiter, 1979 bis1987

■ KalleEin Restauranthat eben Tischbedienungsonst heißtsKantineBerit Lusebrink Genossenschafts-team, 2011 bis 2019

■ Wissen, was sich gehört. Als die taz nicht besonders freundlich zu mir war, hat Kalle die Rolle des Gentleman übernommen. Ohne viele Worte – logisch – hat er mir einen anständigen Abgang möglich gemacht und ein versöhnliches Gefühl mitgegeben. Das habe ich nie vergessen.Frauke Böger Ressortleiterin taz.de, 2009 bis 2014

■ Ohne Kalle ist die taz kaum denkbar. In meiner Zeit als Vorständin der Freunde der Alternativen Tageszeitung fand ich es beruhigend, Kalle als Herrn der Zahlen an unserer Seite zu haben, auch wenn ich seinen Einsatz damals nicht so zu schätzen wusste. Im Nachhinein ist mir erst bewusst geworden, dass Kalle nicht nur Selbstvertrauen hatte, sondern ein ungeheures Vertrauen in uns alle gesetzt hat – bis heute. Danke dafür Kalle, ich bin gespannt, was dir nun einfällt – gutes Gelingen und viel Freude dabei.Gitti Hentschel taz-Mitgründerinund Frauenredakteurin, 1979 bis 1985

■ Ach, Kalle, wie soll das werden ohne Dich, was hat das für einen Sinn? Ich kann nur einen einzigen erkennen: Erst wenn Du nicht mehr die Geschäfte führst, wird die taz den Nachweis führen können, dass sie auch ohne Dich überlebt. Aber wozu? Das wird sich finden. Aber wo? Bestimmt gibt es einen Plan, den Du hinterlassen hast. Dir trau ich´s zu, die Welt auch ohne Dich zu denken.Elke Schmitter Chefredakteurin, 1992 bis 1994 und Kuratorium taz Panter Stiftung

■Kalle war in der taz wie sein alter Bürostuhl: aus hartem Holz. Aber stabil und mit einer schlichten Eleganz.

Stellv. Chefredakteur

■ Jetzt geht er also. Ich kann mich noch erinnern, wie er kam. „Ich heiße Kalle und studiere Volkswirtschaft“, sagte er mit einer leicht brüchigen Stimme im Frühjahr 1978, als wir die taz planten:„Ich interessiere mich nicht so für die Redaktion, sondern für die finanzielle Seite des Projekts.“ Wir kannten zwar das Diktum von Karl Marx„Das Sein bestimmt das Bewußtsein“, doch wir waren auf die Ideen fixiert und ignorierten die ökonomische Basis. Kalle nicht. Bei allen großen Entscheidungen, die über das Schicksal der taz bestimmten, lag Kalle immer richtig. Alle Achtung. Das muss ihm erst mal einer nachmachen.Michael Sontheimer Öffentlichkeitsarbeit Gründungsphase, Ökologie-Redakteur, Nachrichtenredakteur, Chefredakteur 1979 bis 1994, Kuratoriumsmitglied taz Panter Stiftung

■ Kalle hat mir einmal eine „Bescheinigung“ geschrieben und damit einen großen Gefallen getan. 2014, noch nicht so lange her. Da wollte ich mich in der Atom-Endlagerkommission des Bundestages engagieren. Alles schien klar zu gehen, doch der Deutsche Bundestag forderte, streng der Stellenausschreibung folgend, den Nachweis eines Volontariats – nach abgeschlossenem Journalistik-Studium und 25 Jahren Berufserfahrung. Kalle schrieb in der Bescheinigung, dass die Phase der Festanstellung in der taz „insgesamt einem Volontariat gleichkam“. Danke, lieber Kalle, das war so! Und hat geholfen. Ich bekam die Stelle und habe es dann doch lieber sein gelassen.Gerd Rosenkranz Redakteur Öwi, 1988 bis 1992, Mitglied im Kuratorium der taz Panter Stiftung

■ Gern mimte Karl-Heinz die Gutemine, die im Zeichen der Sauerkirsche Geborene; ferner gab er den Majestix, den Häuptling, von Gutemine Schnäuzelchen genannt, vom Rest des Stamms auf K. getauft. Und hier und da sah man ihn als Miraculix, der nicht nur den Zaubertrank, sondern auch so manch übelriechendes Heilmittel zu erzeugen wusste. Können Dreifaltigkeiten in Rente gehen?Herzlichen Gruß,Marie Luise Knott Redaktionsleiterin Le Monde diplomatique, 1995 bis 2006

■ Ich denke oft an ein Gespräch mit Kalle an einem hellen Sommertag an der Havel zurück. Kinder spielten und sprangen ins Wasser. Kalle lachte und sah einfach zu. Er hat mir hier an dieser Stelle die Zuversicht gegeben, dass wir alle Schwierigkeiten bei Gründung der taz ruhr überwinden würden. Und dass es auch keine Katastrophe sein würde, wenn wir scheiterten. Er gab mir das Gefühl, dass am Ende ein goldenes Licht scheinen würde. Es liegt wirklich sehr viel Kraft darin, Menschen diese Art von Energie zu schenken durch Ruhe und Zuversicht. Auf Kalle kann man sich verlassen. Das habe ich hier gelernt.David Schraven Redakteur taz ruhr, 1997 bis 2007

■ Kalles Anbau OstKalles Geniestreich im Wendejahr 1990 war die Gründung der Ost-taz. In der DDR waren damals überall Vertreter:nnen westdeutscher Verlage unterwegs, um sie publizistisch zu erobern. Doch dank Kalle war ausgerechnet die kleine taz die erste und erfolgreichste. Über den ZDF-Journalisten Michael Smids nahm er Kontakt zu Lothar Bisky auf, zu jener Zeit im Vorstand der SED-PDS, heute Die Linke genannt. Ihr Medienbeauftragter Bisky sorgte dafür, dass die taz eine Zeitungslizenz erhielt.Kalle Ruch und Thomas Purps machten mit 20.000 DM„rüber“und tauschten sie bei der Ostberliner Volksbank in 20.000 DDR-Mark. Damit marschierten sie zum Notar Friedrich Wolf am heutigen Platz der Vereinten Nationen und gründeten die „Anbau Verlags GmbH“. Gesellschafter wurden die beiden oppositionellen DDR-Schriftsteller Klaus Schlesinger und Martin Stade, Geschäftsführer Jürgen Kuttner. Sie mieteten symbolträchtige Räume im früheren ZK der SED in der Oberwasserstraße an und erstellten dort ab 26. Februar 1990 die Ost-taz. Ein Dutzend Ostdeutsche schlachteten dafür die Westausgabe vom Vortag aus und klebten ihre eigene Sicht der Dinge ins Layout. „Die taz einosten“, nannten sie das. Gedruckt wurde beim Neuen DeutschlandDer Vertrag, den Kalle mit der Ost-Post abschloss, sah die Belieferung aller DDR-Kioske mit einer garantierten Auflage von 100.000 Exemplaren vor. Hunderttausend! Das brachte der chronisch klammen taz bis zur Währungsunion einen satten Gewinn von etwa 300.000 Mark ein. „Eine schöne Zeit war das“, sagt Kalle im Rückblick, „ein großes Konzert.“Und er war der Dirigent.Ute Scheub taz-Gründerin, Redakteurin, 1979 bis 1997, seit 2008 Kuratorium taz Panter Stiftung

■ Kalle konnte ich immer nur bewundern. Ich war ja auf der anderen Seite, ein „Realo“. Bei der denkwürdigen Abstimmung über das Genossenschaftsmodell – kurz nach dem Mauerfall – gehörte ich zu jenen, die für ein „realistisches“Modell votierten, die Übernahme durch eine Zeitung wie „La Repubblica“. Von so etwas träumte man damals. Ich erinnere mich noch an die Redeschlachten der Anwälte. Meiner Meinung plädierte damals auch der später als Nazi bekannt gewordene Horst Mahler für die Genossenschaft – sei‘s drum. Kalle hatte recht gehabt: Die Genossenschaft war das realistische Modell. Und Kalle hat es hinbekommen, seine Passion – das Bauen von Häusern – mit einer wirtschaftlichen Perspektive für die auch von mir geliebte taz zu verbinden. Dabei hatte Kalle das Pokerface eines Ministerialdirigenten. Ich bin einer der wenigen, die es mal zum Erröten brachten. Da hatte ich ihn einen Jesuiten genannt.Thierry Chervel Kulturredakteur, 1987 bis 1999

■ Fundamental. Irgendwann musste ich dann doch einmal fragen, wer er denn ist. Ich vertrat gerade zum ersten Mal die Frauenredakteurin in der taz und Kalle schlich gelegentlich durch die Reihen, allerdings ohne viele Worte zu machen. Das war 1993. Deshalb kann ich mich kaum an die Worte erinnern, die wir tatsächlich auch mal miteinander gewechselt haben. Aber – weil ich es rein berufsbedingt einfach nicht lassen kann – beobachtet habe ich ihn immer wieder. So habe ich verfolgt, wie er der taz ein sicheres Fundament gegossen hat. Und falls er jetzt noch für seine Nachfolger den Schlüssel für Gehälter, die alle tazler*innen schon lange verdient haben, hinterlegt hat, dann darf ihm seine Zeitung jetzt getrost auch einen Sockel vermachen.Petra Welzel Kulturredakteurin,1992 bis 2001

■ Die taz, sagen die anderen immer, ist die Zeitung mit den originellen Titelseiten. Umso erstaunlicher, dass der wichtigste Mann der Zeitung das Foto auf der ersten Seite überhaupt nicht schätzt. Als wir mal wieder über die x-te Layoutreform diskutierten, zog Kalle mich zur Seite: Wenn es nach seinem persönlichen Geschmack ginge, dann läse er am liebsten ein Blatt ohne Fotos, nur Text – so wie die F.A.Z. damals. Das sei sowieso sein Lieblingsblatt. Ich will nicht sagen, dass ich Kalle zuliebe dorthin wechselte, aber ein wenig hatte ich doch auf seinen Segen gehofft. Da täuschte ich mich. Schließlich ging ich zur Sonntagszeitung, die ihm – oh Graus – natürlich viel zu bunt war. Fast so schlimm wie die taz.Ralph Bollmann Redakteur Inland, 1997 bis 2011

■ Mehr oder weniger zufällig, nach dem Motto„Du studierst doch BWL, mach das doch mal“,wurde Kalle zum Geschäftsführer des Vereins„Freunde der alternativen Tageszeitung“. In der taz ist wohl niemand anderes in den ersten 15 Jahren so durchgängig angefeindet worden wie Kalle. Dass er nicht geschmissen hat, erscheint mir im Nachhinein wie ein Wunder. Es ist schön, dass er den Erfolg der Genossenschaft noch als Geschäftsführer und nicht erst postum genießen konnte.Jürgen Gottschlich taz Gründer,Chefredakteur, 1992 bis 1994, Türkei-Korrespondent bis heute

■ „Kalle, ich glaube, die Betriebsrentenverträge der taz sind nicht so gut.“„Doch.“„Aber Kalle, ich lese hier, dass nur die bis 1995 gemachten Verträge eine gute Rendite abwerfen.“„Na und?“„Aber Kalle, viele von uns sind erst nach 1995 zur taz gekommen und möchten auch gute Betriebsrenten haben.“„Gut möglich.“„Ja aber Kalle, sollte man da nicht mal was machen?“„Natürlich hätte man die Verträge mit dem marktbeherrschenden Anbieter abschließen sollen. Aber dann hättet ihr auch wieder gemeckert wegen Großkonzern und so. So seid ihr doch.“„Aber Kalle …“„Würdet ihr eine anständige Zeitung lesen, wüsstet ihr das auch. Die FAZ zum Beispiel.“„Aber …“„Hast du das denn schon recherchiert, wie das mit Betriebsrenten ist? Nein? Ich hoffe, für deine Texte recherchierst Du besser!“(Redakteurin ab. Wurde später Sozialredakteurin. Vielleicht aus Trotz.)Ulrike Winkelmann Redakteurin Inland, 1999 bis 2014

■ Lieber Kalle, unter den vielen Chefredakteuren, die an dir vorbei gezogen sind, war ich wohl der einzige, der vorher mal mit dir in der Verlagsleitung gearbeitet hatte. Anfang der Neunziger, als die taz von Krise zu Krise taumelte. Du hast damals nicht nur die Genossenschaft auf den Weg gebracht, sondern auch mich zeitweise als eine Art Controller eingesetzt, der den heillos überzogenen Redaktionsetat in Ordnung zu bringen hatte. Ohne Deinen Sparkurs (und die Genossenschaft natürlich) gäbe es die taz längst nicht mehr. Zu viele Zeitungen werden heute von Betriebswirten dirigiert? Ja, und Du bist auch einer – hast aber immer Wege gefunden, die taz nicht kaputt zu sparen.Michael Rediske ab 1987 Redakteur, Chefredakteur 1996 bis 1999

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