das medienhaus an der
friedrichstraße wünscht frohes fest
:

boulevard der besten
: Stefan Hunglinger

Foto: privat

Er lebt ein Leben gegen die Etikette und hat selbst das Zeug zum Aushängeschild. Eine Qualität, die er bereits als Praktikant im Berlinteil der taz, als ­Social-Media-Redakteur und freier Autor unter Beweis stellte. Im bayerischen Landkreis Traunstein, der Heimat von Papst a. D. Ratzinger, wuchs Hunglinger in bodenständigen Verhältnissen auf. Religion spielte eine zentrale Rolle, jedoch eine größere als der pflichtbewusste Sonntagsgang in die Kirche. Für ihn bot sie die Möglichkeit zu Empowerment und Politisierung: „Begriffe wie Gesellschaft, Solidarität und queerpolitische Arbeit lernte ich in religiösen Kontexten wie zu meiner Zeit bei der katholischen Landjugend kennen.“ So gehörten linke brasilianische Lieder für ihn ebenso zum Katholizismus wie bedingungslose Unterstützung von Geflüchteten und das, was er den guten Konservatismus nennt: „Das ist einer mit klarem moralischem Kompass, der keine Identitätspolitik der Ausgrenzung fährt.“

Ob er selbst ein solcher guter Konservativer sei? Eher nicht. Dafür sei er zu progressiv. Ob guter oder schlechter völkischer Konservatismus, keiner vermöge Antworten auf soziale globale Fragen zu geben, ist er überzeugt. Auf der Suche nach eigenen Antworten lernte er während seines Zivildienstes im französischen Taizé und im anschließenden Studium der Literaturwissenschaft, Theologie und Religionswissenschaft in Freiburg, Wien und Berlin, dass weder Gott noch Linkssein Anlass zur Bequemlichkeit bieten. Seine Formel: „Es ist wichtig, nicht den Punkt zu erreichen, an dem man selbst das Gewissen ist und keines mehr haben muss.“

Mit solchen von einer Gott-ist-tot-Theologie geprägten Sätzen hinterlässt er Spuren – sagt auch die Berlinredaktion: „Eher zurückhaltend, fast unsicher im Auftreten, oft leise die Stimme. Dahinter und in fein platzierten Sätzen verbirgt sich aber etwas, das man bei Schrei­be­r:in­nen dieser Zeitung nicht hoch genug schätzen kann: klare Haltungen.“ Diese wird er ab 2020 im Projekt taz Bewegung weiterhin vertreten. Er liest die Windungen sozialer Bewegungen, engagiert sich in Wohnungs- und Obdachloseninitiativen und kennt das antifa­queere Großstadtgeflüster. Ob er selbst dafür einen moralischen Kompass brauche? „Das weiß ich nicht. Die Kompassnadel ist ja immer in Bewegung, es kommt nur darauf an, wo man steht.“ Torben Becker