Nölerei zum Fest

Während der US-Sportfan zwischen den Jahren College-Football schaut, wird mal wieder über die Zusammenstellung der Halbfinalisten gestritten

Beargwöhntes Team: Oklahoma steht mit Quarterback Jalen Hurts (l.) in der Vorschlussrunde. Zurecht? Foto: ap

Von Thomas Winkler

Den 22. Platz belegte Kevin Bickner am Sonntag beim Skisprung-Weltcup in Engelberg. Ein herausragendes Ergebnis für den aktuell besten US-amerikanischen Skispringer, aber noch ist nicht zu befürchten, dass seine Landsleute demnächst dringend die Übertragungen von der Vierschanzentournee sehen wollen, um herauszufinden, ob der 23-Jährige in Oberstdorf oder Bischofshofen die Qualifikation übersteht.

Der Amerikaner ist zwischen den Jahren ja auch sportlich traditionell mit Football beschäftigt. Bei den Profis geht die NFL in die entscheidende Phase und im College Football stehen die Play-offs an. Die bestehen allerdings aus nur drei Spielen: den beiden Semifinals am kommenden Samstag und dem Endspiel, das in diesem Jahr am 13. Januar im nach einem deutschen Autobauer benannten Superdome von New Orleans steigen wird.

Bevor es endlich ums Eingemachte, um die „National Championship“, geht, kann sich der von den Weihnachtsvorbereitungen gestresste Amerikaner die Zeit noch mit ein paar Dutzend sogenannter Bowl Games vertreiben. Die Spiele, bei denen die erfolgreichsten der mehr als 100 Universitätsmannschaften der ersten Leistungsklasse für ein Bonusspiel an neutralem Ort zusammengewürfelt werden, bilden traditionell den Abschluss der College-Football-Saison. Die Studenten und Alumni reisen ihren Teams quer durchs Land hinterher zu den meist nach einem zahlungskräftigen Sponsor benannten Bowl-Spielen und bringen die Kassen zum Klingeln in Arlington, Texas (Goodyear Cotton Bowl), Boise, Idaho (Famous Idaho Potato Bowl) oder Jacksonville, Florida (Taxslayer Gator Bowl).

Die Fans von Georgia oder Oregon finden, ihre Teams sind keinen Deut schlechter

Die Bowl-Spiele verlieren allerdings zusehends an Bedeutung, beklagen nicht nur Traditionalisten. Die Einschaltquoten sinken – vor allem im Vergleich zu den Mini-Play-offs – und immer mehr Spieler lassen den vermeintlichen Saisonhöhepunkt ausfallen, vor allem die Stars mancher Mannschaften. Fürchten sie doch eine Verletzung und damit schlechtere Chancen im bald anstehenden Draft, bei dem die vielversprechendsten Talente an die NFL-Teams verteilt werden.

So konzentriert sich die Aufmerksamkeit zusehends auf die kommenden Halbfinalspiele, in denen die LSU Tigers auf die Oklahoma Sooners und die Ohio State Buckeyes auf den Titelverteidiger, die Clemson Tigers, treffen. LSU, Ohio State und Clemson, da ist man sich einig, sind nicht nur ungeschlagen, sondern tatsächlich die drei besten Mannschaften des Landes. Aber Oklahoma? Die Sooners haben zwar nur eins ihrer 13 Spiele verloren, die Fans von Georgia oder Oregon finden aber, ihre Teams sind keinen Deut schlechter.

Solche Diskussionen provoziert der College-Sport, weil er in verschiedenen Ligen organisiert ist, die oft große Leistungsunterschiede aufweisen. Deshalb bestimmt der höchst komplizierte Auswahlprozess immer wieder die Schlagzeilen: Die Verkündung der vier Halbfinalisten wird live im Fernsehen übertragen und anschließend breit kommentiert. Auf Twitter und Facebook diskutieren Experten und Fans. Die Anhänger der Teams, die es nicht unter die besten vier geschafft haben, beschimpfen gern das 13-köpfige Auswahlkomitee. Denn wenn es um College-Sport und die Ehre der eigenen Alma Mater geht, kann der sonst so entspannte Amerikaner ziemlich unangenehm werden: In dieser Saison löschten einige Spieler ihre Social-Media-Accounts, nachdem sie nach Niederlagen mit Morddrohungen überhäuft wurden.

Tatsächlich wurde das System mit vier Play-off-Teilnehmern überhaupt erst eingeführt, weil die Diskussionen schon lange so leidenschaftlich geführt werden. Schon seit 1869 wird ein „National Champion“ ermittelt, wenn auch anfangs nicht offiziell. Bestimmt wurde er am Ende der Saison durch verschiedene Ranglisten, für die mal Trainer, mal Sportjournalisten, mal komplizierte mathematische Formeln befragt wurden. Oft gab es zwei, manchmal auch drei Mannschaften, die den Titel für sich reklamierten. Und zu meckern gab es immer etwas.

Erst 1998 wurde ein Endspiel eingeführt, dessen beide Teilnehmer aber wieder durch Polls oder irgendein Gremium ermittelt wurden. Die Meckerei hörte nicht auf, also wurde das Feld vor fünf Jahren auf vier erweitert. Und fröhlich weiter gemeckert. Deshalb mehren sich die Stimmen, die eine Erweiterung der Play-offs auf sechs, acht oder sogar 16 Mannschaften fordern.

Die Kritiker dieser Entwicklung meinen allerdings, dass die Diskussionen dann sogar noch schlimmer werden würden. Und sie haben vermutlich recht. Tatsächlich gehört das alljährliche Gemecker, wer denn nun um den College-Football-Titel spielen darf, zum amerikanischen Weihnachtsfest wie das Skispringen von Garmisch-Partenkirchen zum mitteleuropäischen Neujahrstag.