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Es ist ja schön, wenn der Geschäftsführer einem den Rücken stärkt, aber im Nacken will man ihn dann doch nicht sitzen haben. Die Geschichte eines Raumteilers

Foto: Sein Platz Foto: Anja Weber

Von Ulrike Sindlinger

Als Kalle das neue Haus baute, hat er sich so darauf gefreut, endlich einen freien Blick zu haben. Nach links, nach rechts, über Dächer und die Bäume im Park – und natürlich über das Großraumbüro, in dessen Ecke er residieren würde.

Als noch der Rohbau stand, waren wir als Abteilung geschlossen dort und haben mit Zeitungen die Tische simuliert. „Das wird schon“, haben wir immer gesagt, „das wird schon.“ Dann waren irgendwann Fenster drin und Böden. Und diese Regale, die als Raumteiler fungieren sollten. Die Sache ist, dass die Raumteiler nur 1,165 Meter hoch sind. Und Kalles Tisch direkt hinter meinem stehen sollte.

Es ist ja schön, wenn der Geschäftsführer einem den Rücken stärkt, aber im Nacken wollte ich ihn dann doch nicht sitzen haben – zumal er im Herzen Grafiker ist, wie ich. Ich habe also kurzerhand einen Aufsatz auf das Regal gestellt. Als ich beim nächsten Mal wiederkam, war er weg. Es ist zwar nicht bewiesen und wir haben nie darüber gesprochen, aber ich vermute stark, dass Kalle dahintersteckte. Freier Blick und so. War mir aber egal, GF im Rücken und so, also habe ich den Regalaufsatz wieder draufgestellt.

Am nächsten Tag kamen die Monteure und haben alles festgeschraubt. Und ich habe den Regalaufsatz noch mit zwei Pflanzen aus dem alten Büro dekoriert, einer Grünlilie und einer Aloe Vera. Das fand Kalle aber auch nicht gut, er wollte eben Minimalismus und Beton und freie Sicht auf den Park und nicht auf das ganze mitgebrachte Zeug aus der alten Redaktion. Auch nicht auf die Pflanzen. Seine schlimmste Vorstellung war vermutlich, dass am Ende noch irgendjemand einen Kerzenleuchter auf den Tisch stellt.

Schließlich haben wir uns auf eine Pflanze geeinigt, die Aloe Vera. Kalle hat zwar ein bisschen den Kürzeren gezogen, konnte damit aber ganz gut leben. Er streitet nicht bis zum bitteren Ende, sondern gibt die Sachen irgendwann aus der Hand. Ich fand es schön, dass wir uns arrangiert haben, er mit Blick auf eine Pflanze, ich ohne Geschäftsführung im Rücken. Ich lasse Kalle sehr ungern gehen, aber vielleicht kann ich ja noch was von ihm lernen – zum Beispiel, wann es Zeit ist loszulassen.

Ulrike Sindlinger, 59, ist seit 25 Jahren Werbegrafikerin in der taz. Mit Kalle hat sie sich auch schon über die Verpackung des tazpresso gestritten: Sie plädierte für rot, er für schwarz. Beide waren so stur, dass am Schluss eine Hausabstimmung gemacht wurde. Der schwarz verpackte tazpresso ist seit Jahren ein Bestseller.

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