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Gesetzentwurf zu IntensivpflegeWorte, die Angst machen

Der neue Gesetzentwurf zur Intensivpflege trifft auf Kritik. Gesundheitsminister Spahn versucht abzuwiegeln, Betroffene bleiben aber misstrauisch.

Schon länger in der Kritik. Der Protest gegen Spahns Pläne im Sommer 2019 Foto: Anna Spindelndreier

Berlin taz | „Patienten in der Intensivpflege können weiter zu Hause betreut werden“, versprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich. Aber auch der überarbeitete Gesetzentwurf zur außerklinischen Intensivpflege, IPReG genannt, schürt Misstrauen und Angst.

Es ist ein Wort, das die Be­troffenenverbände auf die Barrikaden treibt: „angemessen“. Wünschen der Schwerstkranken, zu Hause versorgt zu werden, ist zu entsprechen, „soweit sie angemessen sind und die medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt ist“.

So steht es im Referentenentwurf zum Gesetz, mit dem Spahn die außerklinische Versorgung von schwerstkranken BeatmungspatientInnen neu regeln will.

Misstrauisch stimmt, dass die Prüfungen vor Ort, welche Versorgung angemessen ist, laut Gesetz künftig die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) vornehmen sollen – also genau jene Institutionen, die an Kostendämpfung interessiert sind.

Bisher haben sich Betroffene erfolgreich gewehrt

„Das Problem liegt im Wort ‚angemessen‘“, sagt die behindertenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Corinna Rüffer, „angemessene Wünsche sind Wünsche, die keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursachen“. Diese Prüfung „widerspricht dem Recht, selbst zu entscheiden, wo man leben will“, erklärte Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, am Donnerstag. Die UN-Behindertenrechtskonvention gesteht jedem Menschen ein Wahlrecht bei der Wohnform zu.

Im neuen IPReG-Gesetz wird bei der Prüfung der Angemessenheit auf eine Passage im Bundesteilhabegesetz verwiesen, den Paragrafen 104. Dort geht es nicht um Intensivpflege-PatientInnen, sondern um schwerstbeeinträchtigte Menschen, die im Rollstuhl sitzen und zu Hause auf eine 24-Stunden-Betreuung durch mehrere AssistentInnen angewiesen sind. Bei diesen Betroffenen sollen die „persönlichen, familiären und örtlichen Umstände“ berücksichtigt werden und es soll auch die Möglichkeit eines Kostenvergleichs geben.

Verbände haben bei diesen Leuten bereits Erfahrungen, wie sich dies auswirken könnte. „Bei uns melden sich Leute, denen der Sozialhilfeträger mitgeteilt hat, dass ihnen das persönliche Budget gekürzt werden soll. Diese Leute könnten dann die Assistenz zu Hause nicht mehr finanzieren und müssten in eine stationäre Einrichtung wechseln“, berichtet Constantin Grosch, Vorsitzender von AbilityWatch, einer Plattform für Menschen mit Behinderungen.

Auch Sigrid Arnade, Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL), kennt ähnliche Fälle. Meist aber hätten sich die Betroffenen erfolgreich, auch juristisch, dagegen gewehrt, zwangsweise in stationäre Einrichtungen geschickt zu werden.

Kosten: Bis zu 25.000 Euro pro Monat und PatientIn

Eine außerklinische Eins-zu-eins-Betreuung von IntensivpatientInnen kann die Krankenkasse 25.000 Euro pro Monat kosten, bei der Unterbringung in einer Pflege-WG kommt hingegen nur eine PflegerIn auf drei PatientInnen und der Kostenaufwand ist deutlich niedriger.

Um den Protest bei den ­IntensivpflegepatientInnen gegen das neue Gesetz gering zu halten, hat Spahn einen unbefristeten Bestandsschutz eingebaut für jene, die bereits zu Hause versorgt werden. Der Bestandsschutz wäre nicht nötig gewesen, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass künftig Versicherte aus ihren ambulanten Versorgungssituationen gerissen werden könnten, so Grosch.

Werden IntensivpatientInnen in ein Pflegeheim verlegt, sollen künftig die Eigenanteile der Versicherten an der Heimunterbringung entfallen, so steht es im Gesetzentwurf. Damit will Spahn die Versorgung im Heim für die Familien attraktiver machen. Laut Gesetz gab es im Jahre 2018 rund 19.000 außerklinisch versorgte IntensivpatientInnen.

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2 Kommentare

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  • Der Punkt ist halt, ob man auf Hilfe angewiesen ist. Wenn man selbstbestimmt leben und sich gut fühlen will, muss man sich selbst finanzieren. Schließlich kann man ja von der Gemeinschaft, die einen unterstützt, nicht verlangen, dass sie einem dieselben Grundbedürfnisse zugesteht wie jemandem, der für sich selbst sorgen kann. Dann würden ja alle... ach, na ja, und so weiter. Sarkasmus off.

  • Ich wünsche Herrn Spahn nicht dass er selbst zum Intensivpflegefall wird aber ich wette er würde sich in so einem Fall ebenfalls für eine Pflege zu Hause im gewohnten Umfeld entscheiden in dem er sein Leben weiterhin selbstbestimmt gestalten kann und "nur" mit den gesundheitlichen Einschränkungen zu tun hat. Selbstbestimmung fängt schon damit an selbst zu entscheiden wann man aufsteht, ins Bad geht, was und wann man isst. Schon das unterliegt im Heim dem Dienstplan und Essen gibt's für alle dasselbe zur selben Zeit das liegt in der Natur der Institution Heim und kann auch von engagiertem Pflegepersonal nicht aufgebrochen werden. Freizeitaktivitäten? Freunde besuchen? Gar Abendprogramm wie Kino oder Kneipe? Kein Heim begleitet Menschen zu eigenen Zielen außerhalb der Einrichtung in vielen Heimen funktioniert unter dem Kostendruck nicht mal die Grundversorgung adäquat und bleiben Menschen Stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen weil gerade Übergabe ist oder zu wenig Personal für zu viele Menschen nicht schneller mit der Runde voran kommt. Wer sich beschwert oder eigene Wünsche äußert gilt als "schwierig" oder "unverschämt" nach dem Motto soll er oder sie doch froh sein überhaupt versorgt zu werden. Ich spreche aus Erfahrung da ich sowohl in Heimen als auch in Assistenzvereinen gearbeitet habe. Es sollte Pflicht für aktuelle und künftige Gesundheitsminister:innen sein ein Praktikum zu absolvieren a) in einem Heim und b) in einem Assistenzverein der Menschen am Wohnort und im Umfeld und der Lebensgestaltung ihrer Wahl unterstützt bevor sie mal eben mit diesem oder jenem Gesetz einer ganzen Gruppe von Menschen die Grundrechte abspenstig machen bwz. dafür sorgen dass diese die Hälfte ihrer Zeit damit beschäftigt sind sich eben diese Grundrechte gegen Krankenkassen, Pflegeversicherungen und Sozialämter einzuklagen.