Von Ampelfrauen und wurfgeschosstauglichem Bodenbelag

Der Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani erzählt die Geschichten der kleinen, aber bedeutsamen Dinge im Stadtraum

Vittorio Magnago Lampugnani: „Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum“. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019, 192 Seiten, zahlr. Abb., 30 Euro

Von Brigitte Werneburg

Mit seiner Widersprüchlichkeit kokettierend, hat der Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani seiner aktuelle Recherche über die „Kleinen Dinge im Stadtraum“ den Titel „Bedeutsame Belanglosigkeiten“ gegeben. Ja, doch: hübscher Einfall.

Und als so einen hübschen Einfall kann man auch den ganzen Band bezeichnen. Zunächst ist er eine wahre Fundgrube wunderbarer, nostalgischer Schwarz-Weiß-Fotografien von Telefonzellen, Kiosken, öffentlichen Toiletten, Haltestellen für die öffentlichen Verkehrsmittel und diversen anderen Objekten, als da sind der Brunnen, das Denkmal, die Sitzbank, die Straßenlaterne, die Uhr, der Poller, der Abfalleimer, das Straßen- und das Hausnummernschild. Dazu kommen die Fotos von Ampeln, von der Reklame, den Schaufenstern und, last not least, dem Bodenbelag, der auf einem Foto den Studenten 1968 als Wurfgeschoss dient. Vielleicht haben diese beim Aufheben der Pflastersteine hin und wieder auch die tollen Schachtabdeckungen bemerkt, die die Zugänge zu den unterirdischen Leitungs- und Kanalsystemen markieren.

Die Aufnahmen finden sich in den entsprechenden Kapiteln, in denen Lampugnani die Geschichten der kleinen Dinge im Stadtraum erzählt und auch erklärt, warum sie für die Stadt und städtisches Leben tatsächlich so belangvoll sind. Die Verkehrsampel zum Beispiel war am Anfang eine solche Attraktion, dass sie Menschenaufläufe zur Folge hatte, die ihre Funktion, Ordnung in das Verkehrschaos zu bringen, von vornherein ins Leere laufen ließ. Ein 1925 in Mailand aufgestellter Ampeltyp stiftete mit seiner komplexen Signalfolge derartige Verwirrung, dass ständige Verkehrsstaus die Folge waren.

Erste Fußgängerampeln, so liest man bei Lampugnani, wurden 1933 in Kopenhagen aufgestellt und zunächst beschriftet – in Deutschland etwa mit „Warten“ und „Gehen“. Später wurden daraus Piktogramme, das erfolgreichste, wir wissen es, ist das in der DDR geborene Ampelmännchen, das nun auch im Westen und international zu sehen ist. Inzwischen gibt es auch eine Ampelfrau. In Wien staunten die Fußgänger anlässlich des Eurovision Song Contests über drei neue Varianten in Form eines Heteropärchens, eines homosexuellen und eines lesbischen Paares. Alles dies zeigt, so Lampugnani, „dass selbst ein durch und durch pragmatisches Objekt wie eine Ampel augenzwinkernd, liebevoll und unkonventionell gestaltet werden kann“.

Lampugnanis Nachdenken über die architektonisch-technischen Marginalien des urbanen Lebens zeichnet aus, dass er sowohl in der Lage wie auch Willens ist, komplexe Sachverhalte, beispielsweise den des Denkmals, also dessen Geschichte und Problematik von der Antike bis heute, in gebotener Kürze darzustellen. Das macht die Lektüre zu einer erfreulich unangestrengten Angelegenheit. Auch Dank der Fülle wohlausgewählter Bilder wird man auf kurzem Wege gut informiert und, wenn möglich, mit hübschen Anekdoten versorgt – und schaut mit neuem Wissen und neuer Achtsamkeit in die Welt.