der rote faden: Die Weihnachts-Öko-Revolution ist verschoben
Durch die Woche mit Nina Apin
So. Was macht man jetzt mit dieser Jahresend-Festsaison im Jahr von Greta und Fridays for Future? Einfach supertoll finden, was die jungen Leute da so auf die Beine stellen, aber zu Hause alles so machen wie immer: einen großen Berg von Geschenken im Internet zusammenklicken, sich vor die Haustür liefern lassen, dann alles in buntes Geschenkpapier einwickeln, und zum Fest gibt’s dann doch wieder einen Weihnachtsbaum aus Dänemark, der dann 14 Tage im Wohnzimmer steht, und dazu den obligatorischen Braten, weil: Hilft ja nix?
Wie es in der deutschen Innenpolitik neuerdings so schön heißt: „Ein ‚Weiter so‘ darf es nicht geben!“ Deshalb machen wir es in der Familie jetzt wie die SPD: Wir loten unauffällig die Möglichkeiten aus und machen dann am Ende immerhin eine Viertelrevolution, deren Umsetzung wir vorsichtshalber in die nähere Zukunft verschieben, weil: Bloß nix überstürzen.
Erst einmal die Lage sondieren: Worauf sind die Hauptadressaten der Weihnachtsfeierei, nämlich die Kinder, zu verzichten bereit? Antwort: Auf erstaunlich viel: Adventskalender mit einzeln plastikverpackten Schokolädchen muss nicht sein. Das recycelte Pappteil aus den letzten Jahren ist doch prima. Und das viele Klimbim im Nikolaussack? Brauchen wir nicht, heißt es, aber bisschen was Süßes aus dem Ökomarkt wäre schon schön. Ja und die Geschenke? What?! Kein Lego Ninjago, keine Piratenachterbahn? Geht gar nicht! Dafür könne man auf den Baum aus dem Baumarkt verzichten und zum Beispiel in den brandenburgischen Wald fahren, um dort zusammen eine regionale Tanne zu schlagen – quasi als Familienevent. Die könnte man dann mit selbst gebasteltem Weihnachtsschmuck dekorieren und mit selbst gezogenen Kerzen bestücken.
Darauf wir Eltern: WTF? Kinder, wir müssen ar-bei-ten! Es müssen Zeitungen produziert, Workshops gegeben und Projekte zum Abschluss gebracht werden, bis kurz vor Heiligabend! That’s life, Doppelverdienerhaushalt mit doppeltem Wenigverdienst ist gleich ultimative Zeitknappheit – wir haben echt keine Zeit, stundenlang in brandenburgischen Wäldern rumzuschlappen oder Wachskerzen zu ziehen!
Die Tochter bekam daraufhin einen astreinen Juso-Anfall: Wenn hier alle immer nur arbeiten müssten und nie einer Zeit habe, dann könne man das auch alles gleich lassen mit diesem Advents-Weihnachts-Getue, dann müsse man sich echt mal überlegen, welchen Sinn es habe, überhaupt eine Familie zu gründen. Systemausstieg jetzt! Andernfalls werde sie ihre im Hort angefertigten Linolschnitte dann eben an Eltern verkaufen, die pünktlich und zu zweit beim Weihnachtsbasar erscheinen. Es drohte ein kurzer Meltdown: Der Vater schaltete auf aggressive Vorwärtsverteidigung und gab den Scholz: Das Geld wachse nicht auf Bäumen und irgendwer müsse ja auch die sauteuren Reiterferien und den Sportverein bezahlen. Der Sohn, Realo durch und durch, schlug vor: Dann kaufen wir halt Schokolade, Baum und Kerzen im Biomarkt, es gibt für jeden nur ein kleines Lego und ein Buch und man könnte doch einfach ein Raclette machen?
Kurzfristige Entspannung, Systemausstieg abgewendet. Bis wenige Tage später die Silvesterfrage aufkam: Wohin und mit wem und Böller oder nicht? Das war mein Moment: Ich hatte da schon eine Tischvorlage vorbereitet und beantragte, aus Tierschutzgründen mit der armen Katze zu Hause zu bleiben und sie durch die lauteste Nacht des Jahres zu begleiten. Und statt Böller zu kaufen, würden wir den Betrag spenden: an eine Organisation, die wir uns, in Ruhe und zu viert, zusammen aussuchen.
Der Antrag ging problemlos durch. Ich goss mir einen Tee namens „Winterharmonie“ ein und las auf Spiegel online, was, angestoßen von einem Artikel mit dem schönen Titel „Advent, Advent, die Mutter rennt“, diskutiert wurde: Ich blickte in einen Abgrund aus Doppelbelastung: das Rennen vom Job zur Hortweihnachtsfeier, das prekäre Jonglieren von Familien- und Arbeitskalendern, der zutiefst unsolidarische Mütterwettstreit um das tollste Vorweihnachtsfamilienprogramm, kurzum: das Strampeln, um mit den eigenen Ansprüchen, die mit der Rolle als arbeitende Mittelschichtsmutter (vereinzelt auch Vater) einhergehen, mithalten zu können. Viele verzweifelte und wütende Menschen, vor allem Mütter, teilten ihre Nervenzusammenbrüche.
„Ein ‚Weiter so‘ darf es nicht geben“, dachte ich. Dann holte ich tief Luft und rief meine Mutter an: „Wie wär’s, wenn wir Weihnachten zu euch kämen?“ Jetzt wird in Bayern gefeiert, mit einer regionalen Tanne, Tonnen von jahrzehntelang wiederverwendetem Baumschmuck, Bienenwachskerzen vom Ökomarkt. Und darunter wird ein bisschen Lego liegen.
Die Revolution ist verschoben, im neuen Jahr geht’s weiter.
Nächste Woche: Robert Misik
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