„ Ich fühle mich da überhaupt nicht als Teil der Szene“

Mit 17 Jahren ging Marina zum ersten Anschaffen. An der Straße stand sie nie, nur im Internet. Begonnen hat es mit einer Mutprobe

Marina,26, heißt eigentlich anders und arbeitet in diversen bürgerlichen Berufen. Sex verkauft sie, seit sie 17 ist.

Protokoll von Jan-Paul Koopmann

Als Namen hatte ich mir beim ersten Mal Marina ausgedacht, aber der Typ wusste schon, wie ich wirklich heiße. Heute ist mir das total unheimlich, aber in dem Moment dachte ich komischerweise nur: „Das hätte ich mir ja sparen können.“ Ich war also eher genervt. Jedenfalls hatte ich nicht – was ja normal und auch richtig gewesen wäre – so eine Angst, dass hier alles Verarschung ist. Eigentlich stand ich die ganze Zeit nur neben mir. Ich war überhaupt nicht vorbereitet auf das Treffen.

Ich war damals gerade zwei Monate mit meinem Freund zusammen. Der hat in verschiedenen Klubs als Techniker gearbeitet und kannte viele Prostituierte vom Sehen. Es klingt komisch, aber wir haben die ganze Zeit Witze drüber gemacht, dass ich das ja auch machen könnte und er dann alles regelt. Das war wirklich nicht ernst und dann ist eine Mutprobe draus geworden. Ich weiß das nicht mehr so genau, aber jedenfalls habe ich irgendwann eine SMS bekommen. Jemand wollte mich „kennenlernen“, nachmittags bei einer privaten Adresse in Ottensen. Ich hab versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich keine Ahnung habe, und hinterher hab ich nicht mal das Geld mitgenommen. Das hab ich dann später von meinem Freund bekommen. Damals war ich 17.

Ich bin in den nächsten neun Jahren ungefähr 30 Mal anschaffen gegangen. Das ist fast nichts, wenn man mich mit den Kiez-Frauen vergleicht, aber es war schon immer wichtiger als meine anderen Jobs. Oder was anderes. Ihr sagt ja Sexarbeit dazu. Ich habe mich da nicht angesprochen gefühlt. Ich fühle mich da überhaupt nicht als Teil der Szene: Als ich meine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht habe, war ich mal mit Kolleginnen auf dem Kiez, die dann die ganze Zeit Witze über „die Nutten“ gemacht haben. Und ich fand das auch lustig, obwohl ich schon seit einem Jahr selber dran war.

An der Straße habe ich aber nie gestanden. Immer nur Internet. Am Anfang in verschiedenen Foren und später hat mich ein Kunde in eine Whatsapp-Gruppe eingeladen. Die war richtig komisch. Da waren fast 50 Leute drin, von denen aber nur ein paar was geschrieben haben. Witzbilder und irgendwelche Sprüche. Da ging es um alles Mögliche, meistens überhaupt nicht um Sex. Zwischendurch hat mal wer ein Tittenbild geschickt, aber mehr auch wirklich nicht. Nach ein paar Tagen hat mich einer aus der Gruppe direkt angeschrieben, ob wir uns treffen wollen. Da hatte ich noch nicht mal was gepostet. Und so ging das dann weiter. Direkt in der Gruppe hat nie jemand nach Sex gefragt oder was angeboten. Richtig verstanden hab ich das nicht, aber es hat eine Weile ganz gut funktioniert. Man kannte sich eben ein bisschen. Die Männer jedenfalls: Mit den anderen Frauen hatte ich nie was zu tun. Ich bin auch sonst mit keiner einzigen Prostituierten befreundet.

„Als ich damals angefangen habe, wusste ich ja nicht mal, dass Prostitution gar nicht verboten ist. Ich dachte, das wäre illegal“

Als plötzlich überall von Peppr [eine App zur Vermittlung von Sexarbeiter*innen] die Rede war, hab ich auch überlegt, ob ich mich anmelden soll. Aber das wirkte so offiziell und öffentlich. Und als später dann die Anmeldepflicht kam, war ich auch ganz froh, nur in kleinen Gruppen zu sein. Ich hab mich nicht registriert und zahle auch keine Steuern. Gar nicht wegen Geld: Ich wohne mittlerweile in einer Kleinstadt und da kann ich nicht einfach zum Amt gehen und sagen, dass ich nebenbei als Prostituierte arbeite. Das spricht sich sofort rum.

Vielleicht ist es auch eh vorbei. Ich war seit fast einem Jahr nicht mehr unterwegs und hab es auch gerade nicht vor. Dass jetzt alle von Verboten reden, wundert mich. Aber mehr auch nicht. Als ich damals angefangen habe, wusste ich ja nicht mal, dass Prostitution gar nicht verboten ist. Ich dachte, das wäre illegal und hab mich vor vielen ersten Dates gefragt: „Was machst du, wenn das jetzt die Polizei ist?“