Böse Mächte und Teenieschweiß

Für Filmemacher ist die Shopping-Mall ein dankbarer Ort: An ihm kommen viele verschiedene Menschen zusammen, und durch die Präsenz der ausgestellten Waren hinter Glasscheiben ist er zugleich ein Sinnbild für die Glücksversprechen des Kapitalismus

Lecker, lecker Menschenfleisch: In „Dawn of the Dead“ erobern Zombies eine Shopping-Mall Foto: imago/Prod.DB

Von Benjamin Moldenhauer

Oft sind Shopping-Malls die natürlichen Schauplätze von Teenagerfilmen. Logisch: Wenn man noch kein Geld hat, um in Klubs oder Bars rumzuhängen beziehungsweise so jung ist, dass eine Ausweiskontrolle böse enden könnte, gibt es wenig andere öffentliche Räume, die warm und belebt sind, in denen man sich treffen kann. Die symbolische Stellung der Shopping-Mall als Showroom des Konsumkapitalismus ruft daneben allerdings noch einige andere Genres auf den Plan – und provoziert den Spaß an der Zerstörung:

Fast Times at Ridgemont High

(USA 1982, Regie: Amy Heckerling)

Der stilbildende Ensemble-Film der frühen Achtziger für und über die amerikanische, weiße Middle-Class-Jugend: Eltern und andere Erwachsene spielen in dem High-School-Klassiker bestenfalls Nebenrollen. Alles, was passiert, geschieht in den zwei Zentren, in denen das spätpubertäre Leben in Amy Heckerlings Regiedebüt sich lautstark entfaltet: der Schule und der lokalen Shopping-Mall. Beide sind in diesem Teenie-Film, einem der schönsten seiner Zeit, keine Orte der Tristesse oder gar des Schreckens, sondern schlicht Scharniere zur Welt der Erwachsenen. „Fast Times At Ridgemont High“ interessiert sich vor allem für realistische Porträts seiner Figuren, und auch die Mall ist hier ein denkbar unspektakulärer, alltäglicher Ort.

Mallrats

(USA 1995, Regie: Kevin Smith)

Die Shopping-Mall als natürliches Habitat des Neunzigerjahre-Slackers: Von einem kurzen Prolog abgesehen spielt „Mallrats“ nahezu ununterbrochen in Shopping-Mall-Hallen und -Räumen. Kevin Smiths Nachfolger zu seinem Debüt „Clerks“ kann einem in seiner forcierten Infantilität schon arg auf die Nerven gehen. Aber er zeigt sehr schön, was die Shopping-Mall in den Achtzigern und Neunzigern als sozialen Ort ausgemacht hat: Das Abhängen im Einkaufszentrum, das Nichtstun, das die nie erwachsen gewordenen Figuren hier ausdauernd vorführen, zeigt das Einkaufsparadies als Setting niederdrückender Langeweile, dem hier mit allerlei überspannten Aktivitäten und Fäkalhumor entgegenarbeitet wird.

Dawn of the Dead

(USA 1978, Regie: George A. Romero)

Geld verdienen im Einkaufszentrum: Phoebe Cates und Jennifer Jason Leigh in „Fast Times at Ridgemont High“ Foto: imago/Prod.DB

Eine der erste filmischen Auseinandersetzungen mit der Shopping-Mall als einer Art Welt- oder auch Spätkapitalismus-Metapher ist George A. Romeros zweiter Zombiefilm „Dawn of the Dead“. Der deutsche Filmtitel ist konkreter: „Zombies im Kaufhaus“. Und das ist es dann auch schon: Eine kleine Gruppe Menschen hat sich in einer Mall verschanzt, draußen tobt die Zombie-Apokalypse. Mehr und mehr Untote dringen in die Warenwelt ein. Das Kaufhaus wird hier ganz direkt, wie man das in den Siebzigerjahren noch gern gemacht hat, als Herz des Spätkapitalismus begriffen. Die Untoten latschen mit leerem Blick durch den Konsumtempel, so sagte man damals. Unkoordiniert und träge die Rollentreppe rauf und runter und dann kopfüber ins Zierfischbecken. Aufhalten kann man sie nur mit einem Schuss in den Kopf. Die in vielen Mall-Filmen implizite Konsumismus-Kritik findet hier ein denkbar rustikales Bild.

Chopping Mall

(USA 1986, Regie: Jim Wynorski)

Der Plot ist schon einmal beglückend blödsinnig: In der Park Plaza Mall wird die Security bewaffneten Robotern übertragen. Es kommt, wie es kommen muss, die Roboter drehen durch und machen Jagd auf Teenager, die sich nachts verbotenerweise zum Partymachen in den Räumen der Mall treffen. Darüber hinaus ist für die Zuschauer*in in diesem Film nicht viel zu holen, zumindest nicht, wenn man die im Prinzip gängigen Kriterien guten Filmemachens anlegt. Wenn man die Kriterien aber großherzig erweitert, kann man viel Spaß haben. Die Effekte und Dialoge sind von einer bezaubernden Unbedarftheit. „Chopping Mall“ war im Kino damals ein kommerzielles Desaster, auf Video aber soll Jim Wynorskis Film dann eine treue Anhängerschaft gefunden haben.

Shopping Center King

(USA 2009, Regie: Jody Hill)

Nominell eine Komödie, ist „Shopping Center King“ ein arg finsterer Film, der jede einzelne seiner Figuren insgeheim zu verachten scheint. Das gleiche gilt für das Setting, die Shopping-Mall, in der Ronnie (Seth Rogen), der Protagonist des Films, als Security Guard arbeitet. Ein Ort der aufpolierten Hässlichkeit und der Niedertracht. Der Plot ist eigentlich egal: Ein Exhibitionist macht die Mall unsicher, Ronnie, manisch-depressiv, nicht der Schnellste im Denken und unglücklich verliebt, ermittelt auf eigene Faust. Er setzt die Psychopharmaka ab und beginnt, mehr und mehr freizudrehen. Die Mall ist der passgenaue Rahmen, in dem das Elend sich hier entfalten kann. Im alles in allem nicht sonderlich lustigen „Shopping Center King“ fungiert sie als Metapher für ein trauriges, immer wieder misslingendes Leben.

Blues Brothers

Flirt zwischen Schuhregalen: Shannen Doherty und Ben Affleck in „Mallrats“ Foto: imago/Prod.DB

(USA 1980, Regie: John Landis)

Die Chase Scene, in der Dutzende Polizeiautos Jake und Elwood Blues durch eine Shopping-Mall verfolgen, ist die vielleicht schönste Einkaufszentrumszerstörung im Kino der Achtzigerjahre. In knapp drei Filmminuten wird die Chicagoer Dixie Square Mall nahezu komplett zerlegt. Eine emblematische Vorwegnahme des Niedergangs der Shopping-Malls in der Welt außerhalb des Kinos: Die Mall war seit einem Jahr außer Betrieb, als sie als Kulisse für „Blues Brothers“ genutzt wurde. Und nachdem da etwa 30 Polizeiwagen durch diverse Fensterscheiben geflogen und alles abgedreht war, ließ die Filmcrew alles so, wie es war, und zog von dannen. Die Dixie Square Mall verfiel und wurde erst 2012 abgerissen.

Stranger Things

Das aktuellste Beispiel einer stilsicheren Mall-Inszenierung findet man in der dritten Season der Netflix-Serie „Stranger Things“. Die Szenen in der „Starcourt Mall“ wurden in einer Shopping-Mall in einem Suburb von Atlanta gedreht – einer Mall, die nahezu verwaist gewesen sein und nur noch wenige Geschäfte beherbergt haben soll. Für den Dreh wurden 40 Geschäfte und Restaurants nachgebaut, die wirken, als seien sie aus dem Set von „Fast Times at Ridgemont High“ geklaut. Wie die gesamte Serie ein schöner Nostalgie-Exzess für alle ist, die im Amerika oder dem US-Kino der Achtzigerjahre groß geworden sind.