Wenig Licht im Dunkelraum

Das Theaterstück „Dark Room“ will in Hannover dem „Schauermärchen von der Sexualität“ ein sexuelles Manifest des Raumes entgegenstellen. Aber vieles bleibt dabei unbeleuchtet

Schlichter Text, schlicht bebildert: Viel erhellt der Blick in den „Dark Room“ nicht Foto: Karl-Bernd Karwasz

Von Jens Fischer

Mich hat schon lange niemand mehr geleckt. Fuck my face. Ich will ja schon immer, dass mir ein Mann in den Mund spuckt. Oder das Achselhaar krault, den Arsch liebkost. Will einfach mal wieder teuflisch einen geblasen bekommen, von 100 Händen befummelt werden oder abspritzen, wenn jemand mir ins Gesicht defäkiert.

Tja, es sind so kleine Wünsche jenseits des heteronormativen Beischlaf-Alltags, von denen da auf der Bühne berichtet wird. Es sind Ergebnisse von „Feldforschung“, wie Autor Johannes von Dassel seine Recher­chearbeit nennt, und auch Zitate aus Interviews mit sexpositiven Freunden ihrer Lust, die Regisseur Ran Chai Bar-zvi geführt hat. Narrativ wie diskursiv sollte daraus das Theaterstück „Dark Room“ entstehen, das jetzt im Theater, einem klassischen Dark Room also, uraufgeführt wurde. Am Schauspiel Hannover.

BDSM und Blinde Kuh

Weil wohl nur eine Miniminderheit der Hannoveraner Bürger je einen von innen gesehen hat, ist es sicherlich eine aufklärerisch wertvolle Arbeit, die orgiastischen Mythen, freiheitstrunkenen Gruselgeschichten, Sadomaso-Träume und Befreiungsfantasien von Geschlechter-Klischees, die sich um diese Räume ranken, auf ihren Wahrheitsgehalt hin mal zu durchleuchten, also Sehnsucht und Wirklichkeit zu analysieren. Einfach Licht in die dunklen Hinterzimmer bringen, die seit den 1970er-Jahren vor allem in Bars, Discos, Saunen und Klubs der queeren Szene, inzwischen auch in heterosexuellen Swinger-Etablissements zu besuchen sind.

Riechen, Tasten, Hören, Schmecken sollen darin intensiviert werden, da die Augen in der Dunkelheit nicht genug Sehfutter bekommen. Was auch besser so ist. „Wer würde hier Sex haben wollen, denke ich, es ist so unsexy, also, undekoriert, denke ich, so optisch unsexy, kalt, nix Rotes, keine Kissen, alles Beton, Metall, Wände, Nischen, schätzte ich abschätzig ab.“ So charmefrei wie im Stücktext beschrieben ist die Ballhof-Bühne hergerichtet. Dazu gibt es dumpfe Techno-Mucke, schummrig kalt-weißes Licht, etwas Nebel und grelle Leuchtstoffröhren-Effekte.

In den nicht wenigen Disco-Tanz- und Körperexaltations-Szenen sind denn auch nur Silhouetten und Umrisse der im Raum befindlichen Personen zu erkennen, die sich in der Anonymität der Dämmerung annähern, küssen, befummeln, bespritzen, umschlingen, Sex und Blinde Kuh spielen, auch von BDSM-Installationen und -Spielzeug erzählen. Dabei klettern sie durch die Zuschauerreihen, und wenn sie angefasst werden, beginnen sie zu hecheln. Der Typ mit Lust auf die Spucke fremder Männer streckt einladend die Zunge raus und leuchtet sich mit der Taschenlampe die Mundhöhle aus – illuminiert so den Zielpunkt der Speichelquallen. Aber niemand im Publikum erbarmt sich.

Zu Beginn des Clubbing-Abends ist das Schauspieler-Quartett noch unsichtbar, aber unüberhörbar: tiriliert lauthals Sexgejuchze, trippelt dann in Ancient-Regime-Kostümierung der „Gefährlichen Liebschaften“ (Briefroman von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos) herein und zeigt eine Tennis-Pantomime – mit eben diesen Lautäußerungen beim Schlagen des Balls. Sport ist also nur Sex mit anderen Mitteln?

Könnte eine lustige Einstiegsthese sein. Die dann aber nicht weiter verfolgt wird. Schließlich muss ja gleich mal fachmännisch „la petite mort“ angesprochen werden – ja schaut, wie die beseelt die Jungs aneinander kleine Tode vollführen, heißt es, sich also zum Orgasmus bringen. Die Spieler tragen inzwischen Latexhose, Netzhemd, Lederhalsband oder gar nichts.

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Sexualität. Es ist hohe Zeit, dass die Sexuellen ihre Anschauungsweisen, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Schauermärchen vom Gespenst der Sexualität ein Manifest des Raumes“, des Dark Rooms entgegenstellen. Derart deutet von Dassel das kommunistische Manifest in ein sexuelles um. Klingt frech, aber was das Kitzeln und Ausleben der menscheneigenen Libido mit der Marx’schen Analyse des menschengemachten Kapitalismus und dem daraus folgenden Aufruf zur politischen Weltrevolution zu tun hat, erklärt der Autor nicht. So ist der Vergleich eher eine schwiemelige Anmaßung, die irritiert.

Denn im Dark Room werden weder Theorie- noch Praxisarbeit zur Befreiung des Menschen zu sich selbst Ereignis – noch wird die Welt erklärt. Nur etwas Druck wird abgelassen und damit bestenfalls im Verborgenen gegen Konventionen sowie für mehr Spaß und Diversität des geschlechtlichen Mitein­anders protestiert.

Aber von Dassel will den Ort unbedingt auch als Symbol verstanden wissen, wir seien alle Dark Rooms, wird auf der Bühne verkündet, und sollten ein Fest des „Unausgeleuchteten in uns“ feiern. Das habe auch eine gesellschaftlich integrative Wirkung. Mit all den Überhöhungsversuchen und den (teilweise auch ausgedachten?) O-Tönen der Nutzer ist der Theaterabend – sympathisch mutig – geradezu eine Werbeveranstaltung für Dark Rooms.

Einerseits ist es für die eine oder den anderen sicherlich interessant, dem Jargon der Dark-Room-Fans mal im Theater lauschen zu können. Noch interessanter aber wäre es gewesen, wenn die Begeisterung auch mal hinterfragt worden wäre. Denn in der Collage aus Monologen und spärlichen Ausflügen in verlorene Gespräche klingen nur dezent kritische Töne an – etwa dass häufig Drogen im Spiel sind, die den Sextrieb nicht gerade in Topform agieren lassen. Oder wie belastend es sein kann, zwischen ehelichem Sex daheim und anonym queerem Sex zu wechseln.

Nur dezent kritisch

Auch dass Transsexuelle im Dark Room nicht so auf ihre Kosten kommen, ausgegrenzt werden, weil sie der Fortsetzung des alltäglichen Leistungsdrucks auf sexueller Ebene nicht gewachsen sind. Da wäre genaueres Hingucken vielleicht angebracht gewesen, wer dort warum welche Sexualität wie auslebt. Auch fehlt der Hinweis, dass Dark Rooms keine sozialen, sondern Teile kommerzieller Einrichtungen sind.

Schließlich entdeckt ein Typ seinen Chef um Dunklen. „Mir läuft ein Tropfen Honig den Stil herunter. Vom Schmettern des Tropfens auf den kalten Boden kriegt er mich plötzlich mit seinen schweren, braunen Augen zu fassen.“ Tatsächlich legt er als Knöchelschnüffler los und beider gierige Körper verknoten sich ineinander. Mit betörend zuckender Lightshow wird erneut überdeckt, wie beeindruckend unergiebig der aufgeführte Text, wie schlicht die bebildernde Performance ist – wie dunkel die Dark Rooms letztendlich bleiben.

„Dark Room“: So, 24. 11., 19 Uhr, Hannover, Ballhof Zwei. Weitere Termine: 6. und 21. 12.