: „Ich bin ein Feind von Populismus“
Florian Pfeffer ist neuer Sprecher im Landesvorstand der Grünen: Wie er Koalitions-Konflikte bewältigen und seine Partei in Sachen Schuldenbremse positionieren will, verrät er im Interview
Interview Benno Schirrmeister
taz: Glückwunsch, Herr Pfeffer! Wieso nochmal wollten Sie Grünen-Chef werden?
Florian Pfeffer: Meine Bewerbung als Sprecher des Landesvorstands war nicht die naheliegendste: Ich bin zwar seit Anfang der 2000er Mitglied, auch hier in Bremen, aber ich war wie viele andere …
… eine Karteileiche?
Ich würde sagen: einfach Mitglied. Das ist ja auch schön und wichtig. Meine Familie hat lange in Amsterdam gelebt. Erst vor einem Jahr sind alle wieder hierhergezogen, nach Bremen. Und ich hatte mir vorgenommen: Wenn ich wieder richtig hier bin, dann möchte ich mich auch mehr engagieren.
… als Partei-Chef?
Ganz so ist es nicht. Ich hatte bei der jüngsten Wahl auf Anregung aus dem Landesvorstand für die Bürgerschaft kandidiert, auf einem der hinteren Plätze – um in den politischen Prozess reinzukommen, Leute kennenzulernen, Wahlkampf mitzumachen. Aber was stimmt: Ich bringe jetzt noch die Sicht von außen mit. Ich bin nicht das grüne Ur-Gestein und bewege mich nicht seit jeher in diesen politischen Zusammenhängen. Das kann ein Vorteil sein.
Aber gleich Bürgemeister werden wollen Sie nicht?
Nein, ich will nicht eben mal „nur Bürgermeister“ werden. Ich nehme Politik nicht auf die leichte Schulter. Gäbe es nur Newcomer und würde kontinuierliches Engagement gar nicht zählen, fände ich das fatal. Es kommt auf die Mischung an. Ohnehin ist das Amt des Landesvorstandssprechers anspruchsvoll genug in einer Regierungspartei im Dreieck zwischen Bürgerschaft, Senat und Partei.
Der Koalitionsausschuss dürfte in der aktuellen Konstellation wichtig werden?
Das wird so kommen, da bin ich sicher. Er ist jetzt schon wichtig und die Konflikte werden erst in den kommenden Jahren richtig zu Tage treten.
Beim Mietendeckel oder der Schuldenbremse zeichnen sich ja jetzt schon Friktionen ab.
Das sehe ich auch so. Im Moment laufen sich alle warm. Aber: Das ist hier die erste rot-grün-rote Koalition in Westdeutschland. Mir ist es wichtig, dass daraus ein Erfolg wird. Und ich bin sicher, dass unsere Partner*innen das genauso sehen. Wir werden also alle aufpassen, dass wir uns im Streit nicht zerlegen.
In der Frage der Schuldenbremse nehmen Bremens Grüne eine Sonderstellung ein: Während die Bundespartei die zurückfahren will – attestiert Linken-Chef Christoph Spehr den Bremer Grünen „ein religiöses Verhältnis zur schwarzen Null“. Bleibt das so?
Florian Pfeffer, 49, hat Design in Würzburg, Bremen und Mailand studiert, ist Gründer der Agentur one/one studio und Dozent an der Hochschule Karlsruhe.
Religiöses Verhältnis – hat er das wirklich so gesagt?
Beim Parteitag vor zwei Wochen.
Das ist keine glückliche Wortwahl. Es gibt Menschen, die attestieren uns ein religiöses Verhältnis zum Klimawandel, die Linke zur Schuldenbremse – das ist jeweils der Versuch, den rationalen Diskurs zu leugnen. Es gibt gute Argumente gegen die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form, und ich finde es richtig, dass die Grünen auf Bundesebene die Debatte führen. Aber weder geht es darum, die Schuldenbremse komplett zu streichen, noch ist die Lage in Bremen mit der im Bund zu vergleichen. Im Bund gibt es so hohe Steuereinnahmen wie nie und es ist gelungen, die Staatsschuldenquote zu reduzieren. Da ist die Problematik nicht mehr so akut, auf die mit der Schuldenbremse reagiert wurde.
… also die Überschuldung und der Ausverkauf des Staats an die Banken?
Genau: Das wird ohnehin zu leicht vergessen, dass es Banken sind, die dem Staat das Geld leihen – und nicht irgendwelche sehr altruistischen Menschen. Dass auch in Bremen jetzt die Schuldenuhr endlich rückwärts läuft, halte ich für eine Errungenschaft. Die sollten wir nicht einfach wegschenken.
Es geht ja auch nicht um wegschenken, sondern um notwendige Ausgaben.
Das ist das Bremer Dilemma. Wir müssen priorisieren, wie wir die wenigen Mittel verteilen. Ich persönlich würde Bildung an erste Stelle setzen. Trotzdem bleibt die Frage, ob das reichen wird: Die Liste der Dinge, die getan werden müssen, ist zu lang. Da ist das Geld, das wir durch die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs zusätzlich zur Verfügung haben, schnell weg. Aber: Man müsste auch schön tricksen, um eine Neuverschuldung in Einklang mit der Landesverfassung hinzubekommen.
Trotzdem wollen auch viele Grüne den rigiden Kurs verlassen, für den auch Ihr Vorgänger stand. Wie wollen Sie diesen Konflikt bearbeiten?
Ich halte das für eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Landesvorstands: Es muss uns gelingen, diese Diskussion gut zu organisieren. Ich will, dass wir einen klaren Standpunkt formulieren und nicht einen Missklang von Wortmeldungen. Eine Partei sollte weiter in die Zukunft zu schauen, als es die Regierungsmitglieder und Abgeordneten im Tagesgeschäft manchmal können.
Bei der Neuwahl der grünen Parteiführung bekam Alexandra Werwath, seit 2018 Sprecherin des Vorstands, 94 Ja-Stimmen bei 133 gültigen Voten.
Als männlicher Vorstandssprecher wurde Florian Pfeffer mit 104 von 134 gültigen Stimmen gewählt. Das beste Ergebnis erzielte Beisitzerin Katharina Sonntag mit 90 von 98 abgegebenen Stimmen.
Das ist momentan nicht so?
Ich empfinde es als sehr vielfältig. Es rumort und die vielen Meinungen zu bündeln und in eine konstruktive Debatte einzubringen, ist das, was uns gelingen muss. Wir dürfen nicht vergessen: Wir stehen in Bremen in der Verantwortung. In der Opposition könnte man leicht eine populistische Nummer daraus stricken. Aber das würde uns nicht gut stehen – selbst wenn wir nicht regieren würden. Ich bin ein Feind von Populismus.
Was ist das Wichtigste am Projekt Grüne Partei?
Unser großes Thema ist der Klimawandel. Momentan habe ich den Eindruck, dass wir – nicht nur in Bremen, auch im Bund – einen großen Anlauf nehmen, durchaus mit ungewissem Ausgang, wie weit wir in der Lage sind zu springen.
Man kann auch als Bettvorleger landen.
Aber auch dafür muss man gesprungen sein: Schiefgehen kann immer alles. Nein, mein Eindruck ist, dass sehr viele in der Gesellschaft in dieselbe Richtung laufen – ganz unabhängig von der Partei, aber mit großen Erwartungen an uns: Das sind natürlich Fridays for Future, NGOs, die Kirchen aber auch überraschend viele Kräfte aus der Wirtschaft. Wir als Partei müssen es schaffen, noch mehr Menschen in diesem Anlauf mitzunehmen: Wenn wir das Problem lösen wollen, brauchen wir alle. Das geht nur mit der Industrie, nicht gegen sie. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, wie der Kampf gegen Klimawandel funktionieren soll, wenn du die soziale Seite nicht berücksichtigst. Also: Die Öffnung der Partei hin zu Gruppen und Themen, die bei uns noch zu schlecht vertreten sind, das habe ich mir für die kommenden zwei Jahre vorgenommen.
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