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Ein Fundbüro für Talente

Die Offene Jazzhaus Schule in Köln gibt 60 Mädchen die Möglichkeit, ein Musical einzustudieren. Zum Casting kamen doppelt so viele. Mit leeren Händen ging trotzdem keine von ihnen nach Hause

Dieses Casting sucht nicht den Superstar, die schillerndste Girlgroup, das schönste Model, den witzigsten Comedian

VON CLAUDIA LEHNEN

Das blonde Mädchen mit der rosafarbenen Schirmmütze sieht aus wie eine Marionette, deren Glieder am seidenen Faden geführt werden. Sie ahmt die Bewegung einer Lokomotive nach. Mit abgehackten Bewegungen robbt Marie an einer imaginären Mauer entlang. Ihre Wangen sind gerötet und wenn sie atmet, hört sich das an, als würde man mit den Fingern über raues Schmirgelpapier streichen. Als sie ihre Musikkassette aus dem Rekorder fischt, lächelt die 12-Jährige. Die Tänzerin Debora Remagen hat sie gerade gelobt. „Das war sehr gut. Vielen Dank.“

Marie nimmt am Casting für das Mädchenprojekt der Offenen Jazzhaus Schule in Köln teil. Nach den Sommerferien dürfen 60 Schülerinnen im Alter zwischen 11 und 21 Jahren ein Musical zum Thema „Und dann gehörst du zu uns“ erfinden und aufführen. 130 Mädchen sind zum Casting gekommen, um in einer der Kategorien Tanz, Theater, Gesang, Band und Video zu zeigen, was sie können. Marie will als Tänzerin am Projekt teilnehmen. Wegen des „Beats“, der ihr Arme und Beine unter Strom stelle. Hinter ihr macht Kamilla noch Lockerungsübungen. Sie kommt gleich dran. Ihr Gang ist rund, wenn sie über den Dielenboden dribbelt. Vielleicht ist sie auch nur aufgeregt. Schließlich ist Tanzen für die 15-Jährige so etwas wie ein Freund. Einer, der bei Problemen da ist und ihr den Kopf frei pustet. „Ich hoffe, dass es heute klappt“, sagt Kamilla.

Gabi Deeg von der Jazzhaus Schule ragt wie ein Leuchtturm aus stürmischer See. Rings um sie hockt und hopst eine Meute aufgeregter Mädchen. Mitten im Chaos sitzen aber auch welche, die sich vorgenommen haben, sich vor dem großen Auftritt so wenig wie möglich zu bewegen. Aus Angst um die ins Gesicht geföhnten Haarsträhnen, das akkurate Make-up oder die mühsam gebändigten Nerven. „Niemand muss aufgeregt sein“, beruhigt Gabi Deeg. Jede, die diesmal nicht ausgewählt werde, bekomme beim nächsten Workshop noch eine Chance. Am liebsten würden sie alle anwesenden Mädchen am Workshop teilnehmen lassen. „Es gibt viel mehr Gute, als Plätze zur Verfügung stehen“, sagt sie. Schließlich gehe es hier nicht nur um Kunst. Dieses Casting suche nicht den Superstar, die schillerndste Girlgroup, das schönste Model, den witzigsten Comedian. Es suche überhaupt nicht, sei vielmehr ein Fundbüro, in dem Mädchen entdecken können, welche Talente in ihnen schlummern.

„Das hier ist ein soziokulturelles Projekt“, sagt Deeg. Beworben wurde es hauptsächlich in Stadtteilen, wo es kaum kostenlose Angebote für talentierte Mädchen gibt. In Raum Nummer fünf kippt gerade die Stimmung. Zwei Mädchen stehen sich dort gegenüber. Die eine hat abwehrend die Arme vor der Brust verschränkt und schaut, als kommuniziere sie mit einer besonders hässlichen Erdkröte. „Wie konntest du mir das antun. Ich habe ihn geliebt.“ Die andere wechselt gerade von der Rolle der reuigen Sünderin in die der Genervten. „Reg‘ dich ab. Hättest du eben besser aufpassen sollen!“

Nach der Improvisationsübung vor Schauspielerin Selda Akhan springen Martina und Nina aufgeregt schnatternd die Turmstufen hinab. Ob ihre kurze Vorstellung für einen Platz als Musicaldarstellerin gereicht hat, wollen sie jetzt gar nicht diskutieren. Sie haben erfahren, dass sie aus dem Stegreif die geifernden Freundinnen spielen können. „Und Spaß hat es gemacht“, sagt Nina. Und Martina hat ohnehin schon entschieden, dass sie Schauspielerin werden will: „Schauspiel ist mein Leben. Das schaffe ich auf jeden Fall.“

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