berliner szenen: Das war keine Berlinerin
Mein Fahrrad und ich stehen an einer Ampel und wir warten auf Grün. Vor uns ein Knäuel anderer Menschen mit Rädern, daneben auf dem Bürgersteig ein kleines Mädchen an der Fußgängerampel. Es ist ein niedliches Kind mit hellem Kleidchen und dunklen Zöpfen, und eigentlich viel zu klein, um allein unterwegs zu sein.
Etwas beunruhigt beobachte ich sie. Hochkonzentriert fixiert sie die rote Ampel. Gehört vielleicht die Frau mit Hund zu ihr, die gegenüber steht? Aber die raucht nur nonchalant vor sich hin und guckt ganz woanders hin. Der alte Hippie vor mir mit Fahrradhelm auf ergrauten Dreadlocks betrachtet das Zopfmädchen versonnen von der Seite, scheint aber auch nicht ihr Opa zu sein, denn als es Grün wird, fährt er los wie alle anderen auch. Das Mädchen bleibt stehen, wo es ist, dreht sich um und lächelt irgendwohin. Im Losfahren werfe ich einen schrägen Blick nach hinten, kann aber in mittlerer Entfernung niemanden sehen.
Gedanken rotieren in meinem Kopf, während ich über die Kreuzung pedale: Die Kleine ist vorgelaufen und wartet an der Ampel auf ihre Mama oder ihren Papa. Sie ist cool. Ich muss mir keine Sorgen machen. Ich muss nur damit klarkommen, dass meine eigenen Kinder schon so groß sind, dass ich sie nicht mehr so einfach beschützen kann.
Kaum über der Kreuzung, sehe ich vor mir eine Frau mit einem kleinen Jungen am Straßenrand. Sie wollen die Straße überqueren, was gerade nicht geht, weil die Radfahrer vor mir ungebremst durchrauschen; auch der behelmte Hippie. Als ich meine Fahrt verlangsame, um die beiden vorbeizulassen, guckt die Frau erst ungläubig und sagt dann „Danke“ mit einem so strahlenden Lächeln, dass mir ganz komisch wird. Im Weiterfahren höre ich sie zu dem Kind sagen: „Das war keine Berlinerin!“
Katharina Granzin
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