Falsche Hilfe für Frauen

Gegen eine Beratungsstelle für Schwangere der „Lebensschutz“-Organisation Pro Femina regt sich Widerstand. Selbst die SPD fordert inzwischen die Schließung

Mein Bauch gehört nicht dir: Proteste vor Pro Femina im Sommer Foto: Christian Mang

Von Kirsten Achtelik

Pro Femina hat am 1. Juli in Berlin eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle eröffnet – und stellt keine Beratungsscheine für ungewollt Schwangere aus. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Kristijan Aufiero, bezeichnete diese bereits 2008 in einem Interview auf einer Pro-Femina-nahen Website als „Tötungslizenzen“. Diese Beratungsscheine brauchen Schwangere in Deutschland aber, um ungestraft abtreiben zu können. Pro Femina ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein, der laut eigenen Angaben in diesem Jahr bereits 12.420 schwangere Frauen beraten hat, die meisten online oder telefonisch.

Die Delegierten des Berliner Landesparteitags der SPD haben diese Praxis am 26. Oktober verurteilt und die Schließung der Beratungsstelle gefordert. Daniela Döbler, die stellvertretende Landesvorsitzende der antragstellenden Jusos, spricht gegenüber der taz von einem „politischen Beschluss, der den Handlungsbedarf aufzeigen“ solle. Die von der Beratungsstelle betriebene „Irreführung von Schwangeren“ führe im schlimmsten Fall zu einer Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Frist von 12 Wochen, was den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft sehr erschwere.

Konkrete Hilfe gibt es nicht

Grundlage der Anträge ist eine Recherche des Onlineportals Buzzfeed vom vergangenen Dezember. Eine Reporterin hatte sich als schwanger ausgegeben und sich in den beiden bisherigen Beratungsstellen in München und Heidelberg beraten lassen. Die vorgeblich ungewollt Schwangere sei erst spät darüber informiert worden, dass Pro Femina keine Beratungsscheine ausstelle, konkrete Informationen über die von ihr gewünschte Abtreibung haben die Beraterinnen nicht vermittelt, stattdessen Hilfen angeboten für den Fall, dass sie das Kind doch bekomme. Buzzfeed wirft der „Lebensschutz“-Organisation daher Manipulation und Ausübung von moralischem Druck auf hilfesuchende Frauen vor. Staatlich anerkannte Beratungsstellen sind durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet, ergebnisoffen zu beraten. Das ist bei Pro Femina nicht der Fall. Der „Lebensschutz“-­Organisation geht es in erster Linie um die Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Auf der Website lässt sich die Zugehörigkeit zur „Lebens­schutz“-­Bewegung nur mit Expertenwissen erahnen, etwas deutlicher wird sie auf der Kampagnenwebsite der Organisation „1000plus“. Hier finden sich die Jahresberichte des Vereins und die Verbindung zur Stiftung „Ja zum Leben“ und zur europäischen Vernetzung von „Lebensschutz“-Initiativen, „One of Us“.

Von der Website von Pro Femina führt aber keine Verbindung zu 1000plus – hier ist alles auf die hilfesuchende Schwangere fokussiert. Auf eine Anfrage der taz antwortete der Vorstandsvorsitzende des Vereins nur mit Gegenfragen. Er schreibt: „Leider machen wir mit Journalisten aus dem linksextremen Lager immer wieder die gleiche Erfahrung: Sie schrei­ben, was sie wollen – ganz unabhängig davon, was stimmt und was nicht, und ganz gleich, ob wir auf Fragen antworten oder nicht.“ Dem Onlineportal Buzzfeed wirft Aufiero auf der Website von 1000plus „gezielte Desinformation“ vor. Eine Unterlassungsaufforderung bezüglich Aussagen des beinahe ein Jahr alten Artikels habe es jedoch nicht gegeben, erklärt die Autorin des Artikels und Buzzfeedredakteurin, Juliane Löffler, auf Anfrage.

Aufiero sieht sich und seine Arbeit zu Unrecht angegriffen und zunehmend unter Druck. Eine Sachbeschädigung im Treppenhaus der Beratungsstelle, zu der es Anfang Oktober eine Erklärung auf dem linken Bewegungsportal indymedia gab, stilisieren er und rechte Medien zu einem „Anschlag“ hoch. Der Beschluss des SPD-Landesparteitages ist für ihn ein „2. Anschlag“ auf die Beratungsstelle; entsprechend dieser Wahrnehmung warnt er vor „dem neuen Linksextremismus“.

Das sei „Irreführung von Schwangeren“, sagen die Jusos über Pro Femina

Auf der Website von Pro Femina findet sich mittlerweile unter der Rubrik „Unsere Arbeit“ der Hinweis, dass Pro Femina „NICHT Teil des staatlichen Beratungssystems“ ist und keine Beratungsscheine ausstellt. Dieser Hinweis existierte mindestens bis kurz vor der Veröf­fentlichung der Buzzfeed-Recherchen im Dezember 2018 nicht. Für die Feministin ­Döbler ist dieser Hinweis nicht ausreichend, er müsse mindestens „prominent auf der Startseite“ zu finden sein, ohne dass man sich bis zu der entsprechenden Seite durchklicken muss.

Ärztinnen vorsichtiger

Die Beratungsstelle in Berlin ist für Döbler vor allem ein Symptom dessen, dass Abtreibungsgegner die aktuelle Gesetzeslage nutzen, um ihre Agenda durchzusetzen. Der Zwang zur Beratung werde missbraucht, um mit ungewollt Schwan­geren in Kontakt zu kommen. Auf das Pro­blem des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen weist auch Lisa Müller vom queerfemi­nistischen Bündnis What the Fuck hin. Das Bündnis hatte schon am 1. August eine Kundgebung vor der Beratungsstelle durchgeführt und deren Schließung gefordert. Müller geht davon aus, dass das umstrittene „Werbeverbot“ in Paragraf 219a dazu führt, dass suchmaschinenoptimierte Websites wie die von Pro Femina leichter gefunden würden, da Ärztinnen sehr vorsichtig sein und überlegen müssten, welche Informationen sie auf welche Weise online stellen.

Die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Lena Högemann, antwortete auf die Anfrage der taz nach einer Reaktion auf den konsensualen Parteitagsbeschluss, Debatten innerhalb der SPD könne die Senatsverwaltung nicht kommentieren. Aktuell werde aber „keine Möglichkeit einer Prüfung oder eines Vorgehens gegen die Beratungsstelle Pro Femina gesehen“. Berlin werde das Thema allerdings beim nächsten Koordinierungskreis zwischen Bund und Ländern einbringen, um auf dieser Ebene eine juristische Prüfung vornehmen zu lassen. Ein „Vorgehen ­gegen Beratungsstellen, die möglicherweise unseriös arbeiten“, sei „juristisch sehr komplex“. Über die Ergebnisse des Treffens, das am 5. und 6. November in Köln stattfand, war bis Redaktionsschluss noch nichts bekannt.