Der junge Modedesigner Pierre Cardin: Lack, Leder, Plexiglas
Der Düsseldorfer Kunstpalast zelebriert das Frühwerk Pierre Cardins. Darin verbindet der virtuos populistische Designer Futurismus und Fetisch.
Pierre Cardin? Macht der nicht Lidl-Unterhosen?“, fragt mich ein Freund, als ich ihm von der Ausstellung erzähle, die ich am Wochenende besuchen werde. Tatsächlich: Neben Kugelschreibern, Regenschirmen, Schlüsselanhängern, Zigarettenschachteln und Intimhygiene-Gels zierten die schwungvollen handschriftlichen Lettern des Labels auch den Gummibund von Discounter-Unterwäsche.
Mit einem Freimut, der in einem von Markenidentität und Konnotation gesteuerten Modezeitalter frappierend wirkt, gibt der französische Designer seinen Namen seit Jahrzehnten für die verschiedensten Kleidungsstücke und Produkte her. Was bei all den Lizenzgeschäften in den Hintergrund rückt, sind Cardins Kreationen der 60er und 70er Jahre, einer Zeit, in der er gemeinsam mit André Courrèges und Paco Rabanne die technologieverliebte Zukunftseuphorie des Space Age treffsicher in futuristische Kleidungsstücke übersetzte.
Im Düsseldorfer Kunstpalast präsentieren aktuell Schaufenster-Mannequins in großartig theatralischen Posen, begleitet von intergalaktischen Synthesizer-Klängen, Cardins Entwürfe aus jener Zeit. Seine Vision spricht konsequent aus jedem der Outfits: Der Designer sah seine Kleidungsstücke als bewegte Skulpturen und entwarf seine plastischen Werke aus neuartigen Stoffen direkt am Körper seiner Modelle.
Mit exorbitanten Formen, raffinierten Aussparungen und markanten Farben schuf Cardin, der seine Karriere als Bühnen- und Filmschneider begann, Dramatik ohne die leiseste Spur von Ornament. Dem typischen 60er-Jahre-Minikleid verpasst er seine persönliche Note, indem er anstelle von Taschen Cut-outs oberhalb der Hüftknochen platziert, die Geste der Falte erhebt er zur Plastik, etwa indem er ein Cape um die Hüfte seiner Trägerin legt und an der Vorderseite ihres Kleids befestigt oder inspiriert von den Lüftungsschächten der ersten Computer dreieckige Falten aus den Rückseiten seiner Jacken und Mäntel hervorstehen lässt.
Es liegt vielleicht an dieser Geradlinigkeit, dass die meisten Ensembles nach wie vor modern wirken, obwohl Stoffe wie Polyester, Kunstpelz und Plexiglas ihren Neuheitswert verloren haben und Plastik einen Konnotationswandel vom revolutionären Material der Zukunft zum desaströsen Auswuchs einer den Planeten zerfressenden Konsumgesellschaft durchlebt hat.
Cardin entwarf für die Zukunft – und für die Jugend
Die Glitzer-Spandex-Kleider mit eingenähten Reifringen erinnern heute mehr an Karnevalsanzüge als an kosmische Weiten. Outfits wie der durch einen asymmetrischen Filzrock ergänzte Woll-Catsuit, der gleichzeitig als Strumpfhose und als Oberteil dient, sind hingegen bis in die aktuelle Herbstsaison hinein ebenso visionär wie die Neopren-Weste mit Einstecktuch und Steckschnallen-Verschluss, die auch aus einer Dior-Männerkollektion von Kim Jones stammen könnte.
läuft bis zum 5. Januar im Kunstpalast Düsseldorf. Der Katalog, 192 Seiten mit ca. 140 Abbildungen und Texten von Ingeborg Harms, Barbara Til und Maria Zinser, erscheint im Kerber Verlag. Er kostet 39,90 Euro an der Museumskasse und 45,- Euro im Buchhandel
Cardin entwarf für die Zukunft – und für die Jugend. Obwohl er bei Christian Dior lernte, verschwendete er keinen Gedanken daran, die eleganten Damen der Rive Droite als Kundinnen zu gewinnen. und gab unumwunden zu, dass seine Entwürfe an Frauen über 30 lächerlich aussähen. Er versah seine Kleider mit der Zielscheibe der Mods und schuf für die Blumenkinder Overalls, deren Brust statt eines Superhelden-Emblems ovale Cut-outs zierten.
Und während in den am Eingang der Ausstellung zu sehenden Archivaufnahmen aus Mode-Fernsehsehsendungen noch schmierig witzelnd das Klischee des Ehemanns bedient wird, der vor den verrückten Modelaunen seiner Frau resigniert die Scheckkarte zückt, entwirft Cardin für die moderne Karrierefrau pastellfarbene Hosenanzüge, deren geradlinige Beine in zwei markanten, den Fuß umhüllenden Kreisformen münden. Luxus bedeutete für ihn auch Flexibilität und Bewegungsfreiheit.
Zur weltweiten Bekanntheit verhalfen Cardin die Jugendikonen schlechthin: Auf dem Cover zu ihrer Durchbruchsingle „Love Me Do“ trugen die Beatles kragenlose Anzüge, die sie in Cardins Männerboutique „Adam“ in Paris erworben hatten, die auch der junge Karl Lagerfeld frequentierte. Das namentliche Zitat der Schöpfungsgeschichte kommt nicht von ungefähr: In einer Zeit, in der die Couturiers allein für Frauen entwarfen, erweckte Cardin den Mann modisch zum Leben.
Um die eng anliegenden exzentrischen Anzüge seiner ersten SciFi-inspirierten Herrenkollektion zu präsentieren, engagierte er junge Studenten – der Beruf des Männermodels existierte 1960 noch nicht. Pierre Cardin wurde zu einem der wichtigsten Labels der Peacock-Revolution, in deren Zuge Männer sich mit Rokoko-Spitzenkragen, glitzernden Stoffen und leuchtenden Farben schmückten. David Bowie und Elton John avancierten zu androgynen Stilikonen und trugen dabei Anzüge und Accessoires des Mode-Futuristen.
Seine Zukunftsvisionen waren global
Die Inspiration für den kragenlosen Anzug, der damals alles ins Rollen brachte, fand Cardin bezeichnenderweise in den Jacken des indischen Premierministers Jawaharlal Nehru. Cardins Zukunftsvisionen waren global: Seine flächigen Halsketten erinnern an traditionellen afrikanischen Schmuck, das purpurne Kimono-Kleid, eines der spannendsten Exponate der Ausstellung, zeugt von seiner Kenntnis der japanischen Schneiderkunst.
Der Tradition gemäß besteht das Gewand aus einer geraden, nicht auf den Körper zugeschnittene Stoffbahn, akzentuiert wird die Taille allein durch einen Gürtel – in Cardins Fall selbstverständlich aus Lack. Eine markante Note erhält das über eine schwarze Ganzkörper-Strumphosen getragene Stoffrechteck durch zwei großflächige Cut-outs, die einen Schlitz bis unter die Achsel der Trägerin erzeugen. Das notwendige Wissen für den Entwurf sammelte Cardin im Rahmen eines Aufenthalts in Tokio Ende der 50er Jahre, als er Kenzo und Hanae Mori an der Modeschule Bunka Fukusō Gakuin das schnittbogenbefreite Schneidern lehrte.
Zu Cardins Schülern gehörte auch Jean-Paul Gaultier, den er mit seinem kleinen Schwarzen mit kegelförmigen Brustaufnähern zu den ikonischen Cone Bras inspirierte. Bei einem an die Rave-Mode der 90er erinnernden Vinyl-Zweiteiler treibt Cardin die Akzentuierung der Brust noch weiter, indem er das knappe Bandeau-Oberteil mit zwei Plexiglas-Halbkugeln versieht. Ähnlich wie die Lack-Overknees und die Ledermäntel mit den überspitzten Padagonenschultern sind diese Entwürfe überraschend kinky.
Ihre fetischistische Aura rührt auch von Cardins auffälliger Obsession für Uniformen. Ein Hauch des Totalitären umweht die Entwürfe, die Cardin 1979 in China zeigte. Als einer der ersten westlichen Modedesigner nahm er Handelsbeziehungen mit der Diktatur auf und verkündete: „Nur Mao ist besser als ich – er hat 900 Millionen Menschen angezogen.“ Cardin war Populist, seine Mission war ein Luxus für alle. Um diese zu erfüllen, beschritt er neue Wege: Er entwarf als Couturier Prêt-á-porter-Kollektionen, als die beiden Konzepte noch unvereinbar schienen, und erfand den Stoff Cardinin, um Minikleider kostengünstig nach seinen Vorstellungen zu formen.
In Cardin vereinten sich der Zukunftsglaube eines Marinettis mit dem Vermarktungssinn eines Warhols. Das erklärt die Intimgels und Zigarettenschachteln: Durch seine exzessiven Lizenzgeschäfte erkaufte sich Cardin kreative Freiheit. Bis heute hat er sein Label nie verkauft und führt es im Alter von 97 eisern weiter.
Sein künstlerisches Erbe leidet jedoch unter der Vielzahl an Cardin-Produkten von Billig-Lingerie bis hin zu Burkinis. Umso wichtiger, dass im Kunstpalast nun die goldene Ära Cardins heraufbeschworen wird. Denn Lidl-Unterwäsche hin oder her: Wenn eines Tages der vollautomatisierte Luxuskommunismus kommt, steht definitiv fest, welcher Designer Inspiration für das passende Outfit liefert.
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