wie machen sie das?
: Die Knast-Therapeutin

Ronja Scharre, 27, arbeitet als Ergotherapeutin mit Gewalttätern im Maßregelvollzug. Während der Therapiestunden ist sie mit den Patienten alleine.

taz am wochenende: Frau Scharre, Sie kümmern sich um harte Gewalttäter im Knast. Wie machen Sie das?

Ronja Scharre: Ich arbeite mit psychisch kranken Menschen, die nur zum Teil schuldfähig oder sogar schuldunfähig eine Straftat begangen haben. Ich kenne die Delikte von den Patienten ziemlich gut, auch die Gerichtsakten. Doch im Verlauf der Behandlung sehe ich nicht mehr die Straftat, sondern den Menschen in seiner ganzen Komplexität. Die Straftat muss man ausblenden können. Man lernt es, ein Verständnis für bestimmte Umstände zu entwickeln.

Gibt es Patienten, bei denen Sie die psychische Erkrankung anzweifeln?

Ja. Es gibt auch welche, bei denen sich sogar die Psychiater der Schuldfähigkeit sicher sind. Mit ihnen arbeite ich allerdings nicht. Von den Leuten, mit denen ich arbeite, darf keine Gefahr ausgehen.

Gibt es denn Momente, in denen Sie sich gefährdet fühlen?

Wirklich sehr selten. Ich arbeite zwar allein mit den Patien­ten, aber die Voraussetzungen, dass sie zu mir kommen können, sind relativ hoch. Zum Beispiel gibt es Kontrollen, dass sie keine Drogen nehmen. Ich habe auch das Glück, in einem guten Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegern zu arbeiten, die einen Blick mit drauf haben. Die durchschnittliche Verweildauer der Patienten liegt bei sieben Jahren. Über die Zeit entwickelt man ein Gefühl dafür, wenn Patienten psychotisch werden oder auch nur einen schlechten Tag haben.

Sie geben das Interview unter einem anderen Namen. Wen schützen Sie damit: die Täter oder sich?

Eher mich. Mein Job ist nicht so häufig, nicht jede psychiatrische Forensik hat Ergotherapeuten. Ich will für entlassene Patienten nicht so leicht auffindbar sein.

Als Ergotherapeutin lehren Sie schuldunfähigen Menschen Handlungsfähigkeit für den Alltag und gesellschaftliche Teilhabe. Wie sieht das aus?

Das hängt vom Patienten ab. Die meisten bereite ich auf eine Arbeitstherapie vor. Dafür schaue ich mir an, was sie für Fähigkeiten haben, ob etwa jemand handwerklich geschickt ist oder besser mit dem Kopf arbeitet. Bei Pa­tienten, die gar keine Arbeitstherapie schaffen würden, versuchen wir die Konzentration und Ausdauer zu verbessern. Patienten, die entlassen werden können, muss ich alltagspraktische Dinge wie Einkaufen oder die Bedienung des Ticket-Automaten beibringen.

Wie geht man mit Menschen um, für die man eigentlich keine Sympathie empfindet?

Die Hauptsache ist, jeden Menschen mit Respekt zu behandeln. Eine gewisse Empathie hat jeder verdient.

Interview: Pia Stendera