Repression in Ägypten: Per Handy-Check ins Gefängnis
Mit Alaa Abdel Fattah haben die Behörden einen prominenten Aktivisten festgenommen. Tausende Ägypter sind von Repressionen betroffen.
Gerade erst hatte Abdel Fattah eine fünfjährige Haftstrafe für „illegales Demonstrieren“ abgesessen. Vor sechs Monaten war er freigekommen, musste sich aber jeden Abend um 18 Uhr bei einer Polizeiwache melden und dort zwölf Stunden die Nacht verbringen – eine Auflage des Gerichts, die fünf Jahre lang in Kraft sein sollte. Es ist inzwischen üblich, dass ägyptische Gerichte derartige Auflagen verhängen, um sicherzustellen, dass Freigelassene nicht wieder in der Öffentlichkeit politisch aktiv werden.
Als seine Familie Abdel Fattah am Sonntagmorgen von der Polizeistation abholen wollte, war er bereits zur Staatsanwaltschaft gebracht worden, die die neue Anklage vorbereitete. Am Montag wurde dann auch noch Muhammad El-Baqir, einer der Anwälte, die Abdel Fattah repräsentieren, unter der gleichen Anklage wie sein Mandant verhaftet.
Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden in Ägypten allein in der letzten Woche über 2.000 Menschen festgenommen. Hintergrund sind kleinere Proteste, die seit zwei Wochen in mehreren Teilen des Landes stattgefunden haben und in denen zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi aufgerufen worden war. Oppositionelle Demonstrationen sind in Ägypten untersagt, Proteste auf der Straße sind mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden.
Nilbrücke und Tahrir-Platz gesperrt
Auslöser dieser Proteste war eine Serie von Videos des einstigen Militär-Subunternehmers Muhammad Ali, der über vermeintliche Korruption im Militär und über Verschwendung von Geldern beim Bau von Präsidentenpalästen spricht. Diese Enthüllungsvideos verbreiten sich seit drei Wochen wie ein Lauffeuer auf den ägyptischen sozialen Medien.
Begonnen hatten die Proteste völlig überraschend am Freitag vorvergangener Woche. Ein Aufruf Muhammad Alis, Derartiges noch einmal am vergangenen Freitag zu wiederholen, verlief dann allerdings aufgrund eines enormen Polizeiaufgebots ins Leere. Der gesamte Tahrir-Platz in Kairos Innenstadt sowie eine benachbarte Nilbrücke waren kurzerhand gesperrt worden.
Die mehrheitlich jungen Menschen, die es zuvor gewagt hatten zu demonstrieren, gehören keiner politischen Gruppierung an und waren dem Sicherheitsapparat weitgehend unbekannt. Um eine Wiederholung der Proteste zu verhindern, bediente sich die Polizei in der ganzen letzten Woche einer besonders perfiden Methode. Sie begann, an Straßensperren vor allem junge Männer aufzufordern, ihre Handys vor den Polizisten zu entsperren, um diese dann nach politisch kompromittierendem Material zu untersuchen.
Etwa die Hälfte der 2.000 Verhafteten seien nach solchen Handychecks mitgenommen worden, erzählt der ägyptische Menschenrechtler Gamal Eid vom Arabic Network for Human Rights Information, der selbst auch die Verteidigung von einigen der Verhafteten organisiert. „Das Durchsuchen der Handys ist eine Prozedur, die die Polizei in Ägypten schon seit knapp drei Jahren anwendet. Aber das hat nach den letzten Demonstrationen enorm zugenommen“, erläutert er im Gespräch mit der taz.
Handy-Checks sind illegal
Dabei gehen die Polizisten immer gleich vor. Sie fordern dazu auf, das Handy zu entsperren, nehmen es dann weg und klicken sich dann durch. „Sie schauen auf die Bildergalerie, ob sie Bilder oder Videos von Demonstrationen finden oder suchen politische Satire. Und dann schauen sie sich Facebook, Twitter, WhatsApp und Instagram an“, beschreibt Eid die Methode. Finden sie etwas Regimekritisches, wird der Besitzer des Handys mitgenommen.
Das Ganze sei vollkommen illegal, führt Eid aus. Laut ägyptischem Gesetz dürfe die Polizei Handys nur auf der Polizeiwache durchsuchen und das nur mit einer expliziten Order der Staatsanwaltschaft, wenn ein Verdacht auf ein Verbrechen vorliege.
In den Fällen der letzten Woche habe die Polizei nicht nach einem Indiz für ein Verbrechen gesucht, sondern nach oppositionellen Neigungen. Eine Rechtslage, die den Menschen, deren Handys auf der Straße willkürlich ausgeforscht werden, wenig nützt. Denn wer sich weigert, sein Handy vor den Polizisten auf der Straße zu entsperren, der läuft Gefahr, gleich mitgenommen zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite