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wortwechselWer ist mitschuldig an den Toten in Halle

Solidaritäts- und Beileidsbekundungen nach dem Angriff auf eine Synagoge und einen Dönerimbiss. Doch es gibt schon lange geistige Brandstifter für solch eine Tat

Vor der Synagoge in Halle am 10. Oktober Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Blut an den Händen

„Jom Kippur in Angst“, taz vom 10. 10. 19

Wie zu erwarten, war sich niemensch zu fein, sein Beileid für die Hinterbliebenen des antisemitischen Terrorangriffs zu äußern. Es war schon grotesk zu sehen, wie die Krokodilstränen bei sämtlichen Politikern die Wangen hinunterrollten, als sie ihre leeren Trauerbekundungen zum Besten gaben, nur um im selben Atemzug zu sagen, wie unfassbar diese Tat doch ist, und von Einzeltäter zu faseln.

Nach den Morden des NSU, der Hinrichtung an Walter Lübcke, der Aufdeckung von rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr erzählen Holger Stahlknecht und Reiner Haseloff immer noch die Mär vom (verwirrten) Einzeltäter. Als ob der Täter völlig allein für sich und ohne jegliche Sozialisierung zum Terroristen geworden wäre. Dem ist aber nicht so, die geistigen Brandstifter Weidel, Gauland, Meuthen, der Faschist Björn Höcke aka Landolf Ladig, Erika Steinbach und wie sie nicht alle heißen, aber auch sämtliche rechten Parteien und Bewegungen haben daran einen nicht geringen Anteil. Eure Hetze hat doch überhaupt erst dazu geführt.

Aber auch die Medien haben Blut an ihren Händen, eure Anbiederung an die Rassisten der AfD und alle anderen rassistischen Kräfte hat zur Normalisierung beigetragen und ihr seid mitschuldig an den Toten in Halle. Der dritte Schuldige ist die Gesellschaft selbst. Jede*r Einzelne, welche*r sich nicht klar gegen Antisemitismus und Rassismus stellt.

Dirk Meißner, Naumburg

Schale Betroffenheit

„Mörderischer Antisemitismus“, taz vom 10. 10. 19

Alles Gesagte ist richtig, alle Solidaritätsbekundungen haben ihren Platz. Kanzlerin Merkel macht sich auf und besucht die Neue Synagoge in Berlin, Armin Laschet folgt ihr nach, bei einem Besuch in Düsseldorf. Dennoch bleibt ein schaler Geschmack. Nicht weil die Empörung über den Mordanschlag auf die Synagoge in Halle falsch wäre, nicht weil die geäußerte Betroffenheit unpassend wäre.

Doch wie sehr hat sich die Politik geziert mit Betroffenheit, Anteilnahme und Solidarität für die Opfer der NSU-Mordserie? Wie wenig interessiert die Öffentlichkeit, wenn Asylbewerberheime in Deutschland brennen? Wie wenig geschieht, wenn rechtsradikale Schläger sich aufmachen und Menschen anderer Hautfarbe verfolgen, sie zusammenschlagen und ihren Hass verbreiten?

Die Betroffenheit für die furchtbaren Taten in Halle wirkt schal, weil scheinbar Opfer erster und zweiter Klasse existieren. Wenn Menschen Opfer von politischer Verblendung, Rassenhass und faschistischem Überlegenheitsdünkel werden, gehört ihnen unsere Anteilnahme und Solidarität, in jedem Fall, nicht nur wenn es politisch in den Kram passt.

Die Polizei hat in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres insgesamt 609 Delikte gegen Flüchtlinge registriert. Die Delikte reichten von Beleidigung und Volksverhetzung bis hin zu Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung.

Seit dem Frühjahr 1993 zählte die Amadeu Antonio Stiftung mehr als 140 Todesopfer rechter Gewalt. Wo waren da die Solidaritätsbekundungen der Merkels und Laschets dieser Republik? Wo bleibt der Aufschrei dagegen?

Raimund Schorn-Lichtenthäler, Datteln

Rechte Sprüche

„Mit Rechten im Stuhlkreis“, taz vom 28./29. 9. 19

Das Problem der rechten Sprüche kenne ich auch aus der psychotherapeutischen Einzelpraxis. Dort bin ich ja der einzige Ansprechpartner – nicht reagieren geht kaum. Auch ich fühle mich hilflos, habe auf die Schnelle keine Zahlen und Fakten bei der Hand, um Stammtischsprüche und von der Gesellschaft enttäuschte Seelen zu parieren, kann manchmal sogar verstehen, wie der/die Enttäuschte fühlt. Und fürchte vor allem, dass auch das beste Gegenargument ihn/sie nicht erreichen würde.

Manchmal gelingt es mir, der (eigenen und übertragenen) Ohnmacht Ausdruck zu verleihen, meine verstehende Seite zu verbalisieren. Manchmal verstricke ich mich aber auch kurzzeitig in Diskussionen und muss dann mühsam den Weg zurückfinden zum Verstehenwollen und Wachstumfördern. Und manchmal hoffe ich einfach, dass unsere Art, mit und über Menschen zu reden, Vorbild ist und kleine, feine Wurzeln bildet – in den Pa­tienten und in der Gesellschaft. Wer weiß schon so genau, wie Veränderung funktioniert? Dorothee Hartmann, Ansbach

Wütende Jahre

„Mit Rechten im Stuhlkreis“, taz vom 28./29. 9. 19

Ich fürchte, ich war mit Anfang, Mitte 20 auch mal so „verbockt“ wie die Klientin, die Samuel Thoma beschreibt. Als Mitglied einer K-Gruppe in den 70ern ließ ich meine ganze Wut über meinen autoritären, missbrauchenden Vater auf der politischen Ebene, am Staat aus. Irgendwie hat es geholfen, viel Wut bin ich losgeworden, der Rest löste sich später auf verschiedenen therapeutischen Ebenen. Wozu natürlich auch die Verhältnisse, Auflösung der K-Gruppe, Umzug, Familiengründung, berufliche Erfahrungen etc. beitrugen.

Ich weiß nicht, ob ich mich in meinen wütenden Jahren auf eine Therapie hätte einlassen können. Eher vermute ich, dass ich mich in meine „Verbocktheit“ zurückgezogen hätte. Vielleicht sind Menschen in bestimmten Zuständen therapieresistent. Und es muss sich erst mal etwas an den persönlichen Verhältnissen ändern, was sicher bei Jüngeren eher möglich ist.

Cornelia Künzel, Obernkirchen

Bündnistreue

„Türkischer Angriff hat begonnen“, taz vom 10. 10. 19

Wenn ein Nato-Partner völkerrechtswidrig in ein anderes, souveränes Land einmarschiert, dann müssen sowohl die Nato selbst, aber auch die einzelnen Mitgliedstaaten sofort mit geeigneten, friedlichen Mitteln reagieren, zum Beispiel keine weiteren Waffenlieferungen, Handels­boykott, Urlaubswarnung etc.

Da der Einmarsch von dem Egomanen Erdoğan schon vor Wochen angekündigt worden war, hätte die Bundesregierung auch wegen der Waffenexportverträge schon längst die türkische Regierung energischer vor solchen Konsequenzen warnen und auch handeln müssen. Dann hätte nämlich der demokratisch und friedlich gesinnte Teil der türkischen Staatsbürger*innen und der verbliebenen Medien die dringend notwendige Unterstützung für ihren andauernden Einsatz gegen die menschen- und völkerrechtswidrige Politik der herrschenden, nationalistischen Partei Erdoğans erhalten.

Der rechtzeitige Abzug der US-Truppen aus der „Sicherheitszone“ ist deutlicher Beweis für die Bündnistreue des Herrn Trump und der in seiner Regierung verbliebenen Nationalisten, welche jede Gelegenheit nutzen, um Konflikte in aller Welt anzuzetteln. Werner Ortmann, Korschen

Die Neuen sind die Alten

„Es ist wieder ein Mann“, zur Vorstandswahl bei der IG Metall, taz vom 9. 10. 19

Die Neuen sind wieder die Alten. Richtig.Der alte Vorstand hat sich geschlossen und ohne Gegenkandidat*innen zur Wiederwahl gestellt und ist gewählt worden. Tja – schau an. Und Christiane Benner hat als Zweite Vorsitzende maßgeblich daran mitgewirkt, dass dies so ist.

Hat Frau Schmollack die Kandidatin denn gefragt, ob sie an die Spitze wollte? Christiane Benner, so ihr Auftritt auf dem Gewerkschaftstag, wollte diesmal nichts anderes als ihre Wiederwahl zur Zweiten Vorsitzenden. Genau deshalb ist sie „wieder nur Vize“ und der Vorsitzende „wieder ein Mann“. Was das mit Frauendiskriminierung zu tun haben soll, bleibt das Geheimnis der Kommentatorin.

Ein Besuch des Gewerkschaftstags dieser zweifelsohne von Männern dominierten IG Metall (dieser Befund ist auch überraschungsfrei, wenn 80 Prozent der Mitglieder Männer sind) hätte der Kommentatorin auch gezeigt, wie viele gerade auch jüngere Frauen mittlerweile in der IG Metall tätig sind und wie sich spürbar die Kultur verändert. Heiner Dribbusch, Düsseldorf

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