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Diskriminierte Flaggen

In Dänemark darf nur die dänische Flagge gehisst werden, die Dannebrog. Die deutsche Minderheit wehrt sich. Sie will auch schwarz-rot-goldenes Tuch an Masten aufhängen dürfen

Von Till Wimmer

Wenn hoher Staatsbesuch aus Deutschland kommt, hisst Hinrich Jürgensen die Deutschlandflagge. Auch heute hängt sie. „Nur nicht weitersagen“, sagt Jürgensen und lächelt. Vor seinem Büro in Apenrade, einer verschlafenen Hafenstadt im Süden Dänemarks, stehen drei große Fahnenmasten. Dazwischen posiert er für ein Foto. Der 59-jährige Bio-Landwirt ist Vorsitzender der deutschen Minderheit in Dänemark. Er vertritt etwa 15.000 „Nordschleswiger“, wie sich die deutsche Volksgruppe hier selbst nennt.

Die Nordschleswiger fühlen sich diskriminiert. Im nationalistisch geprägten Dänemark darf nur die dänische Flagge, die Dannebrog, gehisst werden. Wer eine ausländische Flagge hissen will, muss einen Antrag stellen. Für die Flaggen der Färöer, Grönlands, Norwegens, Schwedens, Islands und Finnlands sowie der EU und der Vereinten Nationen gelten Ausnahmen. „Wir wollen das, was jede Minderheit in Europa bereits darf“, sagt er. „Wir wollen unsere Flagge hissen, um sichtbar zu sein“. Im Juni hat er mit dieser Forderung eine Debatte losgetreten.

Jürgensen möchte, dass die „Flaggenverordnung“ von 1967 gelockert und den Nordschleswigern das Hissen von Schwarz-Rot-Gold vor ihren Institutionen erlaubt wird. Das sei wichtig, um ein Selbstverständnis zu entwickeln. „Wenn zum Beispiel ein Kindergarten sein hundertstes Jubiläum feiert und ein ranghoher deutscher Politiker kommt, wäre es doch schön, wenn wir flaggen könnten“, sagt Jürgensen. Verständnislos schüttelt er den Kopf. Es sei absurd, jedes Mal bei der Polizei nachfragen zu müssen. „Früher hat ein Anruf gereicht, mittlerweile müssen wir den Antrag 14 Tage im Voraus schriftlich stellen.“

Anlass zu der Diskussion über das Hissen der deutschen Flagge war ein Artikel im Magazin Grænsen, in dem sich zwei Mitglieder des parlamentarischen Südschleswig-Ausschusses zum Thema äußerten.

Einer davon war Martin Henriksen von der dänischen Volkspartei. Er ist gegen deutsche Flaggen nördlich der Grenze. Noch lieber würde er ausnahmslos alle ausländischen Flaggen verbieten. „Es verschwindet etwas vom Dänischen, wenn man durch Dänemark fährt und andere Flaggen als die Dannebrog sieht“, sagte er in dem Interview mit Grænsen. „Ich finde es aber schön, wenn die Dannebrog in Flensburg und dem Rest von Süd­schleswig gehisst wird.“ Auch Henriksens Parteikollegin Andrea Terp versteht die Ablehnung der Dänen gegenüber der deutschen Flagge. „Ich kenne ein paar Menschen, die vor oder während des Zweiten Weltkriegs geboren worden sind und es immer noch schwer haben mit der deutschen Flagge“, sagt sie der taz.

„Was das angeht, haben Dänen manchmal eine gewisse Doppelmoral“, meint Jürgensen. „Man fordert freundlich Integration, aber verlangt eigentlich Assimilation.“ Nachdem sich Jürgensen öffentlich äußerte, titelte die Tageszeitung Politiken, dass die Minderheit fordere, die strikten Vorschriften abzuändern, und traf damit einen Nerv. Die Dänen pflegen ein geradezu kultartiges Verhältnis zur Danneborg. Dieses Jahr feiert das Land das 800-jährige Bestehen der ältesten Nationalflagge der Welt. Im Parlament argumentieren Linke und liberale Parteien für eine Lockerung der Flaggenverordnung. Konservative Parteien hingegen befürchten einen „Ausverkauf dänischer Werte“. Besonders im Süden Dänemarks wurde Jürgensens Vorschlag kritisiert. Zu tief sitzt bei vielen die Erinnerung an die deutsche Besatzung Dänemarks, bei der ein Großteil der Nordschleswiger kollaborierte.

Ganz anders argumentiert Rune Christiansen von der Partei der Radikalen: „Ich finde, das ist eine gute Idee und sie würde Hand in Hand gehen mit dem positiven Geist, von dem die deutsch-dänische Zusammenarbeit geprägt ist.“ Gerade weil ihm die dänische Flagge sehr viel bedeute, ärgere er sich darüber, dass sie von manchen als Symbol der Geschlossenheit und des Nationalismus genutzt werde. „Das ist nicht die Bedeutung, die ich meiner Flagge und meinem Land beimesse.“

„Wir wollen das, was jede Minderheit in Europa bereits darf: unsere Flagge hissen, um sichtbar zu sein“

Hinrich Jürgensen, Deutscher in Dänemark

Jürgensen findet, die Deutschen dürfen stolz auf ihr Land sein. Um Nationalgefühle gehe es ihm aber nicht, sondern um Gleichberechtigung. „Die dänische Minderheit in Südschleswig hisst ihre Flagge ja auch regelmäßig, und das ist gut so.“ Parallel zur deutschen Minderheit in Dänemark gibt es südlich der Grenze, in Südschleswig, die dänische Minderheit. Sie ist gut organisiert und sogar im schleswig-holsteinischen Parlament vertreten. Die Dannebrog wird hier besonders gerne hochgehalten. Aus den dänischen Kindergärten und Schulen ist sie nicht wegzudenken.

Ich bin in Flensburg als Teil der dänischen Minderheit groß geworden und erinnere mich gut an die oft merkwürdigen Rituale mit der Dannebrog. Im Kindergarten und auf der Schule war sie an jedem Geburtstag und Feiertag präsent. Uns wurde beigebracht, wie man sie richtig hisst und faltet. Wenn wir Fehler machten, gab es Ärger. In der Grundschule sangen wir morgens dänische Volkslieder vor einer dänischen Flagge, und noch während der Abiturfeier liefen wir Flaggen tragend durch die Flensburger Innenstadt. Gleichzeitig empfanden wir Schwarz-Rot-Gold als stumpfen Nationalismus.

Um das besondere Verhältnis der Dänen zu ihrer Flagge zu verstehen, lohnt ein Blick zurück. 1864, als Preußen sich Schleswig einverleibte, wurde das weiße Kreuz auf rotem Grund zum Zeichen des Protests gegen die Obrigkeit und daraufhin von ihr verboten. Als 1940 die Nationalsozialisten in Dänemark einmarschierten, wuchs das Interesse an einem Gemeinschaftssymbol erneut.

„Am schönsten ist eine Flagge im Gegenwind“, schrieb der dänische Dichter Poul Sörensen im selben Jahr. Nach der Befreiung avancierte die Danne­brog dann endgültig zum Alltagsgegenstand. Seither ist der Flaggen-Enthusiasmus besonders in der Grenzregion allgegenwärtig.

Auch als vor Kurzem die dänische Königin mit ihrem Schiff „Danne­brog“ in die Flensburger Förde einlief, konnte sich die Stadt nicht vor rot-weißen Farben retten. An solchen Tagen schmückt Anette Neumann ihr Haus mit dänischen Flaggen. Sie ist ebenfalls als Teil der dänischen Minderheit groß geworden.

Neumann ist die Lokalvorsitzende des „Danmark-Samfundet“ für Südschleswig. Der 1908 gegründete Verein kümmert sich um den korrekten Umgang mit der dänischen Flagge. Er veröffentlicht regelmäßig Broschüren, gibt Workshops und verteilt den rot-weißen Stoff an Vereine und Schulen. So will er dazu beitragen, dass die Dannebrog ehrwürdig behandelt wird und für alle zugänglich ist. Neumann trägt einen rot-weißen Pullover und ist sichtlich aufgeregt. Viele Interviews hat sie noch nicht gegeben. In der dänischen Bibliothek in Flensburg, dem Zentrum der dänischen Minderheit in Südschleswig, fühlt sie sich wohl.

„Ich bin zwar Deutsche aber die dänische Flagge löst bei mir immer so ein Wohlgefühl aus“, erzählt sie. „Man verbindet sie auch einfach seit der Kindheit mit Geburtstagen, Festen, Süßigkeiten und einer besonderen Gemeinschaft.“

Stolz zeigt sie Bilder auf ihrem Handy. Darauf zu sehen sind Veranstaltungen des Vereins und die Dannebrog, in allen Größen und Ausführungen. Als Kuchen, auf Servietten, Tischdecken und Kerzen. „Irgendwie wächst man halt rot-weiß auf“, sagt sie. „Die Deutschlandflagge hingegen bedeutet für mich nichts. Mit ihr fühle ich mich eher unwohl.“

Das schwarz-rot-goldene Tuch baumelt am Fahnenmast vor Jürgensens Büro. Unwohl fühlt sich Jürgensen neben der Flagge nicht. Ginge es nach ihm, sie könnte öfter hängen. Mit seinen öffentlichen Äußerungen ist er aber vorsichtig geworden. Zu oft schon musste er verbale Ohrfeigen kassieren. So auch 2007, als er vorschlug, im Grenzland deutsche Ortsnamen anzubringen, zusätzlich zu den dänischen. Einige Lokalpolitiker*innen reagierten empfindlich.

Die Flaggendebatte hat aber etwas bewirkt. Im Parlament in Kopenhagen gibt es mittlerweile eine Mehrheit für eine Lockerung der Flaggenverordnung, doch die Parteien halten sich noch zurück. „Die haben genau wie ich Angst vor einem Shitstorm“, meint Jürgensen und lehnt sich zurück. „Bis dahin fragen wir also weiter jedes Mal bei der Polizei nach und bekommen jedes Mal ein Ja.“

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