internationales literaturfestival (7): „Die Welt scheint durcheinander“
Die Kohle und die Kolonialgeschichte des Klimas auf dem Literaturfestival
Von Annika Glunz
Hurrikane, Taifune, extreme Dürren oder Fluten, Gletscherschmelze oder auch einfach nur der heißeste Juli seit Beginn der Aufzeichnungen: Dass die klimatischen Veränderungen menschengemacht sind, ist wissenschaftlich belegt. Wie hierbei ganz spezifisch der Kolonialismus zur Erwärmung des Erdklimas beigetragen hat, darüber informierte Kira Vinke, Klimafolgenforscherin, die Zuhörer*innen im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals.
Mithilfe einer Grafik zeigte sie, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Großbritannien weltweit das einzige Land war, das Kohle verbrannte und damit Elektrizität erzeugte. Mit Beginn der Industrialisierung folgten Deutschland, weitere europäische Länder und die USA. Dann fing die Kohleverbrennung an, sich schrittweise erst über die kolonisierten Länder, später über den gesamten Erdball zu verbreiten. „Die Öffnung der Welt gab den Kolonialmächten ein enormes Selbstvertrauen“, stellte der postkoloniale Forscher Dipesh Chakrabarty fest, „nur haben sie ihre Wissenschaft auf unreife und rohe Art und Weise benutzt.“ Er verwies auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „sapiens“ in „Homo sapiens“, das „weise“ bedeutet. Auch die Menschen, die von den Europäern „zivilisiert“ wurden, hätten diesen Prozess als fortschrittlich angesehen, so der aus Indien stammende Chakrabarty weiter, „auch mein Großvater dachte so“. Während der Kolonisierung hätten die Europäer einen Unterschied geschaffen: „Das Land, in dem du lebst, versus das Land, von dem du lebst“.
Vinke erwähnte weitere Randdaten: Menschen ballen sich in Städten, weil sie auf dem Land ihrer Lebensgrundlage beraubt sind. Vor allem Länder des ehemals kolonisierten Südens leiden unter den Folgen des Klimawandels, für den sie nicht (oder kaum) verantwortlich sind.
Chakrabarty merkte an: „Globalisierung hat auch erstrebenswerte Seiten. Das Handy zum Beispiel hat den Indern enorm viel Selbstermächtigung gegeben. Und reiche Menschen sind nicht mehr nur weiß. Dennoch, die Welt steht einer Neuverteilung der Bevölkerung gegenüber, so viel ist klar.“
Eine Frau aus dem Publikum brachte einen spannenden Diskussionspunkt ein: Die Dekolonisierung von Wissen. Es gäbe Länder, die überhaupt nicht die Kapazitäten hätten, dem Klimawandel zu begegnen: „Es gibt zu wenig Geld für Forschung.“ Vinke stimmte dem zu; es sei dringend notwendig, Forschungskapazitäten an Universitäten zu schaffen.
Wie also nun umgehen mit den bestehenden Ungerechtigkeiten? Vinke: „Wir brauchen ein globales Rahmenmodell für globale Klimavorschriften. Hierbei müssen sich Industrienationen, die über andere Länder verfügen, stärker verantwortlich zeigen und haftbar gemacht werden für das, was sie tun“.
Chakrabarty ist für eine Unterscheidung zwischen moralischer und historischer Verantwortung: „Moralisch sind auch Regierungen von kolonisierten Ländern verantwortlich. Sie müssen vor allem lernen, sich unabhängig zu machen.“
Mit Blick auf die lokale Ebene berichtete Chakrabaty über aktuelle Entwicklungen in Indien: Landwirte begehen reihenweise Selbstmord, die Menschen ziehen in die Städte. Diese wiederum werden zurzeit auch von wilden Tieren wie Affen und Leoparden bevölkert, die hier Nahrung finden, aber auch Menschen anfallen: „Die Welt scheint durcheinandergeraten und muss sich wieder neu sortieren. Ich bin nicht optimistisch, aber hoffnungsvoll. Menschen sind doch immer hoffnungsvoll.“
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