berliner szenen
: Der Geruch ist recht zweifelhaft

Ich greife in die Hosentasche, aber da ist kein Schlüssel. In der Jacke ist er auch nicht. Das letzte Mal habe ich mich um die Jahrtausendwende aus der Wohnung ausgesperrt. Ausgerechnet heute, wo mich ein altersschwacher Minischirm mehr schlecht als recht vorm Regen schützt und der Rücken schmerzt, erwischt es mich erneut. Eins kommt zum anderen: Die Tochter in der Schule hat ihren Schlüssel auch vergessen, und der Notschlüssel beim Nachbarn bleibt unerreichbar, weil niemand aufmacht. Logisch, dass auch das Smartphone nutzlos zu Hause rumliegt. Ich trotte zur Straßenbahn, um mich auf den langen Weg zum Wannsee zu machen, wo mir meine bessere Hälfte hoffentlich ihren Schlüssel in die Hand drücken wird.

In der Straßenbahn schaffe ich es peinlicherweise nicht, ein Ticket zu lösen. Man muss dazu sagen, dass ich immer nur Rad fahre und Öffis eigentlich nur vom Hörensagen kenne, also die ganzen Erzählungen von Zugausfällen und den Zumutungen in der „Mutantenschaukel“. Bangend hocke ich auf meinem Sitz, bis ich am Alex die Trambahn endlich verlassen kann. Puh.

Auf meinem Weg zur ­S-Bahn quer über den Alex sehe ich zwei Flaschensammler und einen Obdachlosen, der trotz des miesen Wetters mit seinem voll gepackten Einkaufswagen unterwegs ist. Er hat quasi ständig seinen Schlüssel verloren, male ich mir aus. Es wird nicht behaglicher, als die Durchsage meldet, die S-Bahn verspäte sich wegen eines Schadens am Stellwerk um 20 Minuten. Der Bahnsteig füllt sich. Neben mir verbeißen sich zwei Tölen.

Als der Zug einrollt, die regennassen Fahrgäste einsteigen und sich zu einem Klumpen ordnen, der recht zweifelhaftes Großstadt­aroma verströmt, nehme ich mir vor, künftig einen Zweitschlüssel einzustecken. Öffi-Prävention, sozusagen.

Markus Völker