heute in hamburg
: „Psychische Krankheiten machen Angst“

Foto: privat

Wiebe Bökemeier, 39, ist freie Journalistin und Autorin in Hamburg.

Interview Jana Hemmersmeier

taz: Frau Bökemeier, Sie haben psychisch Kranke porträtiert. Warum?

Wiebe Bökemeier: Diese Menschen werden von der Gesellschaft lieber nicht gesehen. Da steckt Unsicherheit dahinter. Viele wissen nicht, wie sie reagieren sollen, und haben Vorurteile: Menschen mit einer Diagnose wie Paranoide Schizophrenie oder Psychose seien gefährlich, oder die mit Depressionen würden niemals lachen.

Sehe ich jemandem an, dass er psychisch erkrankt ist?

Die meisten sagen, sie trügen eine Maske, um nicht aufzufallen. An unsinnig erscheinenden Verhaltensweisen kann man es aber manchmal erkennen. Ein Protagonist lebte beispielsweise während eines psychotischen Schubs drei Wochen im Wald.

War die Begegnung für Sie schwierig?

Anfangs schon. Ich musste sehr persönlich fragen, wollte aber niemanden verletzen. Ich wusste, dass jemand hätte zusammenbrechen können. Vorbereitet habe ich mich darauf aber nicht. Ich wollte vorurteilsfrei auf sie zugehen. Beim ersten Mal war ich aufgeregter als die Protagonistin. Nach zehn Minuten habe ich aber gemerkt, dass ich mit Herz da rein muss. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass man sie kennenlernen will. Und jetzt wissen sie wohl eben so viel über mich, wie ich über sie.

Was hat Sie beeindruckt?

Buchpräsentation: Wir, "Kinsky" und ich. 11 Uhr, Ökumenisches Forum Hafencity, kostenlos

Dass die Menschen ihre Gedanken mit mir geteilt haben, die sie sonst vor der Öffentlichkeit verbergen. Wir haben 14 Leute gefragt und alle haben mitgemacht und die Texte freigegeben. Der Mut, auch die harten Geschichten auszupacken, hat mich beeindruckt. Einige haben so dramatische Dinge erlebt, dass es mir ein Rätsel ist, wie sie trotzdem so normal bleiben konnten.

Was können wir gegen die Stigmatisierung tun?

Niemandem aus dem Weg gehen. Wenn im Supermarkt jemand mit einer Zählstörung jede Schachtel berühren muss, mache ich keinen Bogen um ihn. Die Protagonisten haben mir gesagt, es reichten schon kleine Gesten. Ein Lächeln gibt jedem ein gutes Gefühl, ob seelisch krank oder nicht.