… der Berliner am Alex?: Große und kleine Reden schwingen
Wenigstens der Himmel ist grau. So muss er sich auch über den Hydepark in London spannen. Dort, wo seit 1872 die Redner der Speakers’ Corner tagein, tagaus auf die Laternen klettern, auf Kisten und Leitern balancieren, um mit der Menge zu streiten. Auf dem Alexanderplatz findet am Freitagmittag, vom Geplätscher des Springbrunnens unterlegt, eine deutsche Version der Speakers’ Corner statt. Die Sprechecke nimmt sich deutlich gemütlicher als das englische Vorbild aus: Vor der Bühne liegen türkisene Kissen, sie überdecken die mit Kaugummi beklebten Betonplatten. Und auch die Rhetorik ist eher kuschlig als kämpferisch.
Wenig Zwischenrufe
Zur Diskussion haben linke Politaktivisten des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) geladen. „Die Ausübung der Redefreiheit ist ihre beste Verteidigung“, erklärt Peter Bradley, Sprecher der Organisation Speakers’ Corner Trust, die die Veranstaltung mitorganisiert.
Ein Journalist redet über die Macht von Unternehmen wie Apple. Eine andere beschäftigt sich damit, wie Informationen besser zugänglich gemacht werden könnten. Ein Wissenschaftler ruft auf Englisch in die Menge: „Politik kann keine Erlösung bringen!“
Mehr als hundert Leute hören den Sprechern zu. Auf die Bühne kommen vor allem Politiker und Aktivisten. Viele von ihnen standen schon im Vorfeld fest. Zuhörer und Passanten dürfen an einem Mikro gegenüber der Bühne jederzeit reingrätschen. Die Chance nutzen die wenigsten. Meist bleibt es bei kurzen Nachfragen.
Ein Vortrag folgt dem nächsten. Die deutsche Sprechecke wirkt steif, selten kommt es zu hitzigen Diskussionen. André Leipold vom ZPS stört sich daran nicht. „Die Deutschen sind eben bedächtig und strukturiert“, so Leipold. Das habe auch den Vorteil, dass man mehr vermitteln könne.
Immer wieder kreisen die Redner um das Thema Demokratie. Oder sie monologisieren lange über den Dialog. Einzig eine Wahrsagerin und ein Hypnotiseur bringen Pepp in die Bude, ihre Bedeutung für die freie Rede bleibt unklar.
André Leipold spricht am Ende von einem Erfolg. Wer sich politisch beteiligen wolle, müsse zuerst einmal reden lernen, sagt er. „Das kann die Netzwelt nun mal nicht leisten.“ Martin Delius, Abgeordneter der Piraten, sieht das nicht so eng. Er liest während seines Auftritts immer wieder Notizen vom Smartphone ab.JOHANNES WENDT Foto: Archiv
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