press-schlag: Niemand singt von Lederhosen
Wie viel schöner wäre doch die Welt, hätte es den FC Bayern nie gegeben
Wer kennt „Yesterday“ von Danny Boyle? Läuft noch in ausgewählten Kinos: Ein junger, erfolgloser Musiker hat einen Unfall, fällt ins Koma und wacht in einer Welt auf, die die Beatles nicht mehr kennt. Also die größte Popband der Geschichte. Der Musiker stellt daraufhin erstaunt fest, dass niemand „She Loves You“, „Help!“, „Yesterday“ und die vielen anderen Hits jemals gehört hat. Plötzlich wird er bekannt, berühmt, geliebt und gefeiert wegen all der schönen Lieder, die er kennt.
Man stelle sich die Handlung nun auf den Fußball übertragen vor. Der Fußball ist, genauso wie inzwischen der Pop, eine recht retroselige Angelegenheit. Das „Gestern“ oder „Damals“ ist immer schnell zur Hand – Leute erinnern sich mit leuchtenden Augen an Spiele aus den 1960er, 1970er, 1980er Jahren. Damals, als der SC Paderborn noch die TuS Schloss Neuhaus war und ein, zwei Saisons in der 2. Liga gekickt hat. Damals, als Waldhof Mannheim gegen Bayer Uerdingen noch ein Spiel der 1. Liga war und nicht endlich überhaupt wieder eins in der Dritten.
Im Film „Damals“ nun kann sich niemand mehr an den FC Bayern München erinnern. Niemand kennt die Fab Four Hoeneß, Rummenigge, Beckenbauer, Breitner. Die Meisterschaft der Herzen 2001? Ein echter, unangefochtener Titel für den FC Schalke. Der Pfostenschuss von Kutzop in den achtziger Jahren? Wer war da überhaupt der Gegner? Oliver Kahn? Ein Titan vom KSC. Ballacks Eigentor in Unterhaching? Egal, Leverkusen wurde trotzdem Meister. Die sieben Meisterschaften in Folge? Welche sieben Meisterschaften in Folge?
Wie sähe das Heute aus nach diesem Damals? Der Titelverteidiger, die Borussia aus Dortmund, sähe sich ernsthaft vom Meister 2017 RB Leipzig gefährdet. Endlich wieder ein spannender Kampf um die Meisterschaft! Der Effzeh hätte Samstag spielfrei gehabt oder hätte beim nie abgestiegenen HSV eine bittere 0:4-Klatsche hinnehmen müssen. Das blöde Oktoberfest wäre eine Randnotiz vom Spiel der Münchener Löwen, dem sympathischen Problemklub aus der einzigen Millionenstadt Westeuropas, die keinen Erst- oder Zweitligisten stellt. Niemand singt was von Lederhosen im Stadion. Manuel Neuer wäre die Nummer 2 im deutschen Tor, weil Ter Steegen bei einem Weltklub spielt und Neuer nur beim FC Schalke, bei dem auch Nübel schon Ansprüche auf die Nummer 1 stellt. (Der FC Schalke spielt aber, so fair sollte man sein, so oder so endlich mal wieder eine Phönix-Saison unter dem neuen Trainer David Wagner.)
Sky sendet aus Hamburg, das ZDF hätte andere, qualifizierte, unparteiische Sportjournalisten, der Kölner Keller hätte kein Gerechtigkeitsproblem, im DFB-Pokal würde man nicht immer dieselbe Mannschaft überraschend hoch und langweilig siegen sehen müssen. Dieses komische neue Spielverlagerung-Erklärteam in der Sportschau hätte sich mit der neuen, überraschenden Taktik des SC Freiburg auseinandersetzen müssen. Räume, die frei werden. Man hätte Freunde, mit denen man frei und unbeschwert über Fußball reden könnte, weil sie nicht zufällig Fans des Unaussprechlichen wären. Die Beach Boys (und nicht die Rolling Stones!) wären die größte Popband aller Zeiten. Eine schöne Welt wäre das. Ach, wäre sie doch Wirklichkeit. René Hamann
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