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internationales literaturfestival (8)Elektrisierender Russe in Paris

Beharrlichkeit und verlegerischer Wahnsinn: der Roman „Apoll Besobrasow“ von Boris Poplawski

Hier gibt die Kultur sich noch bescheiden. Dass das am Ku’damm gelegene Institut Français einer der Veranstaltungsorte des Internationalen Literaturfestivals (ilb) ist, soll vielleicht ein Geheimtipp für Eingeweihte bleiben. Kein Aushang draußen vor der Tür weist auf die Veranstaltungen hin, und drinnen im halbdunklen Erdgeschossfoyer dauert es einen Moment, bis man den kleinen Aufsteller mit dem Lesungsprogramm findet, der immerhin neben dem Fahrstuhl platziert ist. „4. Stock“ hat jemand handschriftlich nachgetragen. Gute Idee.

Im 4. Stock befindet sich der Boris-Vian-Saal, eine wunderbare Räumlichkeit, die für den klandestinen Einstieg umgehend entschädigt. Elegant zur Straßenseite hin geschwungen, weckt das Band von schönen alten Pano­ramafenstern die heimliche Erwartung, vor den Fenstern das nächtliche Paris zu erblicken. Aber dann ist es doch nur der Kurfürstendamm.

Das Thema des Abends ist allerdings prädestiniert für eine Nischenveranstaltung. Der russische Autor Boris Poplawski, 1903 in Moskau geboren und 1935 im Pariser Exil gestorben (wahrscheinlich an einer Überdosis Heroin), hat einen einzigen Roman geschrieben, aus dem zu seinen Lebzeiten nur Auszüge veröffentlicht wurden. Erst in den 90ern erschien „Apoll Besobrasow“ komplett im russischen Original. Dass es den Roman nun auf Deutsch gibt, ist einer Kombination aus Beharrlichkeit und verlegerischem Wahnsinn zu verdanken. Beharrlichkeit auf Seiten der Übersetzerin Olga Radetzkaja, die, wie sie an diesem Donnerstag erzählt, bereits in den 90ern ein Stipendium hatte, um Kapitel des Buches ins Deutsche zu bringen. Viele Verlage hätten sich damals interessiert gezeigt, aber keiner sich getraut.

Da musste erst einer kommen wie Sebastian Guggolz, dessen Ein-Mann-Verlag sich auf genau solche Projekte spezialisiert hat: vergessene Klassiker aus Nord- und Osteuropa und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Guggolz sei wie elektrisiert gewesen, sagt er, nachdem er das erste Kapitel gelesen hatte. Er habe es sofort allen Menschen vorgelesen, die seinen Weg kreuzten, und könne gar nicht verstehen, wenn jemand nicht so begeistert sei wie er selbst.

Sieglinde Geisel, die als Moderatorin durch den Abend leitet, nimmt eine Art Gegenposition dazu ein und thematisiert ihre eigene Leseerfahrung. Ihr sei es bei einem Kapitel regelrecht physisch schlecht gegangen, erklärt sie, so intensiv sei die Sprache. Olga Radetzkaja schließlich, die für diese Sprache mitverantwortlich zeichnet, spricht von den literarischen Qualitäten und übersetzerischen Besonderheiten des Romans. Manchmal seien ganze Passagen in einem einzigen Metrum gehalten, zum Beispiel eine halbe Seite im Anapäst. Diesen Versfuß habe sie im Deutschen nachgebildet.

Poplawski war eigentlich Lyriker und hat zu Lebzeiten immerhin einen Gedichtband veröffentlicht. Eine Nischenexistenz in Kunst und Armut. Ein wenig wohlverdienter Nachruhm ist ihm sehr zu wünschen. Katharina Granzin

ilb bis 21. September. www.literaturfestival.com

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