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Die WahrheitDie fantastische Philharmonie

Kolumne
von Lea Wittkopf

Der Hexenkessel tobt. Die Kurve kocht. Die La-Ola-Welle schwappt durch den Saal. Gleich wird der Pinguin den Taktstock heben und das Spiel geht los.

E s ist Samstagabend, die Spannung steigt. Schon seit Tagen kann ich vor Aufregung nicht mehr ruhig schlafen. Verbringe Stunden im Bad und schminke mir die Augenlider in den Clubfarben Gelb-Schwarz. Richte den Ausschnitt meines neuen Kleides so, dass das Logo, das ich mir auf die linke Brust hab stechen lassen, die drei ineinandergebetteten Fünfecke, gut zur Geltung kommt. Kriege keinen Bissen runter, aber egal, dafür gibt’s ja bestimmt Bratwurst und Bier in der Halbzeitpause. Schnappe mir die Bengalos und den neuen Fan-Schal – Kirill Petrenko reckt darauf mit siegesgewisser Miene seinen Taktstock gen Himmel – und sprinte zur U-Bahn.

Den Weg zur Philharmonie finde ich sogar mit geschlossenen Augen, indem ich den exzentrischen Parfümduftsalven folge. Anders ist es eigentlich auch gar nicht möglich, da meine Glitzer-Mozartperücke mir andauernd über die Augen rutscht. Leider habe ich nur noch eine Stehplatzkarte in der Kurve ergattern können, aber so habe ich immerhin engeren Kontakt zu den übrigen Fans.

Ich lasse mich von dem weißköpfigen Strom in den Hexenkessel schleusen. Es ist zwar schon zehn Minuten vor Anschlag, aber merkwürdigerweise ist davon stimmungsmäßig noch wenig zu spüren. Die meisten Konzertbesucher sitzen auf ihren Plätzen und unterhalten sich in gedämpfter Tonlage mit ihren Sitznachbarn. Ich unternehme mutig den Versuch, ein paar aufwärmende Gesänge anzustimmen, aber niemand schließt sich mir an. Zum Glück laufen jetzt die Musiker ein und es geht endlich los. Ganz zart ertönt die Oboe, dann folgt eine wilde Improvisation des vollen Orchesters, auf nur einem einzigen Ton!

Ich klatsche begeistert. Die anderen Zuschauer schließen sich meinem wilden Applaus an, denn nun betritt auch der Dirigent die Bühne. Die Spieler erstarren, und der Pinguin mit dem Taktstab hebt beide Arme. Ein fulminantes Spektakel bricht los. Mit unglaublichen Höhepunkten. Dieser Gustav Mahler muss schon ein ordentlicher Knipser gewesen sein. Den Trompeten und Trommeln gelingt in den letzten Sekunden ein phänomenales Schlussgewitter – der absolute Wahnsinn, ich johle los. Und habe plötzlich das Gefühl, selbst auf der Bühne zu stehen, denn zweitausend hochgezogene Augenbrauen richten sich wie Maschinengewehrläufe auf mich.

Ich verstumme, und schon geht die Musik mit dem nächsten Satz weiter, so ergreifend, dass mir die Tränen in den Augen stehen und ich gar nicht weiß, wohin mit mir, als die letzten Töne verklingen. Prompt erhebt sich um mich herum ein apokalyptisches Geräuspere und Gehuste, dessen gemeinschaftlichen Auslöser ich verpasst zu haben scheine.

Es kommt noch einmal zu Irritationen, als eine von mir initiierte La-Ola-Welle sich im Raum verläuft, doch nach einem Gläschen Sekt im Foyer für schlappe 14,20 Euro gehe ich trotzdem beschwingt von einem wunderschönen Konzerterlebnis nach Hause.

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