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Frauenrechte in ArmenienSchläge und Essensentzug

Die Regierung will Gewalt gegen Frauen bekämpfen. Doch die Kirche und andere konservative Kräfte leisten Widerstand.

Absolute Gegnerin der Istanbuler Konvention: die armenisch-apostolische Kirche Foto: imago images/ZUMA Press

Berlin taz | „Mein Mann schlägt mich, ich blute“, brüllt eine Frau in den Hörer. Kurz darauf meldet sich eine weitere: „Ich bin mit meinem Kind in einem Zimmer eingesperrt. Wir bekommen nichts zu essen und zu trinken.“ Dann bricht das Gespräch ab.

Solche Anrufe sind für die armenische Menschenrechtlerin Zaruhi Hovhannisjan Alltag. Seit acht Jahren betreut sie eine Telefonhotline, bei der sich Frauen melden, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Gleichzeitig koordiniert die 43-Jährige die Arbeit der „Koalition zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen“, kurz: Frauenkoalition.

2010 schlossen sich sieben Frauenzentren und Menschenrechtsorganisationen unter einem Dach zusammen, nachdem eine 20-jährige Frau von ihrem Mann und ihrem Schwiegervater fast zu Tode geprügelt worden war. Seitdem setzt sich Hovhannisjan für Frauenrechte in ihrem Land ein. „Mit der Gewalt gegen Frauen muss endlich Schluss sein“, sagt sie.

Seit Kurzem ist das Thema in Eriwan wieder auf der politischen Agenda. Denn Armenien steht vor der Ratifizierung der Istanbul-Konvention, des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Doch dieser Schritt stößt bei vielen in Armenien auf Ablehnung. Vor allem konservative Kräfte – darunter auch die Opposition im Parlament – leisten Widerstand. Die Konvention bringe mehr Probleme als Lösungen, heißt es.

Untergeordnete Rolle

Auch die Angst, die Konvention werde die armenischen Familien zerstören, spielt eine Rolle. Diese sind traditionell groß. Nach der Hochzeit leben die Ehepaare nicht nur mit ihren Kindern, sondern auch mit den Schwiegereltern zusammen. Hier herrscht nach wie vor das Patriarchat. Die Frau hat eine untergeordnete Rolle.

„Wie eine Sklavin“ sagt Hovhannisjan. Die Frau sei Besitz ihres Ehemannes. Sie sei die Arbeitskraft im Haushalt und müsse den anderen Mitgliedern der Familie dienen. Wenn der Ehemann oder die Schwiegermutter sich nicht gut bedient fühlten, komme es zu Gewalttätigkeiten. Die Frau ihrerseits reagiere sich dann an ihren Kindern ab. „Es gibt keine Gleichberechtigung in der Familie, sondern es herrschen klare Machthierarchien“, so Hovhannisjan.

Es gibt keine Gleichberechtigung in der Familie. Es herrschen Machthierarchien

Zaruhi Hovhannisjan, Menschenrechtlerin

Viele Opfer haben trotz häuslicher Gewalt oft Angst vor einer Trennung. Bei vielen Todesfällen, die die Frauenkoalition untersucht hat, hatten Eltern und Verwandte das Opfer überredet, sich von dem gewalttätigen Ehemann nicht scheiden zu lassen. „Das äußere Bild von einer intakten und perfekten Familie ist in der Gesellschaft vorherrschend, nach dem Motto: Besser mit einem brutalen Ehemann zusammenbleiben, als sich scheiden lassen“, sagt Hovhannisjan.

Sie ist alarmiert. Die Zahl von Fällen häuslicher Gewalt in Armenien steigt kontinuierlich. In einem Land mit nicht mehr als 3 Millionen Einwohnern erfahren etwa 2.000 Frauen jährlich familiäre Gewalt. Die Frauenkoalition hat von 2010 bis 2018 60 Morde an Frauen dokumentiert. 2018 hat die Hotline über 5.000 Anrufe registriert.

„Weg, ihr Schwuchteln!“

Doch das ficht „besorgte Menschen“ in Armenien nicht an. Sie sehen die Konvention als Gefahr für die tradi­tio­nelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. „Geht weg, ihr Schwuchteln, von unserer heiligen Wiege und reinigt Armenien von euch – für immer“: So beginnt ein neues Gedicht von Gevorg Petrosjan, das in den armenischen Medien fast schon Kultstatus genießt. Der Autor dieser Zeilen sitzt für die führende oppositionelle Zarukjan-Fraktion im Parlament, die dort zweitstärkste Kraft ist.

„Das ist ein Versuch, Perversion durch Konvention in unser Land zu lassen“, sagt Petrosjan gegenüber Journalisten. Er ist bekannt für seine Hasspostings und Hetzkampagnen gegen LGBT-Menschen. „Ich habe null Toleranz für Homosexualität“, sagt er.

Gegenstand der erregten Debatte ist vor allem der Artikel 4 der Istanbul-Konvention, der neben dem „biologischen“ auch ein „soziales“ Geschlecht festlegt. Dass jede Person die Möglichkeit erhält, ein Geschlecht für sich zu wählen, daran arbeitet sich auch die armenisch-apostolische Kirche ab.

„Das ist eine Verfälschung oder Veränderung der von Gott geschaffenen Identität“, heißt es in ihrer offiziellen Erklärung. Und: Die Konvention werde zu einer Gefahr für die nationale Identität und die Sicherheitsinteressen Arme­niens, falls das Parlament sie ratifiziere.

Die Regierung allerdings lässt sich von solcher Kritik nicht beeindrucken. „Wir wollen mit der Ratifizierung der Konvention Gewalt gegen alle Menschen, einschließlich der Dis­kriminierung aufgrund des Geschlechts, verhindern“, sagt Arme­niens Justizminister Rustam Badasjan. Anfang August traf er sich mit der Fraktion „Mein Schritt“, die mit über 70 Prozent die absolute Mehrheit im Parlament hat. Dort habe es, so Ba­dasjan, über die Istanbul-Konvention keine Meinungsverschiedenheiten gegeben.

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2 Kommentare

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  • Zitat: „Die Konvention werde zu einer Gefahr für die nationale Identität und die Sicherheitsinteressen Armeniens, falls das Parlament sie ratifiziere.“

    Mir scheint die Konvention ist vor allem eine Gefahr für die Reputation derer, die keine eigene Vorstellung von der Welt haben und deswegen an überlieferten Interpretationen uralter Texte festhalten müssen: Da weiß man, was man hat.

    Schon Kant hat festgestellt, dass es Mut braucht, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Genauer: Es braucht Vertrauen in die eigenen Geisteskräfte. Gevorg Petrosjan und seine Follower können diesen Mut offenbar nicht aufbringen. Das kann ich zwar sehr gut verstehen, wenn ich so lese, was sie von sich geben, aber das hilft natürlich niemandem.

    Eins, immerhin, muss man den Männern lassen: Wie es aussieht wenn „Perversion durch Konvention“ in eine Gesellschaft gelassen wird, wissen sie. Das Problem ist nun bloß noch, dass sie nicht in der Lage sind zu erkennen: Das, was mal war, ist deutlich perverser als alles, was inzwischen ist. Eine Perversion (vom lat. perversus = ‚verdreht‘, ‚verkehrt‘), bezeichnet schließlich „eine Verkehrung ins Krankhafte oder Abnorme“. Gewisse Tabus aber sind einfach unnatürlich, krankhaft, abnorm.

    Wenn Liebe verboten ist, weil sich die Liebenden nicht fühlen können, wie andre sie sehen wollen, ist das einfach nur (geistes-)krank. Und wo Frauen in einer Partnerschaft zu Sklaven degradiert werden, kann von geistiger Gesundheit auch keine Rede sein. So was fällt schlicht unter schlechte Angewohnheiten. So wie das Essen mit dreckigen Fingern, das Verwenden von Parfüm statt Wasser oder das Gehen auf allen Vieren.

    Falls es tatsächlich einen (Schöpfer-)Gott gibt, hat er die Menschen so geschaffen, wie sie sind. Mit allen Widersprüchen. Wer das nicht wahrhaben will, wer klüger sein will als sein Gott, der kann im Grunde nur des Teufels sein. Vorausgesetzt, den gibt es ebenfalls. Wenn nicht, betreibt er einfach Amtsanmaßung.

  • Jeder, der Gewalt in der Familie als "normal" ansieht, ist nicht normal. Gerade die Kirchen (bes. die christlichen) halten sich mit der Unterstützung dieses Verhaltens nicht an das Gebot der Nächstenliebe ihrer eigenen Religion. Da ist Tradition (Gewohnheit) immer noch wichtiger, als die Umsetzung der Grundsätze des Evangeliums. Dulden und Vergebung werden von den Opfern immer gefordert. Sie werden doppelt im Stich gelassen.