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Barbara Dribbusch macht sich Gedanken über die Zuzugswarnung eines CDU-PolitikersBleibt bloß weg, weg, weg!

Ist Berlin zu voll? Sind die Wohnungen zu rar und zu teuer, die Kitas überfüllt, die Straßen zu eng und sollte die Stadt also am besten eine Art Zuzugsstopp verhängen? Der Berliner CDU-Politiker Christian Gräff hat die Debatte entfacht, als er im RBB eine Art Berlin-Warnung aussprach: „Wir müssen denen, die hierherkommen, sagen: Macht euch keine falschen Erwartungen. Wir haben die Infrastruktur nicht, ihr könnt hier nicht herziehen!“

Sich selbst hässlich zu machen, damit man in Ruhe gelassen wird, ist schon ein krasser Akt der Verzweiflung. Dass nun ausgerechnet ein CDU-Politiker Berlin herunterputzt, zeigt, wie sehr man sich am Ende der Fahnenstange wähnt. Und es zeigt auch die Maßstäbe der CDU.

Jeder Zugereiste aus einer asiatischen Metropole würde milde lächeln, wenn man Berlin als „überfüllt“ bezeichnete. Unzureichende Infrastruktur? In Mumbai oder Bangkok kennt man andere Aggregatszustände von Menschenmassen in Straßen und Häusern.

Auch in München gibt es Hasskommentare in den Leserbriefspalten, die einen Zuzugsstopp für München fordern. Irgendwann muss es doch mal genug sein! Was wollt ihr eigentlich in der Stadt? Bleibt bloß weg, weg, weg!

Dabei ist doch klar, was alle wollen in den Metropolen: das Vitalversprechen, dass hier das Leben tobt, eben weil es so voll ist, weil die vielen Menschen so unterschiedlich sind, weil man so viele Möglichkeiten hat im Konsum, in der Liebe, in der Arbeit. If you can make it here, you can make it anywhere! Da machen es einem die Metropolen eben einfach: Man muss nur da sein, wo auch die anderen sind. Aber: Haben Alteingesessene mehr Rechte, hier zu sein? Wer sind eigentlich die Guten, wer die Bösen? Sollen im Ausland lebende Investoren hier keine teuren Eigentumswohnungen kaufen dürfen, in denen sie dann doch selbst gar nicht wohnen? Solche Verbote gibt es bereits in manchen Ländern.

Sollen hier geborene Berliner durch eine Art Quote ein Vorrecht haben, Studienplätze an den hiesigen Unis zu besetzen? Diese Debatte gab es.

Sollen Besserverdiener nicht mehr herziehen dürfen, weil sie nur die umgewandelten Mietwohnungen kaufen, aus denen RentnerInnen vertrieben werden? Aber was ist mit den Kliniken, die dringend medizinisch hochqualifizierte Zuzügler brauchen? Und junge Briten, die in Berlin einen internationalen Studiengang beginnen und eine Miete von 900 Euro für ein Zimmer zahlen, weil sie das für ein Schnäppchen halten – sind die gut, weil sie die Stadt bunter machen? Oder sind sie schlecht, weil sie die Preise versauen? Fragen über Fragen, auch aus linker Perspektive.

Überhaupt die Ausländer: Die Berliner Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg hat jetzt gefordert, die Tourismuswerbung für die Stadt herunterzufahren. Airbnb, lärmende Rollkoffer, biertrinkende EU-Backpacker sind für manche ein Riesenproblem. Obwohl der ein oder andere Alteingesessene gut verdient mit dem Tourismus.

In Wahrheit gibt es ihn ja längst, den Zuzugsstopp. Das macht der Markt von ganz alleine, sollte ein CDUler eigentlich wissen. Wer sich keine Wohnung in der Stadt leisten kann, aber hier arbeitet, der zieht spätestens bei Familiengründung nach Brandenburg und pendelt eben jeden Tag.

Gräff ist nach dem Shitstorm in den Medien über das vermeintliche Zuzugsverbot alsbald zurückgerudert und hat im Tagesspiegel kurzerhand die rot-rot-grüne Landesregierung angegriffen, an allem schuld zu sein: Sie bremse das Wachstum, so dass man niemandem raten könne, herzuziehen.

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