Finale der US Open: Tolles Durcheinander
Favorit Nadal kann Außenseiter Medwedew nur mit Mühe bezwingen. Zuvor wurde der Russe ausgebuht – doch am Ende jubelt das Publikum auch für ihn.
Nomalerweise versucht Rafael Nadal in solchen Momenten, seine Emotionen zu kontrollieren, aber das ging einfach nicht. Nicht nach diesem Spiel, in dem er alles an Stärke und Willenskraft verbraucht hatte, bis ans Äußerste getrieben vom Debütanten auf der anderen Seite. Er weinte ein wenig, und die Zeit blieb ganz kurz stehen.
Wieder, wie vor ein paar Wochen in Wimbledon, erlebte die Welt des Tennis ein Männerfinale über die volle Distanz von fünf Sätzen, und wie vor zwei Monaten bei Novak Djokovic und Roger Federer steigerte sich die Sache mit zunehmender Dauer so sehr, dass sie manchmal kaum mehr auszuhalten war. Und das war auch – vielleicht sogar vor allem – das Verdienst des wunderbaren russischen Debütanten, der eine Lieblingsthese des Konkurrenten mit allen Konsequenzen beantwortete.
Nadal sagt immer, in solchen Spielen gehe es ihm um die Frage: Wie sehr kannst du leiden? Was hältst du aus? Was ihn selbst betrifft, da gibt es lange keine Zweifel mehr, aber dass Daniil Medwedew in dieser Liga mithalten kann, gehörte zu den Erkenntnissen dieses ganz großen Abends.
So schnell ging es dann doch nicht
Nach einem ausgeglichenen ersten Satz, den sich Nadal schnappte, passierte das, womit alle gerechnet hatten – es gibt genügend Statistiken zu diesem Thema –, er klemmte sich den Vorsprung unter den Arm und rannte mit ihm davon. Anfang des dritten Satzes verlor Medwedew wieder ein Aufschlagspiel, alle dachten, das Spiel werde nicht mehr lange dauern, und der Gedanke kam ihm auch. „Okay“, dachte er, „in 20 Minuten muss ich eine Rede bei der Siegerehrung halten, was sag ich da?“
In Wirklichkeit hatte er bis zur Rede noch ungefähr zweieinhalb Stunden Zeit. Mit ein paar untypischen Fehlern öffnete ihm Nadal die Tür zum Spiel wieder, er nahm das Angebot dankend an, und damit verließ das Spiel das normale Gleis. Auf einmal skandierten die Leute Med-we-dew, Med-we-dew; es waren vermutlich auch etliche dabei, die ihn zehn Tage zuvor ausgepfiffen und ausgebuht hatten, weil er ihnen den Mittelfinger gezeigt und sich hinterher mit sarkastischen Kommentaren bedankt hatte.
Sie spürten, dass noch was gehen könnte, Medwedew hörte sie rufen und spürte es auch. Und der ganze Rest wurde ein glorioses, atemberaubendes Durcheinander. In dem Nadal manchmal so nervös wirkte, als sei er der Debütant, und in dem Daniil Medwedew ein Statement abgab, das da lautet: Leute, wenn ihr auf den Sieg eines jüngeren Spielers bei einem Grand-Slam-Turnier wartet, dann könnte es bald so weit sein. „Die Art, wie er gekämpft und gespielt hat, war die eines Champions“, lobte Nadal hinterher. „Ich bin überzeugt, dass er viele weitere Chancen haben wird.“
Mit ungerührtem Gesichtsausdruck, riskanten Bällen und mit scheinbar unerschöpflicher Energie trieb Medwedew den Favoriten in den fünften Satz, und allein das gehört ins Raritätenkabinett; nur viermal in mehr als 300 Spielen bei einem Grand-Slam-Turnier hatte sich Nadal nach einer 2:0-Führung in einen fünften Satz jagen lassen, und ein einziges Mal hatte er verloren, vor vier Jahren in New York gegen den Italiener Fabio Fognini.
Diesmal, im drittlängsten Spiel der Geschichte der US Open, gewann er (7:5, 6:3, 5:7, 4:6, 6:4), unterstützt und getragen von den Zuschauern, die einen aus Sympathie gewebten Teppich für ihn ausrollten, auf dem er am Ende nach dem dritten Matchball und nach vier Stunden und 50 Minuten zu Boden ging.
Nicht viele wie Nadal
Den meisten Zuschauern ging es wie Daniil Medwedew, der dem Sieger herzlich gratulierte, sich dann für die Unterstützung des Publikums bedankte, diesmal allerdings lächelnd anstatt mit sarkastischem Unterton, und später sagte, an diesen Abend werde er sich noch erinnern, wenn er 70 sei.
Der Spanier wird derweil die 19. Trophäe in der Glasvitrine seiner Tennisschule in Manacor/Mallorca unterbringen. Mit 19 liegt er nur noch einen hinter Roger Federer, und manches deutet darauf hin, dass er seinen Lieblingsrivalen einholen kann.
Natürlich weiß er, dass ihn die Diskussion, ob er Federer vielleicht sogar überholen kann, von nun an in größerer Lautstärke begleiten wird. Am Abend seines Sieges nach einem der besten Endspiele, die die US Open jemals sahen, erklärte er noch mal für alle zum Mitschreiben, wie er die Sache sieht. „Ich sag immer dasselbe: Natürlich wäre ich gern der eine, der am Ende einen Titel mehr hat, aber ich werde nicht glücklicher oder weniger glücklich sein, wenn das passiert oder nicht. Was mich glücklich macht, ist die Befriedigung, mein Bestes gegeben zu haben.“ Es gibt, so viel steht fest, in der Welt des Sports nicht viele wie ihn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!