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Verzicht des Einzelnen reicht nichtGreta-Moment statt Greta-Formel

Es geht nicht allein um die individuelle Konsumaskese. Es hilft nur eine gesamtgesellschaftliche Vorgabe, um das Klima zu retten.

Das Team Malizia: die beiden Skipper, der Filmemacher, Greta und ihr Vater Svante Thunberg Foto: dpa

E s gibt das eine: den „Greta-Moment“ – das neue gesellschaftliche Bewusstsein für die Dringlichkeit von politischen Maßnahmen zum Klimaschutz. Und es gibt das andere – die Übertragung auf die Person. Greta Thunberg verkörpert ihre Forderungen. Bei einer Ikone mag das gelten. Sie muss 65 Stunden mit dem Zug anreisen und in die USA segeln. Mit allen Nebenwirkungen. Denn ihr Handeln ist symbolisch.

Übersetzt für uns alle ergibt das aber die „Greta-Formel“. Diese besagt: Nur strenge Konsumaskese des Einzelnen sei ein effizientes Vorgehen gegen die Klimakrise. Eine asketische Ideologie mit allem, was dazugehört: strenge Gewissens- und Schulddiskurse. Denunziation, gesellschaftliche Ächtung, Sozialkontrolle für Klimasünder. Mit steigender Tendenz.

Plötzlich sind wir unterteilt in gute und schlechte Konsumenten. Plötzlich wird die Angemessenheit von politischen Forderungen an der persönlichen Ökobilanz gemessen. Plötzlich werden Leute denunziert, weil sie Klima­krise predigen und dennoch fliegen. Die „Greta-Formel“ wird zum Maßstab. Aber stimmt dieser Maßstab? Ja und nein.

Nehmen wir etwa das Fliegen. Natürlich stimmt der Maßstab in Bezug auf die Schadstoffemission. Aber er stimmt dort nicht, wo es um den Stellenwert des individuellen Verzichts geht. Denn Hilfe, tatsächliche, effiziente Hilfe fürs Klima bedarf einer Dimension, die weit über jede individuelle Abstinenz hinausgeht.

Der Einzelne fühlt sich ökologisch schuldig

Aber wäre der Verzicht des Einzelnen nicht einmal ein Anfang? Auch da muss man sagen: ja und nein. Das eigene schlechte Gewissen, sich „ökologisch schuldig“ zu fühlen (Fred Luks), ist eine Triebkraft. Keine Frage. Zugleich aber ist das schlechte Gewissen trügerisch: Tatsächlich kann eine asketische Regulierung nur dann wirksam werden, wenn sie eine gesamtgesellschaftliche Vorgabe ist – und nicht die persönliche Haftung des Einzelnen.

Selbst die „protestantische Ethik“ mit ihrer verinnerlichten Vorgabe von Fleiß, Pflichterfüllung und Askese konnte nur dadurch zum „Geist des Kapitalismus“ werden, wie Max Weber es nannte, weil dieser Appell an den Einzelnen gesamtgesellschaftlicher Konsens war.

Ende des 20. Jahrhunderts hatte diese Askeseforderung mit den Anfängen der Umweltschutzbewegung eine Neuauflage erfahren. Damals kamen asketische und disziplinierende Vorgaben der Lebensführung als Erlösungsformel wieder auf. Mülltrennung und Konsumverzicht gegen die Apokalypse, lautete die Devise.

Der mündige Konsument, nicht nur Citoyen

Das Besondere daran war, dass damit ein neues Subjekt ermächtigt wurde: der Konsument. Man begehrte nicht mehr als Ausgebeuteter auf, man meldete sich nicht mehr als Ci­toyen zu Wort – man agierte als Konsument. Das war die vielleicht letzte Handlungsoption, die man nach dem Zeitalter der Enttäuschungen noch hatte. Das Narrativ des mündigen Konsumenten – das war gewissermaßen die Versöhnung von Aufbegehren und Ohnmacht. Aber wenn dieses Versprechen, wenn die Handlungsmacht des Konsumenten nicht trügerisch gewesen wäre, dann hätten wir heute keine ökologische Dringlichkeit.

Deshalb zeigt sich jetzt – erstens: Konsumverzicht reicht nicht. Es gibt keine private Haftung fürs Klima. Die individuelle Askese kann bestenfalls Auslöser sein für das, was es jetzt braucht – große politische Lösungen (wie sie auch #fff fordern). Sie kann diese nicht ersetzen.

Zweitens aber kann die „Greta-Formel“, die asketische Lebensführung, im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv sein. Denn sie bringt dem Einzelnen zu schnelle Befriedigung. Und das kann politisches Handeln verhindern oder zumindest reduzieren. Man errechnet seine Öko-Bilanz, man vermisst seinen ökologischen Fußabdruck und lehnt sich zurück. Askese erzeugt ein sattes Gefühl.

Es braucht bewusste Konsumenten. Keine Frage. Aber Konsum allein ist noch keine Lösung. Der Konsument ist keine Rettung – weder für sich noch fürs Klima. Er kann bestenfalls Druck erzeugen. Und das soll er auch. Aber um wirksam zu werden, muss dieser Druck ins Politische übersetzt werden. Von der „Greta-Formel“ in den „Greta-Moment“ sozusagen.

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14 Kommentare

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  • Ich bin immer wieder sauer und entsetzt



    über diese gewisse primitive Ignoranz!



    Angst ums Auto, Schnitzel, Handy?



    Um die abendlichen Filme? Um Musik,



    Kunst und Glamour? Ncht zu vergessen: Ums liebe Geld? Tja, das alles kann man sowieso bald abhaken! Diesmal geht es nicht um eine vesponnene Minderheit: U n s a l l e n geht bald buchstäblich die Luft aus! Wann wird das endlich kapiert?!!

  • Liebe Isolde,



    mittlerweile kann ich diese Art der Auseinandersetzung mit Greta nicht mehr hören.



    Alles auf diesem Planeten passiert wegen des Konsums Einzelner. Seit Jahrzehnten warte ich auf die Politik.



    Wenn sie überhaupt handelt, dann nur wegen der abfließenden Stimmen.



    Die Hauptverantwortung liegt bei den Einzelpersonen.



    Deine Art der Kommentierung bedeutet weitere Verzögerung, die wir uns nicht mehr leisten können.



    Dahinter verstecken wir uns alle schon viel zu lange.



    Bei jedem Kauf entscheide ich, wem ich das Geld in den Rachen werfe.



    Das ist die größte Steuerungsmöglichkeit die wir haben.



    Freut euch über Greta.



    Sie macht es richtig.



    Liebe Grüße.



    Gero

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Das, was die Leute privat machen, ist eben immer ein Wunschkonzert.

    Der eine fährt mit dem SUV zum Bäcker und lässt sich seine Brötchen in die mitgebrachte Stofftasche geben.



    Und hält es im Supermarkt mit Obst und Gemüse genauso.

    Und denkt tatsächlich, er würde etwas für das Klima tun.

    Das "etwas für das Klima tun" ist eben eine Chiffre, die jeder anders interpretiert.

    Und, selbst die konsequenteren unter uns, wie etwa der Herr URANUS, kommen immer noch mit zu großem Fußabdruck daher. Trotzdem er Veganer ist, keinen PKW fährt und nicht fliegt.

    Es ist, als würde es keine STVO geben und jeder regelt das für sich selbst.

    Solange man die Leute zu nichts zwingt, tun sie auch nicht viel.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @88181 (Profil gelöscht):

      Sofern Sie mit "DIE Leute" das Gros der Menschen meinen: ja. Wenn Sie aber ALLE meinen: nein.

      Dass Sie mich mit meinen 1.2 Erden Fußabdruck nicht als leuchtendes Beispiel nennen: enttäuschend. Für was kasteie ich mich denn?

      Da habe ich einiges zu verarbeiten ...

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @76530 (Profil gelöscht):

        Völker der Nord-Westlichen Welt:

        Schaut auf LEIBERG und URANUS.

        Sie haben den Fußabdruck eines Paarhufers, also einer Antilope oder eines Flusspferdes.

        Eifert ihnen nach, werdet auch ihr wie Paarhufer!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Mittlerweile scheinen sich Talkshow-Reduzierungen auf "Entweder-oder" zu einer Seuche zu entwickeln. Dass sich davon auch ein kluger und respektabler Mensch wie Frau Charim anstecken lässt, enttäuscht mich.

    NEIN, es geht eben nicht um die Schein-Alternativen "Konsumaskese oder gesamtgesellschaftliche Vorgaben".

    JA, es geht um BEIDES. Ein Weg allein reicht nicht. Dafür wurde viel zu lange geschnarcht und sich in Symbolhandlungen eingerichtet.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Vielen Dank, auch meinerseits volle Zustimmung.



      Wenn nicht einmal die Klimaschutzbewegung zusammenhält, werden alle verlieren.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Volle Zustimmung!



      Es geht NICHT um ENTWEDER ODER, SONDERN um SOWOHL ALS AUCH.

      Alles, was in unserem Einflussbereich liegt, zu tun, ist das Gebot der Stunde. Der Einflussbereich eines Vorsitzenden eines transnationalen Konzerns oder eines Mitglieds der Regierung eines Staates ist deutlich größer als der eines abhängig Beschäftigten des Konzerns oder eines Beamten im einfachen Dienst in einer unteren Behörde. Entsprechend ist auch die Verantwortung unterschiedlich groß.

      Nichtstun gilt nicht - weder bei den Mächtigen noch bei denen mit wenig Einfluss.

      Ein möglicher erster Schritt für die, die ihn noch nicht gegangen sind: Verbot für Werbung und kostenlose/werbungsfinanzierte "Zeitungen" am Briefkasten. So wird Holzeinschlag reduziert und man setzt sich weniger Verlockungen zu mehr Konsum aus.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Richtig. Abwarten, bis gesamtpolitisch etwas WIRKLICH geschieht, geht nicht, jeden in seine Kochnische drängen auch nicht. Aber Konsumverzicht als gesellschaftliches Anliegen bis hin zu Boykott ist wirkmächtig, muss allerdings lautaahls und nicht verschämt geschehen. Nestlé, Monsanto, Bayer, Burger- Ketten die Südamerikanisches Fleisch verwenden, Palmöl... ... Informieren, Informationen teilen, gemeinsam handeln.

  • Google, eine der reichsten Firmen hat herausgefunden, dass "today’s renewable energy technologies simply won’t work":

    “Google’s boldest energy move was an effort known as RE

  • Kategorischer Imperativ, Jeanne d'Arc. Und jetzt die Greta Formel? Unter alledem geht's nicht mehr. Unterschätzen wir also nicht unsere Europäische Mission, sprach nicht unser Prophet (in seiner Lehre, die vor 2000 Jahren zu uns kam, die wir so schrecklich entweihten):



    Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Ob's die Evangelien, die Apostelgeschichte....was rede ich; unsere ganze Schrift..... Was...? Sie mahnen nun doch unseren elenden Paternalismus an?



    Nein! Die Padres, die Jesuiten, Franziskaner, Augustiner hatten sie eingeladen in Baja California bis New Mexico und Texas, sich auch an dem Gekreuzigten aufzurichten, ...sie hatten Ihnen die Wahl gelassen, überall in der UNS zugewiesenen Aufgabe..Was? Die Zwangstaufe sagen Sie?..Nun weichen Sie nicht ab, aber es stimmt, am Ende hatte man manchen nicht mal das gelassen..aber wozu alte Wunden aufreißen. Und was sind sie heute andere als Europäische Missionare etwa unsere NGO's oder wir, die wir uns an Kindern aufrichten auch wenn aus der Krippe, der Mayflower eine Yacht aus Stahl wurde; die Schmiede der Nationalversammlung vom 20.März 1792 noch warm, wo man die Guillotine formte, der Wohlfahrtsausschuss vom 6. April 1793. Ja es ist der Neid, der den guten Taten seinen verdienten Rang entreißen will. Die Ideologie schleift das Schwert, die das Gute vom Bösen abteilt.



    Und wo wollen wir gelesen haben, dass die Asiaten ohne unsere Zutun auskommen könnten, ist es nicht Zeit auch dorthin unsere Mayflower auslaufen zu lassen? Denken Sie an die Jahre 1921 die Gründerzeit in Shanghai, Wuhan und Jinanund, dass man endlich die ersten Früchte am 1. 10 1949 ernten konnte. Na gut es war dort auch ein Auflodern aus eigenem Antrieb aber die Anleitung, die Kostbarkeit, die Theorie hatten sie aus Europa.



    Die prächtige Santa Maria, www.borisherrmannracing.com/

  • Zitat: „Denn Hilfe, tatsächliche, effiziente Hilfe fürs Klima bedarf einer Dimension, die weit über jede individuelle Abstinenz hinausgeht.“

    Paradoxerweise kann Individualität nicht nur groß, sichtbar und mächtig machen, sondern auch klein, einsam und hilflos. Sogar zeitgleich.

    Einer alleine kann das Klima nicht retten, auch nicht als Konsument. Das ist wohl wahr. Der Einzelne muss also Teil einer Kritischen Masse werden. Dazu aber muss er – genau wie die, die er anführen will – bestimmte Teile seiner Individualität aufgeben. Nur dann können anderen werden, wie ihre Ikone bereits ist. In dem Moment aber, in dem jemand wie Greta den anderen erlaubt, auch Greta zu werden, wird aus der Ikone wieder eine ganz normale Schülerin. Nicht jeder hält so was aus.

    (Auch) Auf das Sichtbarwerden solcher Paradoxien sind westliche Gesellschaften schlecht vorbereitet. Wie alles andere muss die Individualität in einer kapitalistischen Marktwirtschaft vor allem Profit abwerfen, Vorteile verschaffen. Vorteile, die ihre Besitzer nachher nicht gern wieder hergeben, weil sie Teil ihrer Identität geworden sind. Gerade da, wo Individualität an Einzelmerkmalen festgemacht wird, ist das problematisch.

    Wer seine Anführer-Individualität etwa an der Hautfarbe, am Geschlecht, an Konsumgewohnheiten oder an einer Idee fest gemacht hat, der verliert automatisch, wenn er gewinnt. Und zwar doppelt: als Mensch und als Leitfigur. Weil er sich selber vielleicht schon nicht mehr erkennt, während andere sich immer noch träge zurücklehnen und sagen: „Lass den mal machen, der macht das viel besser als ich.“

    Nur wer mehr ist als die Summe seiner Einzelmerkmale, bleibt Individuum, wenn andere ihm folgen. Es folgt ihm allerdings kaum jemand, weil er zu wenig Identifikationsanlässe anbietet. Gretas Reise ist dafür ein Beleg. Wie also kann aus der „Greta-Formel“ ein „Greta-Moment“ werden? Bitte erklären Sie das, werte Isolde Charim. Ich bin gespannt.

  • Wir können schlicht nicht so weiter machen und natürlich gilt das auch für den Einzelnen. Die privaten Haushalte machen unnötigen Schmutz. Die PKW, die Haustiere, der übermäßige Fleischkonsum, die Flugreisen, die überhöhten Temperaturen in den zu großen Wohnungen, die Müllberge.

    Es existiert keine politische Lösung, die es uns ermöglichen wird so weiter zu leben nur irgendwie umweltverträglicher. OHNE dass jeder Einzelne beginnt bewusst zu gewichten und zu VERZICHTEN, wird das alles nicht gelingen.

    Niemand wird künftig mit 3 Katzen in seiner muckelig klimatiserten 90m² Wohnung leben können und 2x im Jahr auf die Malediven fliegen. Das hätten wir von Anfang an nicht tun sollen.

    Es ist natürlich bequem zu sagen "Ich kann da ja gar nix machen. Da muss die Politik ran." Aber das ist eine Lüge, die man sich - im günstigsten Fall - selbst erzählt.



    Unsere Luxus war von Anfang an falsch. Eines unsere Babys verbraucht im ersten Jahr seines Lebens mehr Ressourcen, als mehrere Menschen im Rest der Welt in ihrem ganzen Leben.

    Wir können so nicht weiter machen. Das kann man nicht von sich weg schieben.

    • @Michael Garibaldi:

      Der Luxus ist aber immer Definitionssache.

      Das Streben nach Erleichterung ist im Menschen verankert. Für den Steinzeitmensch war das Feuer eine Erleichterung, dann die Fellbekleidung, dann....

      bis hin zur hiesigen Nachkriegsgeneration, die dann die Zentralheizung begrüßten, dann das individuelle Auto etc.

      Damit hängt aber auch der Fortschritt in der Medizin und Zivilgesellschaft zusammen. Den sollte man nicht unterschätzen.

      Daher ist es im laufenden Prozess kaum möglich zu sagen, ab welcher Stelle es falsch war und ab wann man auf weitere Errungenschaften verzichten sollte. Im Nachhinein geht alles leichter.

      PS Ein Baby verbraucht eher nicht mehr Ressourcen, als mehrere Menschen in der Dritten Welt. (Zb 5 Leute, a 2to CO2, für 50 Jahre = 500 to CO2. Das schafft kein Baby, ausser bei den Superreichen)