„Das ist Selbstausbeutung“

Ein Symposium diskutiert zwei Tage über inklusiven Tanz. Ein Gespräch über Normalität, Sehgewohnheiten und eine Stadt mit zwar vielen, aber schlecht geförderten Akteuren

Szenenbild aus der Produktion „Touch me“ mit Corinna Mindt, Neele Buchholz und Oskar Spatz der tanzbar_bremen Foto: Daniela Buchholz

Interview Jan Zier

taz: Warum ist es wichtig, ob TänzerInnen eine Beeinträchtigung haben, Herr Grollitsch?

Günther Grollitsch: Das ist gar nicht unsere Frage! Es geht darum, dass Plattformen geschaffen werden, damit es für alle die Möglichkeit gibt, gleichberechtigt ihre künstlerischen Möglichkeiten zu präsentieren, auszuleben und zu professionalisieren. Da steht die Gleichberechtigung im Vordergrund.

Ist der inklusive Tanz schon ein Teil des regulären Kulturbetriebs – oder noch ein Anhängsel desselben?

Auch wenn es in den letzten Jahren besser geworden ist: In Deutschland sind wir noch nicht im regulären Kulturbetrieb angekommen.

Weil der die KünstlerInnen mit Beeinträchtigung noch zu sehr diskriminiert?

Nein. Die Zahl der KünstlerInnen, die Beeinträchtigungen haben und im professionellen Bereich künstlerisch aktiv arbeiten, ist nicht hoch. Und solche Nischen brauchen FürsprecherInnen, um jene Normalität zu generieren, die wir anstreben. Wir müssen auch die Sehgewohnheiten des Publikums so schärfen, dass ein Tänzer mit Beeinträchtigung nicht erstmal ein „Ooooh“ und „Aaaah“ auslöst. Wenn solche KünstlerInnen auf der Bühne stehen – und es werden immer mehr –, bekommen sie noch immer Sonderprädikate, nach denen sie bewertet werden. Das wollen die KünstlerInnen aber gar nicht.

Soll man KünstlerInnen mit und ohne Beeinträchtigung nach denselben Maßstäben messen?

Das steht zur Diskussion!

Die tanzbar_bremen hat mit Neele Buchholz und Oskar Spatz die ersten professionellen TänzerInnen mit Down-Syndrom fest angestellt. Ist das auch im Stadttheater denkbar?

Ja! Aber das hat nicht nur etwas mit den Sehgewohnheiten des Publikums, sondern etwas mit der Qualifizierung dieser KünstlerInnen zu tun. Das ist ein längerer Prozess. Bisher läuft das bei den TänzerInnen mit Beeinträchtigung noch oft über autodidaktische Erfahrungen und verschiedene Kurse – das steht in keinem Verhältnis zu dem, was jahrelang ausgebildete, professionell arbeitende TänzerInnen in der Regel hinter sich haben. Wir müssen erst einmal an diesen Punkt kommen, das Menschen mit Beeinträchtigung das auch erreichen können.

Was hat sich da in den letzten Jahren geändert?

Die Entwicklung gerade von Frau Buchholz, die ja schon länger bei uns arbeitet, ist atemberaubend! Das betrifft die Gesamtheit ihrer Person, nicht allein ihrer künstlerischen Fähigkeiten – und da ist auch noch keine Grenze erreicht. Das zeigt nur noch stärker das Potenzial, das sie hat.

Zeitgenössisches Tanztheater lebt oft von Perfektionismus in der Körperbeherrschung. Steht das der von Ihnen erhofften Gleichberechtigung entgegen?

Nein, das hängt immer auch von den Individuen ab. Es geht, gerade in der inklusiven Kunst, um ein Ausloten der Grenzen – und um Grenzüberschreitung.

Können inklusive Tanzprojekte wirtschaftlich arbeiten?

Wir schauen sehr stark auf die Wirtschaftlichkeit – und die künstlerischen Formate im inklusiven Bereich sind bei uns sehr stark nachgefragt. Aber egal, um welche Kunst es geht – sie wird immer eine Unterstützung durch den Staat brauchen. Das ist kein privatwirtschaftlicher Unterhaltungsbetrieb.

Sind die Bedingungen in Bremen, wo es das Blaumeier-Atelier und das erste integrative Tanz-Festival gibt, besser als anderswo?

Nein! Bremen hat nur mehr – auch bundesweit und international erfolgreiche – Akteure als andere Städte.

Aber weniger Geld.

Foto: Daniela Buchholz

Günther Grollitsch, 50, ist österreichischer Tänzer und Choreograf. Er arbeitet seit 2001 an Projekten integrativer Bühnenkunst. Seit 2009 gibt es die „tanzbar_bremen“, die er künstlerisch leitet.

Ja. Bremen hat nicht die Fördermöglichkeiten, um allen gerecht zu werden.

Wird das unter einem rot-grün-roten Senat besser?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Mittel für die gesamte Kulturszene müssten aufgestockt werden. Die Bedarfe sind riesig!

Gibt es denn auch Nachfrage nach mehr inklusiven Kulturprojekten?

Wenn man international spricht: ja! Wir kommen unseren Aufträgen zum Teil gar nicht hinterher.

Es gibt seit Jahren keine Neugründungen inklusiven Theaters mehr“, sagt der Organisator des inklusiven Bremer Mittenmang-Festivals. Wie passt das zusammen?

Im Tanztheater-Bereich sind nicht viele, aber ein paar neue Player dazugekommen. Neue Strukturen aufzubauen, ist aber auch eine große Herausforderung: Das ist Selbstausbeutung.

Die tanzbar_bremen veranstaltet am 28. und 29. August in der Schwankhalle das Symposium „Tanz Inklusiv – vom Werden und Sein“