„Holzhammer bringt gar nichts“

Der frühere Fußballprofi Pablo Thiam ist heute Integrationsbeauftragter beim Vfl Wolfsburg. Ein Gespräch über ein Leben zwischen den Stühlen, wiederkehrenden Rassismus und die Liebe zur Pünktlichkeit

Als er als einer der ersten schwarzen Spieler in der Bundesliga begann, erlebte er weniger Rassismus als heute: Ex-Fußballprofi Pablo Thiam Foto: Christian Wyrwa

Interview Simone Schmollack

taz: Herr Thiam, neulich sorgte der Aufsichtsratsvorsitzende von Schalke 04, Clemens Tönnies, mit dem Satz, wenn Afrikaner mehr Kraftwerke hätten, würden sie „aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’ s dunkel ist, Kinder zu produzieren“ für einen Eklat. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Satz hörten?

Pablo Thiam: Ich war geschockt, ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er das tatsächlich so gesagt haben soll.

Fühlten Sie sich persönlich angegriffen?

Nicht direkt, aber die Aussage zeigt den unterschwelligen latenten Rassismus, den viele Menschen in sich tragen. Mich macht das eher traurig.

Traurig. Nicht wütend?

Nein, nicht wütend, aber ich hätte mir gewünscht, dass er sich danach zuerst einmal bei denen entschuldigt, die er beleidigt hat. Also bei den Afrikanern. Und nicht, so wie er es getan hat, bei seinem Verein und den Schalker Fans.

Neulich sagten Sie in einem Interview über Rassismus in Deutschland: „Wir waren schon mal weiter.“ Wie weit waren wir denn?

Kurz nach dem Mauerfall war ich einer der ersten farbigen Spieler in der Bundesliga, danach ging es rasend schnell, bis fast alle Mannschaften Spieler mit Migrationshintergrund hatten. Das hat die Fanszene verändert: Die, die sich früher rassistisch geäußert hatten, hielten sich jetzt zurück. Weil ihre Mannschaft jetzt ja auch so etwas wie kosmopolitisch war. Und dann kam auch noch der DFB mit seiner Kampagne „Zeig Rassismus die rote Karte“. Das hat gewirkt.

Das ist heute anders?

Heute scheint es so, als dürfte sich jeder so rassistisch äußern, wie es ihm gerade einfällt.

Erinnern Sie sich an den 5. November 1994?

An dem Tag habe ich mit dem 1. FC Köln mein erstes Bundesligaspiel bestritten.

Damals waren Sie 20, jünger als die Spieler, die Sie heute in ihren Mannschaften betreuen.

Das war meine Chance, in den Profifußball einzusteigen. Es war nicht alles einfach, da ich seit meinem 16. Geburtstag alleine in Deutschland war. Meine Eltern sind gerade nach Brüssel gezogen, weil mein Vater als Diplomat dorthin versetzt wurde. Aber ich hatte in Köln ein prima Umfeld: einen tollen Trainer, der heute einer meiner besten Freunde ist. In der Woche wohnte ich im Internat, am Wochenende wurde ich von einer Familie betreut, die sich um drei oder vier junge Spieler gekümmert hat, denen es ähnlich ging wie mir.

Warum ausgerechnet Fußball?

Das liegt ein bisschen in der Familie. Mein Vater war in den 70er-Jahren in Guinea Nationalspieler und ganz gut bekannt. Eines Tages hat er sich aber schwer verletzt und wurde in der Sowjetunion – Guinea wurde damals kommunistisch regiert – operiert. Als er zurückkam, hat man ihm als Dankeschön für seine Fußballleistungen eine Diplomatenstelle angeboten. In Deutschland ist er dem Fußball treu geblieben.

Wie war es für Sie, nach Deutschland zu kommen?

Ich war fünf Jahre alt und habe keine ganz genauen Erinnerungen mehr. Was fast niemand weiß: Ich wurde aus Guinea zu meiner Familie nach Deutschland nachgeholt. Meine Eltern sind zunächst mit meinen beiden jüngeren Brüdern – der eine war zwei, der andere ein Baby – 1979 nach Deutschland gegangen.

Ihre Eltern haben Sie in Guinea zurückgelassen?

Diplomaten durften damals nicht mit der kompletten Familie ausreisen, das hat die frühere kommunistische Regierung verboten. Mein Vater hat mich in einer Nacht-und-Nebelaktion aus Guinea nach Bonn geholt.

Wo haben Sie in Guinea gelebt?

In der Familie bei einem meiner Onkel.

War Deutschland ein Kulturschock für Sie?

Nicht wirklich. In Guinea war ich noch ein Kleinkind und habe den ganzen Tag draußen gespielt, genauso wie später in Bonn. Für mich hat sich also nicht viel geändert. Ich hatte schnell viele Freunde, meine Eltern haben Wert darauf gelegt, in der deutschen Community zu leben und nie im Diplomentenviertel.

Wie war es damals als schwarzer Junge unter weißen Kindern?

Anders als heute. Die Kinder waren ganz unbefangen und haben auch mal gefragt: „Warum seid Ihr schwarz?“

Stellt man heute die Frage, wird einem rasch Rassismus unterstellt.

45, ist Ex-Fußballprofi unter anderem beim 1. FC Köln, Bayern München und beim VfL Wolfsburg. Beim VfL war er bis 2008 Stammspieler. Jetzt trainiert er dort den Nachwuchs.

Thiam wurde in Guinea geboren und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Das halte ich für komplett falsch. Kinder müssen fragen dürfen. Wenn sie es nicht tun, werden sie nichts erfahren und nicht lernen.

Was haben Sie damals geantwortet?

Dass wir aus Afrika kommen, und dass die Menschen dort so aussehen.

Und dann war das Thema gegessen?

So ungefähr. Manche deutsche Kinder haben uns auch in die Haare gegriffen, um den Unterschied zu fühlen.

War das für Sie ein Übergriff?

Nein, es hat auch nicht genervt. Wir haben uns eher lustig darüber gemacht. Mein Vater hat uns Kindern aber auch beigebracht, dass wir uns überall und immer anständig verhalten sollten: freundlich und offen sein, nicht negativ auffallen. Er hat immer gepredigt, dass wir als Farbige schneller auffallen als andere Kinder.

Haben Sie schon mal den Satz gehört: Du bist ja deutscher als die Deutschen?

Oft. Weil ich so strukturiert, durchorganisiert, pünktlich bin. Wenn ich früher eine Zeitung verliehen habe und bekam die zerknüllt zurück, hat mich das aufgeregt. Als Spieler in der Guinea-Nationalmannschaft – von 1994 bis 2006 spielte ich dort – saß ich fünf Minuten vor vier im Bus, wenn es hieß, es geht um vier Uhr los. Dann war ich der Einzige, die anderen Spieler kamen zum Teil irgendwann nach vier mit Einkaufstüten vom Shoppen.

Sie sind Integrationsbeauftragter beim VfL Wolfsburg. Wie bringen Sie jungen Spielern bei, dass Rassismus weder im Fußball noch sonst wo etwas zu suchen hat?

Allein die Tatsache, dass ich in einer solchen Position bin, ist für viele schon ein Statement. Aber ich versuche, den Jungs klar zu machen, keine Farben zu sehen. So wie ich keine Farben sehe, wenn ich Menschen anschaue. Es gibt im Verein ganz klare Werte, und die wollen wir auch alle leben. Wenn es doch mal unter den Spieler Vorkommnisse gibt, werden diese mit den Beteiligten geklärt. Ich persönlich bin bei Sprüchen nicht so empfindlich. Aber man muss den Menschen klarmachen, dass es andere vielleicht sind.

Verständnis ist besser als der Holzhammer?

Holzhammer bringt gar nichts. Andererseits kann es auch mal sein, dass ich empfindlich reagiere, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Da kann es auch mal sein, dass ich deutlich werde.

Sie wohnen in Berlin-Zehlendorf, wo früher viele schwarze Amerikaner stationiert waren.

In dieser Ecke von Berlin fühlt sich meine Familie wohl. Aufgrund seiner Vergangenheit ist Zehlendorf recht multikulturell. Hier gibt es einige Mischehen, sodass man hier vielleicht nicht so auffällt wie in anderen Ecken Berlins.

Und trotzdem erleben Ihre Kinder Rassismus, haben Sie mal erzählt.

In Berlin sagte vor einiger Zeit auf der Straße eine Frau zu meiner Tochter, sie solle dahin zurückgehen, wo sie hergekommen ist. Meine Tochter wusste gar nicht, was die Frau meinte. Sie ist ja in Deutschland geboren.

Fühlen Sie sich manchmal heimatlos?

Als ich in der Nationalmannschaft von Guinea gespielt habe, wurde ich immer nur der Deutsche genannt. In Deutschland sieht man mich ebenfalls als Ausländer an, obwohl ich Deutscher bin, ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft. Als Kind von Diplomaten, welche in der Regel alle fünf Jahre in ein anderes Land ziehen, ist man automatisch ein wenig heimatlos. Mittlerweile ist meine Heimat Berlin, bei meiner Familie. Wenn man versucht, beide Kulturen zu vereinen, sitzt man ab und zu schon zwischen den Stühlen.

Sollten Fußballer eine politische Haltung haben?

Es ist gut, wenn Sportler nicht nur gut spielen können, sondern auch noch Botschafter sind für eine gute Sache. Aber ich würde keinen 20-jährigen Spieler unter Druck setzen, mit einer klaren politischen Haltung rausgehen zu müssen.

Ich habe Mesut Özil im Kopf, der für ein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğ an viel Kritik einstecken musste.

Sowohl Mesut Özil als auch der DFB hätten sich anders verhalten können. Für meinen Geschmack musste Özil vielleicht ein wenig zu viel an Kritik und Häme einstecken. Das war kein gutes Beispiel für viele junge Talente mit Migrationshintergrund.

Haben Sie Kinder, die Fußball spielen?

Zwei meiner Söhne spielen in Berlin Fußball.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Politik sollte wieder Tacheles reden.

Tut sie das nicht?

Gerade nicht. Schauen Sie sich nur die Parteien von links nach rechts – bis auf die AfD – an, die kann man doch gar nicht mehr auseinanderhalten. Die Menschen können sich an Parteien nicht mehr orientieren, davon profitieren einzig die Rechtspopulisten. Meine Devise: Man muss Kante zeigen, auch in der Politik. Damit die Menschen wieder Halt finden und sich vertreten fühlen.