Frühe KZ-Opfer entwürdigt

Nach Naziattacken fällt die Stadt Fürth drei Birken am Benario-Goldmann-Mahnmal. Trauriger Höhepunkt einer komplizierten Geschichte des Gedenkens

Die Tafel wurde immer wieder beschmiert, die Scheibe eingeworfen

Aus Fürth Andreas Thamm

Das Glas über dem Bild von Rudolf Benario ist zerkratzt. Von Ernst Goldmann ist kein Foto erhalten. Die drei Birken hinter der Gedenktafel sind heute nur noch Stümpfe. Im Juni 2019 ließ die Stadt die zum Denkmal gehörenden Bäume zum Schutz von Spaziergängern fällen – nachdem Unbekannte sie mit Kettensägen und Äxten attackiert hatten.

Benario und Goldmann wurden ebenso wie Arthur und Erwin Kahn am 12. April 1933 von der SS in einem Wald bei Dachau erschossen. Sie gelten als die ersten Opfer in einem deutschen KZ. Benario und Goldmann kamen aus Fürth, waren Gründungsmitglieder des dortigen Kanuklubs, der am Ufer der Rednitz die drei Birken gepflanzt hatte. 2007 stellte die Stadt Fürth an dieser Stelle die Gedenktafel auf. 74 Jahre mussten vergehen, bis ihre Heimatstadt an die beiden erinnerte.

Nahe der Baumstümpfe steht Siegfried Imholz, der viele Jahre für das Gedenken an die Ermordeten gekämpft hat, und deutet nach oben, einen Laternenpfahl entlang. „Jetzt hängen da Kameras“, sagt er. „Reichlich spät.“ Er lacht bitter. Die Schäden durch die Attacke hatten die im Volksmund Benario-Birken genannten Bäume 2017 so beschädigt, dass ihr Sterbeprozess einsetzte.

Rudolf Benario und Ernst Goldmann waren Juden. Verhaftet wurden sie in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1933, weil sie Kommunisten waren. Es ist diese Parteizugehörigkeit, sagt Siegfried Imholz, mit der sich die Stadt in den Nachkriegsjahrzehnten so schwer tat. Imholz hat die Geschichte des Widerstands im Band „Gebt ihnen einen Namen“ anhand zahlreicher Biografien aufgearbeitet. Bis Mitte der 90er Jahre war er selbst Mitglied und Kreisvorsitzender der DKP. Heute bietet der Rentner Stadtführungen zum Thema an.

1977 stellte ein Abgeordneter der Kommunisten im Fürther Stadtrat den ersten Antrag für einen Gedenkort, 1978 den zweiten. Der Stadtrat lehnte stets ab. Er erinnere noch einen Spruch eines CSU-Stadtrats, erzählt Imholz: „So weit kommt es noch, dass wir Verbrechern gedenken.“ Das sei 1983 gewesen.

Ernst Goldmann ist zum Zeitpunkt seiner Verhaftung und Erschießung 24 Jahre alt, genau wie Rudolf Benario. Die übermittelten Informationen sind spärlich: Nach einer Versammlung der KPD gegen den Paragrafen 218 wird Goldmann 1931 erstmals verhaftet. Er ist ausgebildeter Kaufmann, die Polizei notiert: „vermögens- und erwerbslos, kein Einkommen“. Den Ordnungshütern gilt er fortan als politischer Unruhestifter und kommunistischer Aufwiegler. Goldmann schreibt für die kommunistische Stadtzeitung Rotes Signal und deckt Prügelexzesse Fürther Hauptschullehrer auf.

„Die Polizei kannte die Mitglieder der Kommunistischen Partei“, sagt Imholz. „Zwischen 1930 und 1933 wurden sechs Demonstrationen mithilfe von Polizeiknüppeln aufgelöst.“ Die Gestapo habe sich später an den Listen der Polizei orientieren können.

Der in Frankfurt geborene Rudolf Benario, Sohn eines Wirtschaftsjournalisten, promoviert 21-jährig in Staatswissenschaften. Er engagiert sich im Asta der Erlanger Universität. Auf einem Aushang der Arbeitsgemeinschaft Republikanischer Studenten aus dem Jahr 1930 ist das Wort „Studenten“ durchgestrichen, daneben steht „Judenknechte.“

In Fürth ist Benario zunächst Vorsitzender der Jusos, tritt 1930 dann aber öffentlichkeitswirksam zur KPD über – weil die SPD die Brüning-Regierung und den Panzerkreuzerbau unterstützt. Spätestens nach einer Erwerbslosendemonstration im Juli 1931 ist auch er der Polizei bekannt: Das Amtsgericht verurteilt ihn zu einer Strafe von 80 Reichsmark. Er habe den Zug und die Sprechchöre angeleitet: „Gebt uns Arbeit, gebt uns Brot!“

Goldmann und Benario gehören zu den GründerInnen des Fürther Kanuklubs. „Mir wurde noch erzählt“, sagt Imholz, „da war es immer so schön, weil man da auch nackt baden durfte. Die hatten diese ganze bürgerliche Moralscheiße nicht am Hals.“ Die Birken wurden zur Befestigung des Ufers gepflanzt. Sie hatten alles überlebt; die Verhaftungen, die Morde, den Krieg, den Kalten Krieg. Nicht überlebt haben sie die Neonazis im neuen Jahrtausend.

„Die Birken auf dem Gelände sind von Ernst Goldmann und Dr. Rudolf Benario etwa 1930 gepflanzt worden“, steht auf der Gedenktafel. Siegfried Imholz lacht jetzt herzhaft: „Ich halte das für eine Legende. Aber das ist ja nicht so schlimm.“ Die Nazis lösten den Kanuklub 1933 auf und verhafteten alle zwölf Gründungsmitglieder.

Die Kommunisten von Fürth hatten versucht, ihre MitbürgerInnen zu warnen, hatten Flugblätter gedruckt und zum Generalstreik aufgerufen. Auf den Lkw der Polizei verladen, erfuhren sie das Ziel ihrer Fahrt: Dachau. Der Überlebende Willi Gesell schrieb später: „Das schreckte uns nicht. Denn wir hatten bis zu dieser Zeit über das KZ Dachau noch nichts gehört.“ Die SS hatte das Kommando vor Ort gerade erst übernommen.

Aus Nachkriegsverhören wissen wir heute von den Misshandlungen, denen Benario, Goldmann und die anderen frühen Gefangenen von Dachau ausgesetzt waren. Der Aufseher Hans Steinbrenner prügelte die Häftlinge mit dem Ochsenziemer, einer schweren Schlagwaffe aus gedörrtem Ochsenpenis; die Juden unter ihnen solange, bis sie zusammenbrachen. Steinbrenner hat in Aufzeichnungen und vor Gericht Zeugnis abgelegt. Er beging 1964 nach seiner Haftentlassung Suizid.

2013 klauten Neonazis die Gedenktafel am Rednitzufer und hinterließen eine Schmiererei: „Hans Steinbrenner hier.“ Des SS-Nazis, nicht seiner Opfer sollte gedacht werden.

Die Tafel wurde zweimal entwendet, immer wieder beschmiert, die Scheibe eingeworfen. 2017 dann die Beschädigung der Birken. Oberbürgermeister Thomas Jung sagt am Telefon, er hätte sich nicht vorstellen können, dass Menschen so verroht und so verdorben sein können.

Das Denkmal am Rednitz­ufer geht ganz entscheidend auf die Initiative des SPD-Bürgermeisters zurück. „Ich finde es unerhört, dass diese beiden Menschen von der Stadt Fürth jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit erfahren haben“, sagt Jung. „Wahrscheinlich weil sie Kommunisten waren.“ Aus heutiger Perspektive sei dieser Umstand nur durch den Kalten Krieg zu erklären. Seine Ini­tiative sei dann aber von allen Fraktionen unterstützt worden, selbst von den Republikanern.

An der Rednitz soll nun bis zum 12. April 2020 ein neues Denkmal entstehen. Das Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus hat Kontakt zu Fürther KünstlerInnen aufgenommen. Geschützt ist es dann immerhin durch die Kameras, die für die Birken zu spät kamen.

Die rechtsextreme Kleinstpartei Der III. Weg schreibt derweil auf ihrer Webseite, Benario und Goldmann würden von „Linksextremisten frenetisch verehrt“, in der Stadt stoße die Tafel jedoch auf wenig Gegenliebe. Die Neonazis reproduzieren die Geschichte der SS, wonach die Juden auf der Flucht erschossen worden seien.

Verhaftungen im Zusammenhang mit der wiederholten Beschädigung des Denkmals am Ufer gab es trotz zwölf Jahren Vandalismus und Sachbeschädigung nicht.