heute in hamburg
: „Wer in Armut lebt, lebt nicht würdevoll“

Aktionstag „Soziale Kälte“ der SoVD: Gespräche mit Gästen aus Politik, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen: 9-17 Uhr, Infos: www.sovd-hh.de

Interview Carlotta Kurth

taz: Herr Wicher, bei der Stadtteiltour soll es um soziale Kälte in Hamburg gehen. Ist es bei uns im Norden kühler?

Klaus Wicher: Die Klimabewegung führt ja eher dazu, dass es hier tendenziell wärmer wird, aber für viele Menschen eben nicht. Und das ist der Anlass für unser Auftreten heute.

Was bedeutet es also?

Soziale Kälte bedeutet, dass trotz eines lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs doch eine ganze Menge Menschen nicht davon profitieren konnten. In Hamburg gibt es rund 243.000 Menschen, die teilweise oder vollständig auf soziale Leistungen angewiesen sind. Dazu gehören Kinder, Grundsicherungsempfänger im Alter und erwerbsgeminderte Menschen.

Was macht Hamburg falsch?

Hamburg unternimmt eigentlich eine ganze Menge, das Problem ist nur, Hamburg ist nicht erfolgreich. Zum Beispiel gibt es zwar kostenfreie Alltagshilfen für Ältere, aber die sind nur punktuell und nicht im ausreichenden Maße vorhanden. Hausbesuche werden den 80-Jährigen angeboten und nicht in erster Linie denen, die bedürftig sind. Wenn wir nicht genügend Geld für alle haben, dann müssen wir doch erst mal denen helfen, die den größten Bedarf haben. Und das macht die Stadt falsch.

Was sind Auswirkungen der Armut?

Wer in Armut lebt, hat ein schweres Leben. Betroffene erzählen mir zum Beispiel, dass sie die letzten zehn Tage nicht mehr auf die Straße gegangen sind, weil sie Angst hätten, auf Bekannte zu treffen, die mit ihnen gemeinsam ein Bier oder Kaffee trinken gehen wollen, aber sie haben gar kein Geld dafür. Sie entziehen sich der Gesellschaft und das führt zur Vereinsamung.

Foto: SoVD Hamburg

Klaus Wicher, 71, ist 1. Landesvorsitzender des Sozialverbands Hamburg (SoVD).

Was muss passieren?

Das Einkommen der Menschen muss erhöht werden, auch die Grundsicherung. Ein anderer Punkt ist die soziale Infrastruktur kostenfrei zu gestalten, also Nahverkehr und Kulturangebote. Hier geht es darum, dass die Menschen einen Anspruch darauf haben, in unserer Gesellschaft anständig leben zu können. Wer in Armut lebt, lebt nicht würdevoll.

Es wird immer viel geredet, inwiefern können Politiker heute zum Handeln angehalten werden?

Vor der Bürgerschaftswahl Anfang kommenden Jahres müssen alle Parteien den Menschen sagen, was sie verändern wollen. Wir wollen mit ihnen diskutieren, an welcher Stelle sie was bewegen wollen, um bedürftigen Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen.