So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über „Qatsi Reloaded“: Schlauer als ihre Eltern
Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“ (1982) war lange nur ein verschrobener Klassiker, ein harmlos gewordener Kultfilm. Fast wortlos reihen sich Bilder von Explosionen, zerklüfteten Landschaften und dem endlosen Maschinenpark der spätindustriellen Welt aneinander. Doch obwohl einem das mit äußerster Dringlichkeit um die Ohren gehauen wird, hat sich irgendwann doch herumgesprochen: Die Botschaft ist schon arg platt, hält von der Zivilisation nicht viel – so was wie die Essenz des kollektiven Untergangstrips der 80er-Jahre.
Die Bremer Jugendlichen, die den Film heute im Tanz nacherzählen, waren damals noch lange nicht geboren. Und trotzdem ist „Qatsi Reloaded“ von Hakan Sonakalan an Aktualität kaum zu überbieten. Dass die Tänzer*innen zwischen 13 und 18 Jahren nicht nur für die Kunstblase stehen, sondern für deutlich weitere Teile ihrer Generation, belegt nicht nur Fridays for Future.
In einem durchsichtigen Kasten ringen die Jugendlichen tanzend mit der Welt. Wie eingesperrt prallen sie aneinander, probieren sich in angerissenen Figuren aus – und fallen doch immer wieder zurück in ein rohes und energisches Zucken. Wie die Welt sich seit dem Film verändert habe, fragt die Produktion im Programm. Nun, zuallererst ist sie entgegen aller Erwartungen auch über 30 Jahre später noch da. Interessanter ist wohl, wo diese trotz professioneller Anleitung authentische junge Kunst eigentlich andockt. Steckt im neuen Umweltbewusstsein ein Wiedergänger der finsteren Öko-Apokalyptik ihrer Eltern? Wie wirkmächtig sind für ihr Engagement die totalitären Phantasien, die sich natürlich auch unter dem Hashtag „Klimanotstand“ versammeln? Abschließend klären kann Tanztheater das nicht. Dass sich die Frage aber aufdrängt, ist schon ihr Verdienst.
Im Gegensatz zum Film arbeitet „Qatsi Reloaded“ die Widersprüche nämlich punktgenau heraus: Als die Tänzer*innen ihren engen Raum verlassen, gehen sie in Formation. Interessant ist, wie diese maschinelle, fast militärische Ordnung erst draußen entsteht: in der Freiheit also.
„Qatsi Reloaded“ interessiert sich nicht für Perfektion, sondern für Reibungen. Zu der eindringlichen Musik von Riccardo Castagnola wird sich gekratzt, gewunden und gestolpert. Natürlich mit Untergangsstimmung. Man kann bei aller denunziatorischen Blödheit des Films ja auch nicht übergehen, dass die Zivilisation diese grässlichen Bilder tatsächlich zu verantworten hat. Das anzuerkennen, ohne aber blind in reaktionäre Untergangslust zu taumeln – daran ist eine ganze Generation krachend gescheitert. Dass es besser geht, haben diese Jugendlichen eindrucksvoll bewiesen.
Zum letzten Mal: heute, 19 Uhr, BLG-Forum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen