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England schaut hin

Zum Auftakt der Premier League irritiert nur der neu eingeführte Videoassistent. Manchester City und Liverpool lassen sich nicht stören und gewinnen deutlich

Stellt sich dem Videobeweis: Ein Flitzer stürmt zum Saisonauftakt das Anfield in Liverpool Foto: Recine/reuters

Aus ManchesterHendrik Buchheister

Die Fans von Manchester City fühlten sich verloren bei ihrem Besuch bei West Ham United. “„What the fuck is going on?“, riefen sie. Was zur Hölle passiert hier? Die Verwirrung hatte nichts mit dem Vortrag ihrer Mannschaft am ersten Spieltag der Premier League zu tun. Der Titelverteidiger überrollte den Londoner Klub und gewann 5:0. Der Grund für die Ratlosigkeit auf den Rängen war der Videoschiedsrichter VAR, der in dieser Spielzeit seine Premiere in Englands Hochglanzliga gibt.

Die Idee ist eigentlich, dass das technische Werkzeug dezenter zum Einsatz kommt als in anderen europäischen Spielklassen, der Champions League oder bei der Weltmeisterschaft der Frauen in Frankreich. Vor der Saison hatten die Trainer der Premier League und einige Journalisten sogar eine Einladung in die VAR-Zentrale in Stockley Park nahe dem Londoner Flughafen Heathrow bekommen, um sich die Technik erklären zu lassen. Dennoch stiftete sie zum Einstand die gleiche Verwirrung, wie sie das Bundesliga-Publikum seit zwei Jahren kennt. Es war vor allem Manchester Citys Partie bei West Ham, die durch den VAR geprägt war.

Ein Tor von Gabriel Jesus wurde aberkannt, weil sich Vorbereiter Raheem Sterling zuvor Millimeter im Abseits befunden hatte. Sterlings zweites Tor zum zwischenzeitlichen 3:0 wurde länger durch den Videoschiedsrichter untersucht, hatte aber Bestand. Ein Elfmeter von Sergio Agüero, den Torhüter Łukasz Fabiański pariert hatte, musste wiederholt werden, weil West Hams Mittelfeldmann Declan Rice zu früh in den Strafraum gelaufen war, um den Ball zu klären. Den zweiten Versuch verwandelte Agüero zum 4:0.

Alle Entscheidungen des Videoschiedsrichters waren korrekt, doch mit den Wartezeiten und Unterbrechungen hat die englische Fußballgemeinde so ihre Probleme. Der VAR sei ein „Passion Killer“, titelte die Sun und griff damit die Befürchtungen von City-Trainer Pep Guardiola auf, dass die Technik dem Spiel die Leidenschaft rauben könnte. Auch seriöse Medien wie der Telegraph sind nicht überzeugt: „Er mag für das Fernsehpublikum passen, doch für die Zuschauer im Stadion geht ein Teil der Seele des Spiels verloren.“

Sportlich gab es bei Manchester Citys Spiel wenig zu beanstanden. Guardiolas Team zeigte, dass es fest entschlossen ist, den dritten Titel nacheinander einzufahren. Eine solche Serie war zuerst, man glaubt es kaum, Huddersfield Town in den zwanziger Jahren gelungen und zuletzt Manchester United unter Sir Alex Ferguson. Allerdings deutete auch der Vizemeister und Champions-League-Sieger FC Liverpool beim 4:1 gegen Norwich City an, dass er in dieser Saison wieder alles dafür tun wird, die drei Jahrzehnte dauernde Wartezeit auf die Meisterschaft zu beenden.

Der Videoassistent sei ein „Passion Killer“, titelte das Boulevardblatt „Sun“

Schon zur Pause führte Jürgen Klopps Mannschaft 4:0, weil sie gnadenlos in der Chancenverwertung war gegen den mutigen, aber naiv verteidigenden Aufsteiger von Trainer Daniel Farke mit den Deutschen Tom Trybull und Marco Stiepermann in der Startelf. Nach dem Wechsel gelang den Kanarienvögeln, so Norwich Citys Spitzname wegen der Trikotfarben Grün und Gelb, immerhin der Ehrentreffer durch den einstigen Schalker Teemu Pukki.

Nicht nur deshalb war der vor zwei Jahren von Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft nach England gewechselte Farke zufrieden mit der Vorstellung seines Teams, das in der Premier League so gut wie keine Erfahrung hat und im Sommer nur wenig Geld in neues Personal investierte. „Ich liebe diese Mannschaft, diesen Verein und diese Fans. Obwohl wir verloren haben, haben wir gezeigt, was uns so besonders macht“, sagte Farke. In der Tat machte der Auftritt des Aufsteigers Hoffnung für die Saison.

Liverpool schlägt sich trotz des klaren Erfolgs zum Start schon mit einem Notstand herum. Torwart Alisson, einer der Schlüsselspieler der vergangenen Saison, erlitt in der ersten Halbzeit bei einem Abstoß eine Wadenverletzung und könnte bis zu acht Wochen ausfallen. Neben dem europäischen Supercup gegen Chelsea FC am Mittwoch in Istanbul droht er auch die ersten beiden Vorrundenspiele der Champions League zu verpassen. Der Klub prüft deshalb, den vertragslosen Veteran Andy Lonergan für kurze Zeit zu verpflichten, der schon in der Saisonvorbereitung ausgeholfen hatte. Er wäre der Ersatz für Ersatztorwart Adrián. Auch dieser war gerade erst nach Liverpool gewechselt – und gab gegen Norwich unverhofft seinen Einstand.

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