Experiment mit Blüten

Wo aus Kunst der Umbau der Verhältnisse werden sollte: Den nie wirklich realisierten Utopien von Heinrich Vogeler spürt das Stück „Kommune Barkenhoff“ in Worpswede nach

Utopie in Stroh: „Kommune Barkenhof“ Foto: Cosmos Factory

Von Jens Fischer

Realität gewordener Traum. Entrückte Chiffre für die Einheit von Natur und Kunst: Das ist der Worpsweder Birkenhof, niederdeutsch: Barkenhoff. Hinter einer von Amphoren gekrönten Gartenmauer, umflort von rankenden Blütenstengeln, zwischen säuselndem Gebäum, Zierbeeten, Rosenlaube, malerischem Teich und skulptural zurecht gesägtem Gebüsch erhebt sich eine markant gedellte Giebelfront. Dekor, Möbel, Tapeten, Tafelservice, Geschmeide, Bucheinbände, Türknäufe prunken mit schnörkelig geschwungenen Verzierungen, floralen Ornamenten; an den Wänden: Bilder von Pfauen und Meerjungfrauen.

Mittendrin gemütlich gemacht hatte es sich der Bremer Kaufmannssohn Heinrich Vogeler (1872–1942). Eine marode Bauernkate erwarb er 1895 in dem Künstlerdorf und gestaltete sie um zum Sehnsuchtsort für Schönheitssucher. Der Dichter Rainer Maria Rilke fühlte sich bei einem Besuch im Jahr 1900 sauwohl im Getümmel all der „schönen und würdigen Dinge, in Stuben, die voll von der Stimmung eines Schaffenden sind“. Mit diesem lieblichen Image wird das Anwesen bis heute touristisch vermarktet – weit über die Kitschgrenze hinaus. Dagegen wendet sich nun „Kommune Barkenhoff“, eine Produktion zum 20. Geburtstag des im Teufelsmoor ansässigen Theaters Cosmos Factory.

Autor und Regisseur Oliver Peuker fokussiert die Abkehr des Barkenhoff-Prinzen vom gezierten Bohemien-Leben; sucht nach den Gründen dafür, dass der Künstler vor 100 Jahren nicht mehr den Zauber eines ästhetisierten Lebensraumes suchte, sondern den des Lebens selbst; dafür, dass Vogeler nicht mehr Designer von Dingen, sondern Gestalter zutiefst humaner Verhältnisse sein wollte – und das Jugendstilschlösschen zur Kommune umwidmete: Unter Berücksichtigung kommunistischen, anarchistischen, urchristlichen Gedankenguts sollte eine so solidarisch wie autark vor sich hin wirtschaftende Gemeinschaft entwickelt werden – als „Aufbauzelle einer klassenlosen Gesellschaft“. Am Originalschauplatz daran zu erinnern, wäre reizvoll gewesen. Peuker zufolge standen dem die Kosten im Weg. So buchte er die Bötjersche Scheune in Worpswede: In deren kargem Ambiente dienen vier Strohballen als Bühnenelemente, die das Darstellerquintett immer wieder euphorisch besetzt – Inseln der Seligen, wie der Barkenhoff eine sein sollte.

Am Anfang des Abends erklingt Soul-Musik wie im Blaxploitation-Kino der 1970er-Jahre. Auf einem Spielsteg zwischen zwei Zuschauerreihen versucht das Ensemble tänzerisch zusammenzukommen, erkennbar unterschiedlichen Ansätzen und Voraussetzungen zum Trotz: von sportivem Diskogezappel über Ausdruckstanz bis zu eurythmischer Geschmeidigkeit. Ob das die Spalt-Energie der Vogeler-Utopie andeuten soll? Die idealistischen Ziele wurden aufgrund sich ausdifferenzierender Sichtweisen unter den Kommunard*innen ja nie erreicht.

Der Stücktext ist zusammengesetzt aus Manuskripten, Büchern, Manifesten und Dokumenten des Bremer Staatsarchivs. Es habe reichlich Material gegeben, sagt Peuker, denn das Kommune-Treiben sei von Reichsschutzgruppen und Spitzeln umfassend ausspioniert worden. Die recherchierten Zitate hat der Regisseur im O-Ton belassen: dem Verlautbarungsdeutsch der Freiheitsuchenden wie auch der nationalistischen Kontrollfreaks. Das ist dokumentarisch korrekt, wird vom Ensemblechor auch präzise artikuliert – aber die handelnden Figuren gewinnen dadurch kaum an Eigenleben: „Keine Ausbeutung, kein Krieg“, das ist so eine von etlichen schlichten Losungen, die verkündet werden, nicht aber hinterfragt – und nur dezent in Schauspiel übersetzt.

Aber das Thema trägt. Deutlich arbeitet Peuker die Entwicklung des Denkens und Tuns seines Protagonisten heraus. Zum 1. Weltkrieg meldete Vogeler sich freiwillig – und kam traumatisiert zurück. Wie er im Stück sagt, sei es ihm fortan nicht mehr möglich gewesen, einer Klasse anzugehören, die 17 Millionen Menschenleben als wertloses Material unter dem Vorwand der Vaterlandsverteidigung verpulvert hat. Ja, das wahre Gesicht des Kapitalismus habe sich gezeigt im Krieg.

Er begeisterte sich umso mehr für den Gegenentwurf der Bremer Räterepublik. Streik­aufrufe werden nun auch auf der Bühne skandiert, von Aufständen ist die Rede, eine rote Jacke wird gewedelt und „Bakunin, Marx, Lenin, Kropotkin“ als Mantra gemurmelt – und schließlich auch erzählt von der brutalen Niederschlagung der Arbeiter- und Soldatenräte. Damit war, laut Peukers Textcollage, Vogelers Hoffnung auf eine globale Revolution beerdigt. Der Feingeist verlegte seine Bestrebungen ins Innere. Die Suche nach dem sozialistischen neuen Menschen inszeniert Peuker teilweise in der heroischen Anmutung des sozialistischen Realismus. Allerdings wirkt der Protagonist, dargestellt von Judith Mann, kaum mitreißend; eher wie eine Trauerweide in stürmischer Nachkriegszeit.

Idealistisch: Heinrich Vogeler (in Bronze) Foto: Ingo Wagner/dpa

Nach einem Friedensappell an Kaiser Wilhelm Zwo lässt Vogeler sich geradezu widerstandslos in eine Irrenanstalt einweisen. Inszenatorisch gelungen ist die Konfrontation seiner Zellenbeschreibung mit der von Marie Griesbach (Sonja Hurani): die aufmüpfige Dresdener Arbeiterin reist bald darauf nach Worpswede und zieht sich mit Vogeler auf einen Heuballen zurück. Kurzfristig sind die Kommunard*innen glücklich. Aber das agrarwirtschaftliche Laienspiel auf dem Hof und die drumherum grassierende Inflation ruinieren die kommunistische Gemeinde. „Ich habe es satt, Bilder zu malen, die sich irgendjemand über sein Sofa hängt“, sagt Vogeler – und muss genau das zum Überleben tun.

Die Inszenierung pointiert die dann folgenden Debatten: Evangelikale, anthroposophische, pazifistische und militante Ideen kommen auf, Vegetarier*innen erheben ihre Stimme. Sollen die Worpsweder Böden landwirtschaftlich ausgebeutet werden? Ist vielmehr die Natur zu schützen vor dem Menschen? Andere diagnostizieren einen kranken Volkskörper. Basisdemokratisch scheint irgendwann kein Einvernehmen mehr herzustellen zu sein – und hinzu kommt noch die Eifersucht unter diversen Kommunard*innen.

Dass die ganze Sache gescheitert wäre, das will die Inszenierung nun auch nicht konstatieren. Bevor Vogeler in die Sowjetunion flüchtet – nach mehreren Reisen ging er 1931 endgültig dorthin –, lobt sie mit Joseph Beuys das Barkenhoff-Experiment als beispielhaftes soziales Kunstwerk. Das Ensemble tänzelt das Publikum an, fordert im Duz-Tonfall: Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein, weine bei Kinofilmen, gib Geld weiter, nimm Kinder ernst, lass die Angst fallen, umarme Bäume, sei Künstler beim Aufbau einer gerechten Welt … Lebe!

Erstmals lösen sich die Darsteller*innen dann auch vom Predigen, kommen ins vermittelnde Spielen. Der Versuch, den verwegenen Charme und das anfängliche Feuer der Kommunard*innen fürs Hier und Heute zu retten: Nach gut anderthalb Stunden bieder antikapitalistischen Geschichtsunterrichts ist das eine sympathische, aber leider auch arg spät kommende Geste.

letzte Vorstellungen: Sa + So, jeweils 20 Uhr, Bötjersche Scheune, Bauern-reihe 3, Worpswede; www.cosmosfactory.de