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Elternassistenz für BlindeBrauche ich Assistenz?

Blinde Menschen sind vor allem eines: so individuell wie andere eben auch. Genauso individuell ist auch die Frage nach Assistenzbedarf zu beantworten.

Skifahrer Bart Bunting (Australien) kann Abfahrten mit Hilfe seines Begleitläufers prima bewältigen Foto: dpa

Haben Blinde dafür nicht Assistenz?“, fragt eine ältere Dame mit Blick auf mein Kind, das gerade die schönste Paprika aus dem Gemüseregal kramt. Ich bin nicht sicher, ob sie meine Tochter an sich oder das Einkaufen meint, aber das Wort „Assistenz“ klingelt mir wie immer in den Ohren. Irgendwie scheinen einige Leute die Vorstellung nicht loszuwerden, dass Blinde für alles Assistenz haben sollten.

Beim Einkaufen kann Unterstützung (meist von den Läden selbst durch Angestellte zur Verfügung gestellt) durchaus hilfreich sein, wenn man daraus im überfüllten Supermarkt nicht gerade ein Mutter-Kind-Freizeitevent machen will. Dass Blinde im Umgang mit ihrem Kind an sich Assistenz brauchen, möchte ich gerne pauschal verneinen – ganz so einfach ist es aber eben auch nicht: Zufällig lässt sich mein eigener Mann zwei- bis dreimal die Woche bei der aktiven Freizeitgestaltung mit unserer Tochter von seiner Elternassistentin begleiten.

Elternassistenz wird in Deutschland – einkommensabhängig – vom Sozialamt im Zuge der Eingliederungshilfe gewährt, um eine selbstbestimmte Elternschaft zu ermöglichen. Auf formlosen Antrag mit Auflistung all jener Tätigkeiten, die behinderungsbedingt Schwierigkeiten bereiten könnten, wird der wöchentliche Assistenzbedarf festgesetzt. Die ausführende Person darf selbst bestimmt werden. Sie ist explizit kein Babysitter, sondern ersetzt die Augen des blinden Elternteils – je nach Wunsch beim Nagelschneiden, beim gemeinsamen Basteln oder bei der Beaufsichtigung auf dem Spielplatz.

Ob und in welchem Maße blinde Eltern Assistenz haben oder brauchen, ist eine höchst individuelle Entscheidung, abhängig von verschiedenen Faktoren – der eigenen Mobilität, dem persönlichen Sicherheitsbedürfnis, dem Charakter des Kindes, den Ansprüchen an die Freizeitgestaltung und, und, und.

Was sagen?

Ich persönlich erkunde gerne auch mal unbekanntes Terrain, bin gern mit meiner Tochter allein unterwegs – und lebe mal mehr, mal weniger entspannt mit der Tatsache, dass ich mich manchmal im Vertrauen auf sie, auf mich und das Leben an sich üben muss (wer nicht?!). Der Dame im Supermarkt mitzuteilen, dass ich deshalb blind mit Kind uneingeschränkt assistenzlos glücklich bin, wäre angesichts eines überfüllten Schwimmbads oder eines Jahrmarkts trotzdem gelogen. Was also sagen?

„Wir brauchen keine … äh … Assistenz“, entscheidet meine Tochter. Recht hat sie im Hier und Jetzt. Generell würde ich die Frage, ob blinde Eltern Assistenz haben und brauchen, so beantworten: Sie haben sie im besten Fall, wenn sie sie wollen, weil sie sie gerade brauchen. Blinde sind so verschieden wie andere Menschen auch, Lebensumstände, persönliche Voraussetzungen und Präferenzen so divers wie die Herausforderungen, denen man im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Kinder begegnet.

Die ältere Dame ist hinter dem nächsten Regal verschwunden, bevor ich das erklären kann.

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4 Kommentare

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  • Puh, harter Tobak zum Thema Elternassistenz!

    Das ist ein Beitrag, der vielleicht nachvollziehbar ist, weil die Autorin sich erklären möchte, dass SIE keine Elternassistenz benötigt, weil sie alles auch so gerne hinbekommt. Allerdings kann so ein Beitrag auch dazu führen, dass andere behinderte, blinde Eltern auf solche Aussagen verwiesen werden. Die schafft das, also brauchen sie auch keine Elternassistenz. So einfach, wie im Text geschrieben, wird Elternassistenz mitnichten in Deutschland gewährt. Man merkt, dass dieser Antrag von der Autorin noch nicht gestellt wurde. Das ist so, wie wenn ein gut bezahlter Angestellter sagt, dass es ja ein gutes soziales Sicherungssystem in D gäbe und er dann im Fall der Fälle ALG I und im Anschluss ALG II bekommt, also alles gut, keine Sorgen machen, den "Arbeitslosen" geht es ja allen gut im Staate. Sind sie dann mal nur gezwungen ALG I zu beantragen, merken sie schnell, wie "schön" und "einfach" das geht.

    Elternassistenz wird in D kaum bewilligt, obwohl es seit 2009 einen Rechtsanspruch darauf gibt! Es muss oft geklagt werden und das dauert bis zur Entscheidung Jahre und dann kann es sein, dass die Kinder so groß sind, dass die Elternassistenz so nicht mehr benötigt wird. Wurde dann (all die Jahre gegangen) nicht in Vorleistung gegangen, gibt es auch (rückwirkend) nichts an Leistungen - ging ja auch so. Die Sozialämter freut es und sitzen es entsprechend wie bei anderen Sozialleistungen gerne aus. Da die Leistung der Elternassistenz wie erwähnt einkommensabhängig ist, ist es den betroffenen Familien auch kaum möglich die Leistungen über Jahre zu zahlen, ohne einen rechtssicheren Bescheid dafür zu haben.

    Zu alledem führt der Link im Text zur Arbeitsassistenz. Das ist nun wieder ein ganz anderer Bereich der Assistenz.

    Hier gibt es kompetente Infos zum Thema Elternassistenz:

    www.behinderte-elt...ndex.php?menuid=75

    • @Hanne:

      Ich glaube, Ihr Kommentar geht ein bisschen am Thema vorbei. Hauptthema scheint mir zu sein, dass blinde Eltern nur selber wissen können, ob, wann und wieviel Assistenz sie beim Umgang mit dem Kind brauchen. Es geht um den Blick von außen, der den blinden Eltern den unbegleiteten Umgang mit dem Kind in vielen Situationen nicht zutraut, die für die Eltern jedoch normale Routine sind. Es ist ein Text, der Mut machen kann.



      Nun kommen Sie mit Ihrem Einwand, das solle so nicht geschrieben werden, weil es als Rechtfertigung für die Ablehnung von Assistenzanträgen genutzt werden könnten. Also wollen auch Sie der Autorin vorschreiben, wie sie mit Ihren Erfahrungen umzugehen hat.



      Im Übrigen geht aus dem Text hervor, dass die Familie erfolgreich einen Antrag auf Elternassistenz gestellt hat, die der Vater mehrmals in der Woche nutzt. Es scheint also schon vorzukommen, dass solche Anträge bewilligt werden.

      • @Kolyma:

        Elternassistenz kann auch privat wie jede andere Dienstleistung im Haushalt organisiert und finanziert werden.

        Und wenn es ab und zu vorkommt, dass Anträge auf Elternassistenz bewilligt werden, bedeutet das nicht, dass viele andere große Probleme bei der Bewilligung (und in Folge mit ihrem Alltag) haben.

      • @Kolyma:

        Ich vermute keine Antragstellung auf Elternassistenz.

        Es müssen einerseits die Nichtbehinderten mit dem "normalen" Elterndasein von behinderten Eltern klar kommen und andererseits sollten sich behinderte Eltern nicht gegenseitig im Weg stehen. Das können Frauen generell sehr gut: "Seht her, ich kann das alles ganz super: Kind, Karriere und Ehrenamt, ggf. noch Behinderung - alles kein Problem".

        Die Autorin kann über ihre Erfahrungen so viel schreiben wie sie möchte, aber dann vielleicht ohne denn Satz, dass man in D ganz einfach Elternassistenz erhalten kann. Der Erfolg der Bewilligung hängt vom örtlichen Sozialamt ab.