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CDU sucht günstige Familie

CDU kündigt an, Betreuungsangebote für Kleinkinder zu vervierfachen. Zahlen sollen das die verschuldeten Kommunen. Die testen gerade in einem Modellprojekt, was Familien fehlt

von MIRIAM BUNJES

Unter der schwarz-gelben Landesregierung soll alles anders und besser werden für nordrhein-westfälische Familien: Die Zahl der Betreuungsplätze für Kleinkinder soll sich vervierfachen. Außerdem sollen in so genannten Familienzentren Sprachdefizite ausgeglichen und Familien in schwierigen Lebenslagen an ein Netzwerk von Experten vermittelt werden. Soweit die Versprechen von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU). Das Problem: Bezahlen und umsetzen sollen diese Versprechen die notorisch armen NRW-Städte, in deren Verwaltungsstrukturen das Ressort „Familie“ oft gar nicht vorkommt.

„Welche konkreten Probleme Familien haben, ist in den Stadtverwaltungen in der Regel unbekannt“, sagt Gregor Hensen vom Institut für Soziale Arbeit (ISA). Zusammen mit Sozialforschern des Zentrums für interdisziplinäre Forschung des Ruhrgebiets (ZEFIR) erarbeitet er in den fünf Modellstädten Bottrop, Oberhausen, Gelsenkirchen, Herten und Unna ein Konzept für kommunales Familienmanagement. Dafür hat das ZEFIR im vergangenen Jahr Daten über die Lebenslagen von Familien erhoben. Jetzt sollen Konzepte entwickelt werden, die diese Lebenslagen verbessern. „Man muss erst die Probleme kennen, bevor man sich um eine Finanzierung sorgen macht“, so Hensen.

Die können auch erfahrene Familienpolitiker noch überraschen. In Herten beispielsweise sind in den meisten Familien beide Elternteile berufstätig. Allerdings haben sie trotzdem kaum Geld, gerade ein bißchen mehr als die staatlichen Hilfsleistungen, manchmal sogar weniger. „Wir dachten bislang, dass Arbeitslosigkeit unser größtes Problem ist“, sagt Elke Münich, Leiterin des Fachbereichs Schule und Jugend der Stadt Herten.

Helfen sollen mehr Betreuungsangebote für Kleinkinder. „Eine Kommune kann keine besseren Arbeitsbedingungen schaffen“, sagt Münich. „Leider.“ Die Kommune könne aber dafür sorgen, dass die Eltern schnell wieder arbeiten können, weil sie ihre unter Dreijährigen in Einrichtungen unterbringen können, „die ihre Entwicklung fördert und die sozialen Probleme von Zuhause auffängt.“ Da es in Herten wie überall in Deutschland weniger Kinder gibt, will die Stadt die frei werdenden städtischen Kindergartenplätze in Betreuungsplätze für Kleinkinder umwandeln.

Ein Plan, der genau dem Konzept des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration (AFFGI) entspricht. Nur: Das kann nicht in jeder Kommune funktionieren. Denn der größte Teil der nordrhein-westfälischen Kindergärten wird von den Kirchen betrieben. Und die schließen zur Zeit aus Kostengründen eine Einrichtung nach der anderen.

Vorsorglich setzen CDU und FDP deshalb auf die Vermittlung von Tagesmüttern oder -vätern. Ein Konzept, das die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) für die denkbar schlechteste Alternative zur institutionellen Versorgung hält. „Hierbei handelt es sich nicht um qualifizierte Betreuung“, sagt Ilse Führer-Lehner von der GEW NRW. „So kommt Nordrhein-Westfalen nie aus der Bildungsmisere heraus.“

Ohne finanzielle Hilfe von Land und Bund könnten die nordrhein-westfälischen Städte und Kommunen die Betreuungssituation und die Bildungsnotstand nicht verändern, glaubt auch Volker Bästlein vom Städtetag NRW. „Es ist ja noch gar nicht sicher, dass die Städte tatsächlich mehr Geld durch die Hartz IV-Gesetze erwirtschaften.“

Im Modellprojekt zum kommunalen Familienmanagement sollen deshalb auch Lösungen entwickelt werden, die kein Geld kosten. Durch die kleinteiligen Daten könne man Gelder und Leistungen häufig einfach in einen anderen Stadtteil verschieben, erklärt Gregor Hensen. „Wenn Spielplätze in einem Stadtteil kaum genutzt werden, kann die Stadt sie dort hinstellen, wo sie mehr gebraucht werden“, sagt der Erziehungswissenschaftler. Die Kommunen müssten lernen, über ihre Ressorts hinaus zu denken. „Städtebau, Jugendhilfe und Verkehr müssen zusammengedacht werden, um näher an die Bürger heran zu kommen, dann kann Familienpolitik kostenneutral sein.“

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