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Andere neue Welt

DÜSTERE BÜCHER Marlene Streeruwitz und Benjamin Stein lesen beim Literaturfest Niedersachsen

Irgendwie ist Amy bei bei der Sicherheitsfirma Allsecura gelandet. Doch für den Job ist sie denkbar ungeeignet: haltlos, sozial isoliert, alkoholkrank. Man behandelt sie schlecht, intrigiert gegen sie. Oder will man sie nur testen? Amy befindet sich in der Ausbildung: Die verstörende Orientierungslosigkeit, die hier produziert wird, soll mittelbar Sicherheit erzeugen.

Das literarische Psychogramm der 24-jährigen Protagonistin ist schematisch, aber glaubwürdig; das Portrait der Firma als undurchsichtige Produzentin von Schmerzen und Unsicherheit eine düstere Gegenwarts-Metapher. Erzählt wird aus Amys Perspektive, in knappen, mitunter ruckartigen Sätzen, typisch für Marlene Streeruwitz. Der Stil passt gut zu diesem (hyper-)realistischen Buch, das auch von Vergewaltigung und Mord handelt, ohne deshalb ein Krimi zu sein. Streeruwitz erweist sich in ihrem fiebertraumartigen Roman „Die Schmerzmacherin“ als gnadenlose Experimentatorin. Ihre Weltinterpretation, in der die Einzelne als Teilchen eines umfassenden Räderwerks still zu funktionieren hat, ist unbarmherzig und düster.

Benjamin Stein mag es ambivalenter. Sein Sci-Fi-Roman „Replay“ spielt interessiert mit Versatzstücken gegenwärtiger Zukunft: Neurotuning ist eines der Themen der Stunde, getragen vom durchaus fragwürdigen Wunsch, perfekte Menschen zu produzieren. Der Überwachungsgedanke – Daten im Hirn hinterlassen Spuren – liegt auf der Hand. Und so führt Steins Protagonist, der Softwareentwickler Ed Rosen, mithilfe eines implantierten Chips ein zwar komplett überwachtes, dafür aber scheinbar omnipotentes Leben im Strom unendlicher Kommunikationsmöglichkeiten. Als reizvoll erweist sich nicht zuletzt für den Leser, dass Rosen prickelnde erotische Erfahrungen aus unterschiedlichen Subjekt-Perspektiven wiederholt erleben kann. Doch nichts ist umsonst. Im Hintergrund winken, wissend lächelnd, Kafkas ungeheures Ungeziefer und Huxleys kaltherzige Technokraten. Die neue Welt ist anders, nicht schöner.MICHAEL SAAGER

■ Lesung im Rahmen des Literaturfestes Niedersachsen: Göttingen: Mi, 12. 6., 20 Uhr, Altes Rathaus, literaturfest-niedersachsen.de

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