briefe:
Der Wolf Wolf Biermann
„Flori und der böse Wolf“, taz vom 6. 7. 2019
Entweder ist der Wolf Wolf Biermann diesbezüglich dumm oder er will die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten für dumm verkaufen. Hat er vor seinem damaligen BRD-Konzert ernsthaft geglaubt, dass die DDR ihn ohne schriftliche Garantie wieder zu sich hereinlassen würde, zumal nach diesem kompromisslos sich gegen das DDR-Regime richtenden Auftritt? Völlig unmöglich!
Leider ist Florian Havemanns 1.000-Seiten-Schinken derart frappierend selbstverliebt, dass er sich damit der Glaubwürdigkeit seiner Zeitzeugenaussagen beraubt, was in den umstrittenen Angelegenheiten besonders schade ist, wo er als erstrangiger Zeitzeuge nützlich sein würde, zum Beispiel mit den in seinem Buch gemachten Auskünften darüber, wie im Vorfeld von Biermanns BRD-Auftritt die Chancen auf dessen Rückkehr eingeschätzt wurden. Aber im Lichte geradezu fremdbeschämender Selbstdarstellungssucht wirken diese Aussagen grundsätzlich zweifelhaft. Auf diese Weise wird man im Zeitbezeugungsstreit gegen die polemisch krasse, erbarmungslos übertreibende Metaphorik Biermanns keine Chance haben. Wolfram Hasch, Berlin
Nicht nur ein Kommunist
„Die Faust der Geschichte“, taz vom 4. 7. 19
Es ist gut und richtig, dass das Ernst-Thälmann-Denkmal in Berlin aufgewertet werden soll, ich hoffe aber ohne Geschichtsverdrehung! Denn Thälmann war nicht nur ein Kommunist, sondern auch ein Antifaschist, der wie viele Menschen auch im Hitlerfaschismus von den Nazis ermordet wurde! Und es ist auch wichtig, immer wieder an Ernst Thälmann zu erinnern, gerade in den Zeiten, wo rechtes Gedankengut wieder salonfähig geworden ist, denn gerade jetzt sollte es heißen: „Kein Vergeben, kein Vergessen!“
René Osselmann, Magdeburg
Sprachliche Quasiausbürgerung
„Maya, ach das bloß nicht“, taz vom 1. 7. 19
(Liebe taz) Liebe deutsche People of Color und liebe People of Color in Deutschland, der Bericht, wie unsensibel mit einer Kollegin, die das N-Wort nicht auf der Bühne hören will (und natürlich auch sonst nicht!), umgegangen wurde, hat mich erschreckt. Es ist noch immer da, dieses fiese Wort, wir lernen viel zu langsam.
Als ich Kind war, vor gut 40 Jahren, wurde das Wort als normales Wort verwendet, ich hatte eine schwarze Babypuppe, die wurde als N-Puppe verkauft und von allen so genannt, es gab gar kein anderes Wort, jedenfalls nicht in meinem durchaus aufgeklärten Umfeld. Aber das sollte ja nun echt lange genug her sein! Trotzdem muss der nette Schokoladen in Berlin an die Schokokussauslage schreiben „We call them Schokoküsse“, um die – älteren? – Kunden zu erinnern. Und dennoch bestellt dann irgendjemand einen N-Kuss, und mir wird ganz anders.
Weil Sprache so wichtig ist, wünschte ich mir, dass es ein gutes deutsches Wort für People of Color gäbe. Gerade wenn es um die vielen deutschen PoC geht, frage ich mich, ob es da nicht einen besseren Weg als die sprachliche Quasiausbürgerung gibt? Im Deutschen sagt man ja sonst auch nicht People, wenn man einfach Leute oder Menschen meint. Schwarze Deutsche hat (finde ich) gut funktioniert – aber das ist nicht präzise und übersetzt nicht PoC.Es gibt andererseits ja sowieso viele englische Fremdworte und Fremdwortabkürzungen wie „Software“ oder „PC“. – Ist Eindeutschen als Abkürzung wie bei „PC“ also eine Lösung? Ich finde es nicht schön, auch wegen des naheliegenden deutschen Plurals: Person – Personen, also auf -en. Klingt einfach nicht gut. Wenn das Eindeutschen der Abkürzung der Konsens ist oder wird und der Wunsch derjenigen, dann sage ich weiterhin PoC und PoCs – aber fällt uns, euch, Ihnen nicht doch noch etwas Besseres, Schöneres, Cooleres ein? Silke Karcher, Berlin
Das Machtmonopol der Biokonzerne
Anzeige der Bio Company, taz vom 29./30. 6. 19
Ich habe gerade den Berlin-Teil von euch vor mir liegen, und mir platzt die Hutschnur. Kürzlich hat die fetteste Bio Company Berlins zwei Minuten Fußweg von uns entfernt auf der gleichen Straßenseite eröffnet. Wir führen seit 2012 den interkulturellen Kiez-Bioladen & Café Bioase44. Dass ein so großer Biosupermarkt so nah neben einem kleinen eröffnet, ist möglich, weil Berlin keinen Gebietsschutz hat wie Hamburg. Und jetzt sehe die große Annonce der Bio Company mit dem zynischen Text: „Bio für jeden Kiez! Davon träumen wir mit der ersten Markteröffnung vor 20 Jahren.“
Es hat schon Bio in diesem Kiez, und zwar schon mehr als ausreichend. Als wir vor knapp sieben Jahren auf dieser Straße eröffneten, da war das wirklich eine Lücke. Das nächste war das Reformhaus Vitalia, 850 Meter entfernt. Inzwischen ist der Standort neben uns kleineren Läden (einen Monat nach uns hat am Karl-Marx-Platz das Vegan-Kollektiv Dr. Pogo eröffnet) von den beiden Biosupermarktketten Bio Company und denn’s umringt.
Nadia und ich sind Quereinsteigerinnen mit Migrationshintergrund und haben uns getraut, ohne Eigenkapital mithilfe von Privatdarlehen und Mikrokrediten ein kapitalintensives Unternehmen in einem Stadtteil zu gründen, von dem es hieß, da leben doch nur Araber und Türken, und die essen kein Bio. Ein Stadtteil mit über 160 Kulturen, den wir auch deshalb sehr spannend fanden. Wir haben uns zwei Jahre lang intensiv vorbereitet, hatten einen guten Businessplan und hatten es trotzdem sehr schwer, an Kredite zu kommen. Die GLS-Bank hat uns noch nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Randbemerkung: Die GLS-Bank finanziert den berlinweiten Ausbau der Bio-Company-Filialen mit großen Krediten.
taz.die tageszeitung Friedrichstr. 2110969 Berlin briefe@taz.de www.taz.de
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Leserbriefen vor.
Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Ich weiß nicht, wie oft wir im ersten Jahr den Satz gehört haben: „Ihr seid aber mutig, hier einen Bioladen zu eröffnen.“ Es waren keine leichten Jahre, zumal die Straße ab Sommer 2013 saniert wurde und wir fast vier Jahre lang eine Dauerbaustelle vor der Tür hatten.
Wir haben uns durchgekämpft, nach vier Jahren neu Geld aufgenommen, als wir die Anfangsdarlehen fast zurückgezahlt hatten, aber aufgrund der Baustellensituation nicht mehr liquide waren. Unser Entschädigungsantrag beim Senat wurde dreimal abgelehnt. Die ersten beiden Male, weil unsere Umsatzzahlen (die ja immer mit den Vorjahreszahlen verglichen wurden) zu Beginn der Baustelle noch leicht gestiegen sind und nicht rückläufig waren. Da spielte es keine Rolle, dass wir erst kurz zuvor gegründet hatten und unser wirtschaftliches Soll noch nicht erreicht hatten. Beim dritten Antrag, als die Umsatzzahlen schließlich rückläufig waren, hatten wir zuvor einen neuen Kredit aufgenommen, und da hieß es, wir seien ja jetzt liquide.
Also, wir haben es geschafft, auch die Eröffnung der ersten Biosupermarktketten um uns herum – denn’s am S-Bahnhof Neukölln, Bio Company in der Herrmannstraße und denn’s in den Neuköllner Arkaden – haben wir überstanden. Nach Abschluss der Baustelle konnten wir jetzt ein Jahr lang Luft holen und uns stabilisieren.
Ob wir diese Eröffnung der Bio Company überstehen werden, können wir noch nicht absehen. Die Umsätze sind an den beiden Tagen nach der Eröffnung erst mal eingebrochen. Wir können und wollen nicht bei der Ausweitung der Öffnungszeiten mitmachen. Da geht es uns auch um die Arbeitsbedingungen unserer derzeit acht Mitarbeiterinnen. Der Preiskampf ist für uns auch nicht zu gewinnen: Wir bekommen nicht solche Rabatte und Unterstützung von den Herstellern und Großhändlern, haben keinen eigenen Großhändler (Bio Company hat den zweiten Biogroßhändler Berlins, Midgard, inzwischen aufgekauft), können nicht so große Anzeigen finanzieren.
Dass die Bio-Supermarktketten so vorgehen, war uns durchaus bewusst. Sie gehen nicht an einen Standort, der noch nicht „erschlossen“ ist. Das habe ich in meinem Wirtschaftlichkeitsseminar der Naturkostfachausbildung gelernt. Dass zwischen der Bio Company und denn’s ein erbitterter Wettstreit um Marktanteile stattfindet, ist in der Branche auch bekannt. Da sind wir also Kollateralschaden.
Dass wir als eure Abonnentinnen nun diese zynische Anzeige lesen müssen, trifft mich hart. Vermutlich ist das inzwischen ein wichtiger Anzeigenkunde für euch. Genau solche Zusammenhänge führen aber dazu, dass sich in Berlin ein immer größeres Machtmonopol bildet und die Vielfalt der Berliner Biolandschaft immer mehr abnimmt. Eure Zeitung steht inhaltlich für was anderes, deswegen haben wir sie ja auch für unseren Laden abonniert. Elke Dornbach & Nadia Massi, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen