: Joseph Beuys hängt am rissigen Seil
Jiny Lan gründete das erste feministische Künstlerinnenkollektiv Chinas und ärgert sich über Georg Baselitz. In Oberhausen sind ihre „Meisterwerke“ zu sehen
Von Max Florian Kühlem
Sie will sich nicht einfügen in die Bochumer Beschaulichkeit, die Künstlerin Jiny Lan, die im figurbetonten Kriegerinnen-Look aus ihrem Kleinbus steigt, als wäre sie einem Film von Quentin Tarantino entsprungen. Während der Fahrt zu ihrer aktuellen Ausstellung „Meisterwerke“ in der Oberhausener Ludwiggalerie mixt sie in einer atemlosen Erzählung alles zusammen: Kunst und Künstlerin-Werdung, Politik und Feminismus, das Leben im Ruhrgebiet, das immer noch nicht ganz verstanden hat, wie man gute Künstler*innen vom Wegziehen abhält.
Das Navi brabbelt unbeachtet vor sich hin, der Bus muss hinter einer staubigen Ausfahrt in Gelsenkirchen wenden. Die Malerin schert sich nicht groß drum, es gibt Dinge, über die es sich wirklich zu ärgern lohnt. Staatliche Zensur zum Beispiel. Oder Georg Baselitz.
Bis sie 25 Jahre alt war, lebte Jiny Lan in China. Seitdem weiß sie, wie es sich anfühlt, einem repressiven Staatsapparat unterworfen zu sein. „Nach dem Kunststudium habe ich ein Jahr für die Zeitung People‘s Daily gearbeitet, die auch ‚Partei-Zunge‘ genannt wird. Über diese kurze Zeit könnte ich drei Bücher schreiben, zwei davon wären Albtraum-Bücher.“ Danach siedelte sie in den Westen über, verliebte sich im Ruhrgebiet und blieb einfach da. Wohnsitz in Bochum, Atelier in der Joseph-Beuys-Stadt Düsseldorf.
Immerhin hat es die 1970 Geborene auch durch die Zeit bei People’s Daily geschafft, sich den Nonkonformismus zu bewahren, mit dem sie schon im Kindergarten angeeckt ist: „Mit fünf Jahren hat meine Mutter mich zu Hause eingesperrt, und ich habe den ganzen Boden mit Kreide bemalt.“ Ein Student, der während der Kulturrevolution als Teil der „intellektuellen Jugend“ in ihr Dorf in Nordchina geschickt wurde, entdeckte später ihr Talent. Heute ist er Professor für Malerei in Shenyang.
Jiny Lan bezeichnet sich als Malerin, obwohl sie auch mit Performances, Installationen oder Video arbeitet. Es ist ein politisches Statement, ihre Form einer neuen, feministischen Geschichtsschreibung, ihre Antwort auf den deutschen Maler Georg Baselitz, der in Interviews mehrfach gesagt hat: Frauen können nicht malen. Als Beweis dafür führt er einen Kunstmarkt an, auf dem Gemälde von Männern höher gehandelt werden.
Hang zum Krieger-Outfit
Für Jiny Lan, die 2012 das erste feministische Künstlerinnen-Kollektiv Chinas „Bald Girls“ gegründet hat, ist dieser Kunstmarkt ein undurchschaubarer Wahnsinn. Dass Gemälde von Männern höher im Kurs stehen, habe vor allem mit der längeren Geschichte dieser Kunstform zu tun, Zeiten, in denen Frauen nicht an Kunstakademien durften. „Aber ich kann nicht in die Geschichte gehen und sie verändern, ich kann nur jetzt zeigen, dass ich eine gute Malerin bin.“
In der Oberhausener Schau „Meisterwerke“ zeigt sie das mit großformatigen Porträts berühmter deutscher Künstler. Schon als Kind konnte sie Menschen wiedererkennbar porträtieren, in ihren ersten Ruhrgebietsjahren hielt sie sich als Porträtmalerin auf der Kirmes über Wasser. „Wenn ich einmal richtig berühmt werde, werden viele Arbeiterfamilien mein Glück teilen, die Originale von mir zu Hause haben“, sagt sie und lacht. Aus der Kirmes-Zeit stammt auch ihr Hang zum kriegerischen Outfit: „Tarantino hat die Menschen glauben lassen, dass kleine Asiatinnen sehr stark sein können. Seit ich diese Sachen trage, werde ich mit Respekt behandelt.“
Ihre „Meisterwerke“ sind beeindruckende, wild-wuchtige Mischungen aus Realität und Traumbildern. Sie sind Hommage und politisches Statement, ein Spiel mit chinesischen und europäischen Maltraditionen.
Und die Malerin hat keinerlei Berührungsangst: Einmal hat sie Angela Merkel im Stile chinesischer Kaiser porträtiert, erworben hat das Gemälde Christian Lindner für sein Büro. In der aktuellen Schau lässt sie Georg Baselitz nackt einen Wasserfall hinunterstürzen. Seinem Ausspruch „Frauen malen nicht so gut – das ist ein Fakt“ setzt sie so einen anderen Fakt entgegen: „Wasser fließt nach unten.“ Auf einem anderen Bild schweben sich überlagernde Gesichter Gerhard Richters über jubelnden und mit Geldscheinen winkenden Anhängern.
Weniger leicht zu entschlüsseln ist ihr Porträt Anselm Kiefers, der mit einem schwarzen Tuch verschmilzt, das vor den Reichstag gespannt ist. An der Stelle seines Geschlechts schaut ein Adlerschnabel hervor. „Anselm Kiefer hat in den 1960er Jahren für die wichtige Aufarbeitung deutscher Geschichte gesorgt. Heute bezeichnet er es als ‚Vergewaltigung‘, wenn chinesische Kunstsammler ohne seine Erlaubnis teuer erworbene Werke von ihm ausstellen. Ich sage: Nein, damit hat er eine wirkliche Vergewaltigung verharmlost.“
Eine kritische Hommage ist ihr Porträt des Künstlers, den sie wohl am meisten verehrt: Joseph Beuys. Er hängt kopfüber an einem rissigen Seil über Statuen. „Beuys war immer gegen die Autoritäten und Bürokratie. Aber seine Schüler treten heute autoritär auf und behaupten: Wir verstehen Beuys besser als andere. Was ist, wenn sein Bild in der Öffentlichkeit fällt, sein Mythos demontiert wird?“
Wie Beuys steht Jiny Lan für das nicht abgeschlossene Kunstwerk. Ihre „Meisterwerke“ sind oft Übermalungen. Die Bilder, die es durch die Selbstzensur der Häuser schaffen, wandern als Kopien in noch monumentalerer Größe an chinesische Museen. Einige werden bald in der Biblioteca Marciana in Venedig ausgestellt. Für eine Schau in Brasilien wird sie ihre Porträts zerteilen und als Puzzle ausstellen. Und in Oberhausen hat sie unlängst ein neues Porträt vor Publikum gefertigt, dafür wird ein anderes abgehängt. „In Zeiten des Fake-News-Vorwurfs male ich gern vor Zeugen.“
Bis 22. September, Ludwiggalerie, Oberhausen
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