: Heilwasser statt täglicher Tablette
Von den 35 deutschen Heilwasser-Quellen liegen zwei in Niedersachsen: Bad Pyrmont und Rinteln. Heilwasser muss nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen werden. So manches potenzielle Heilwasser wird deshalb einfach als Mineralwasser vermarktet
Von Katharina Gebauer
Wasser kann Wunder wirken: Sogenannte Heilwässer können Sodbrennen stoppen, Osteoporose vorbeugen und Nährstoffmängel vermeiden. 35 Heilwässer in Deutschland sind offiziell von der Bundesarzneimittelbehörde (Bfarm) als Arzneimittel anerkannt und zugelassen. Zwei dieser Quellen sprudeln in Niedersachsen: das Bad Pyrmonter Natürliche Heilwasser und die Naturella-Heilquelle in Rinteln.
„Abgefüllte Heilwässer sind als Arzneimittel anzusehen“, sagt Anja Kremzow, Pressesprecherin des Bfarm. Wie Natürliches Mineralwasser entstammt es unterirdischen Wasservorkommen: „Vom Ursprung her sind Mineralwässer und Heilwässer gleich“, sagt Corinna Dürr, Oecotrophologin und Fachfrau für das Thema Heilwasser beim Verband Deutscher Heilbrunnen. „Sie kommen aus tiefen Gesteinsschichten und werden unverfälscht abgefüllt.“ Um aber als Arzneimittel zugelassen zu werden, müssen Heilwasser im Gegensatz zu Mineralwässern nachweislich heilend, lindernd oder vorbeugend wirken. Sie zählen nicht zu den Lebensmitteln, sondern unterliegen dem Arzneimittelgesetz.
Die hoch mineralisierten Wässer nehmen als sickerndes Regenwasser während ihres jahrzehntelangen Weges durch das Gestein bestimmte Mineralstoffe auf. Unterschiedliche geologische Bedingungen bedingen die verschiedenen Leitinhaltsstoffe: „In Vulkangestein etwa treten vermehrt Gase aus, wodurch mehr Kohlensäure ins Wasser gelangt“, erläutert Dürr. „Und je mehr Kohlensäure, desto mehr Mineralien werden herausgelöst.“
Um gesundheitliche Wirkungen nachgewiesen zu bekommen, müssen von gewissen Mineralien Mindestmengen im Wasser vorhanden sein. Dabei hat jedes Heilwasser seine eigene Zusammensetzung von Mineralien und Spurenelementen. Das Wasser aus der Naturella-Waldquelle des Getränkeherstellers Riha Wesergold im Landkreis Schaumburg hat einen Calcium(Ca²[+])-Gehalt, der mehr als 250 Milligramm pro Liter beträgt. Riha Wesergold vermarktet das Heilwasser allerdings nicht mehr als solches – sondern nur noch als Mineralwasser.
Gleiches gilt für das Bad Pyrmonter Natürliche Heilwasser der Bad Pyrmonter Mineral- und Heilquellen. Dieses hat einen erhöhten Kohlendioxidgehalt, der zwischen 1.000 und 2.000 Milligramm pro Liter liegt. Damit sind die norddeutschen Heilwasser zwei der wenigen, die nur lediglich einen Mineralstoff in erhöhter Wirkmenge aufweisen.
Alle Mineralstoffe und Spurenelemente sind im Heilwasser bereits in gelöster Form vorhanden. Der Körper kann sie dadurch besonders gut aufnehmen und direkt verwerten. So kann die hohe Ca[2+]-Menge im Rintelner Heilwasser etwa einen Calciummangel beheben und Osteoporose vorbeugen, denn der Wirkstoff ist wichtig für gesunde und stabile Knochen. Auch Harnwegsinfekte und Harnsteine können damit vermieden werden. Calcium beugt außerdem Entzündungen vor.
„Klassische Nahrungsmittel zur Calciumzufuhr sind Milch und Milchprodukte“, sagt Dürr. „Laktoseintolerante Menschen, die Milch nicht vertragen, und Veganer*innen können ihren Bedarf auch sehr leicht durch ein Heilwasser mit einer erhöhten Calciummenge decken“, sagt sie. Dazu gehören neben der Naturella-Waldquelle 23 weitere Heilwasser der insgesamt 35. Aus dem Wasser aufgenommen, kann der Organismus Calcium mindestens genauso gut wie durch den Verzehr von Milch verwerten, teilweise sogar besser. Mehrere Studien, die die Bioverfügbarkeit von Calcium aus Wasser mit der aus Milch oder Milchprodukten verglichen, kamen zu diesem Schluss.
Weitere wichtige Mineralstoffen in anderen Heilwässern sind Magnesium (Mg[2+]), Fluor (F[+]), Sulfat (SO4[2-]), Hydrogencarbonat (HCO[3−]), Natrium (Na) und Kohlendioxid (CO2), das bei der Reaktion mit Wasser zu Kohlensäure wird, sowie weitere Spurenelemente.
Hydrogencarbonat als ein weiterer Mineralstoff neben Calcium etwa kann Säuren neutralisieren. Corinna Dürr erklärt, warum: „Hydrogencarbonat ist eine Base. Der Körper kann es auch selbst produzieren, es puffert Säuren. Dadurch wirkt der Mineralstoff unterstützend.“ Die Wirkung ist laut Dürr dabei genauso gut wie die der handelsüblichen Säureblocker, der sogenannten Antazida. Sie neutralisieren den pH-Wert im Magen und helfen so bei Sodbrennen oder Verdauungsstörungen. „Sodbrennen kann jeder einfach wegtrinken“, behauptet Dürr.
Zu einer Zulassung als Heilwasser gehören auch regelmäßige Qualitätskontrollen: Das beinhaltet eine Vollanalyse aller mineralischen Inhaltsstoffe und tägliche Untersuchungen durch eine für die Arzneimittelprüfung qualifizierte Person. Diese, meist ein Arzt oder Apotheker, stellt sicher, dass das Heilwasser nach Vorschrift abgefüllt, geprüft, gekennzeichnet und gelagert wird.
Das abgefüllte Heilwasser muss genauso ursprünglich und wertvoll wie die Heilquelle sein: „Es dürfen nur wenige Bestandteile hinzugefügt oder entzogen werden“, sagt Dürr. „Dazu gehört die Veränderung der Kohlensäurekonzentration oder Eisen.“ Durch Eisen entstehen Ablagerungen. Das mache gesundheitlich zwar nichts aus, störe aber die Konsumenten.
Aufgrund der strengen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes ist der Weg zur Heilwasserzulassung nicht einfach. „Die ganze Produktion hat durch die Zulassung viel mehr Anforderungen zu erfüllen und ist viel aufwendiger“, sagt Dürr. Beim letzten zugelassenen Heilwasser, dem Gerolsteiner Heilwasser, habe das Verfahren zwei bis drei Jahre gedauert. Die Firma Gerolsteiner Brunnen vermarktet bereits mit St. Gero ein Heilwasser. Wegen der aufwendigen Zulassung sind Mineralwässer auf dem Markt, die nach den Mengen ihrer Inhaltsstoffe Heilwässer sein könnten, für die aber nie die Zulassung beantragt wurde.
Eine Falschinformation sei, dass man die wirksamen Wässer nur schluckweise trinken solle. „Das stimmt nicht“, sagt Dürr. „Man kann Heilwasser in großen Mengen trinken und so gleichzeitig seinen Tagesbedarf an Flüssigkeit decken.“ Vielen würde es leichter fallen, zusätzliche Mineralien durch Wasser zu sich zu nehmen, als täglich an seine Supplemente etwa in Tablettenform zu denken.
Gerade bei Übergewicht sei das ein leichter Weg, um kalorienarm zusätzliche Mineralstoffe zu sich zu nehmen. „Heutzutage hat Heilwasser absolut nichts mehr mit Esoterik zu tun, sonst gäbe es keine Zulassung durch die Bfarm“, sagt Dürr. Dennoch würden Heilwässer eher von Ernährungsberatern als von Ärzten empfohlen. Bei vielen seien deren Vorzüge „einfach noch nicht angekommen“, sagt Dürr.
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