: Japan in der Täterrolle
Ein kleines Museum in Tokio widerlegt das offizielle Geschichtsbild, das das Land während des Zweiten Weltkrieges nur in der Opferrolle beschreibt
AUS TOKIO MARCO KAUFFMANN
Wer ein japanisches Geschichtsmuseum besuche, dem werde vorgeführt, wie das Land unter dem 2. Weltkrieg gelitten habe, sagt Rumiko Nishino, Direktorin des „Kriegs- und Friedensmuseums aktiver Frauen“. Die Eröffnung der Ausstellung wurde bewusst auf den heutigen Gedenktag des Kriegsendes vor 60 Jahren terminiert und zeigt Japan in der Täterrolle: Wie japanische Besatzungstruppen in Asien hunderttausende Frauen verschleppten und in Armeebordellen vergewaltigten. Die Sexsklavinnen, beschönigend „Comfort Women“ genannt, sollten die Truppenmoral der kaiserlichen Armee stärken.
Auf Schautafeln werden Einzelschicksale nacherzählt, von Frauen aus Korea, China, Indonesien, Taiwan, Malaysia und Osttimor. Man findet Geständnisse von japanischen Veteranen, die bezeugen, dass sie Frauen misshandelten und Dokumente aus staatlichen Archiven, so etwa die Aussage eines Premierministers, der sich damit gebrüstet hatte, das System der Armeebordelle erfunden zu haben. Die Besucher können durch verschiedene Jahrgänge zeitgenössischer japanischer Schulbücher blättern und sehen, wie der Aufarbeitung dieses Themas immer weniger Platz eingeräumt wird.
„Wir sind das erste Museum Japans, das die Aggressionen, die von unserem Land ausgingen, ausführlich dokumentiert“ , sagt die 43-jährige Direktorin. In der Ausstellung nicht ausgeklammert wird die Verantwortung von Kaiser Hirohito – in Japan auch 16 Jahre nach seinem Tod ein Tabuthema. „Er war der Oberkommandierende – er muss vom System der Comfort Women gewusst haben.“ Nishino springt vom Stuhl auf, holt in der Bibliothek des Museums ein mehrere Zentimeter dickes Heft. „Völkerrechtsexperten aus fünf Kontinenten kamen zum Schluss, dass Kaiser Hirohito für die Versklavung der Frauen Mitverantwortung trägt.“ Nishino hält das Urteil des inoffiziellen Kriegsverbrechertribunals in den Händen, das Nichtregierungsorganisationen im Jahr 2000 zum Thema „Comfort Women“ organisierten. Das Urteil hat keine juristische, sondern symbolische Kraft.
Eine der Initiatorinnen des Kriegsverbrechertribunals regte das Museum an, das mit privaten Spenden finanziert wird. Haben nun Private ein Museum auf die Beine gestellt, das ihrer Ansicht nach der japanische Staat hätte bauen sollen? „Wir haben die Behörden zu einer selbstkritischen Aufarbeitung der Geschichte gedrängt“, so Nishino. „Es hat nicht funktioniert.“ Die Regierung stecke Millionen von Yen in Museen, die Japan einzig aus der Opferperspektive zeigten. „Wenn wir so weitermachen, werden wir mit den asiatischen Nachbarn nie zu einer Verständigung kommen.“
Das kleine Museum im Nordosten Tokios besteht aus einem großen Raum, der mit Stellwänden unterteilt sind. Es sind bislang nicht mehr als 20 Personen, die pro Tag das am 1. August eröffnete Museum besuchen. Die Direktorin beklagt sich über das Schweigen der japanischen Medien. Sie erinnert an das Tribunal vor fünf Jahren: „Damals berichteten Medien aus aller Welt, Japans Medien ignorierten uns.“ Das wiederhole sich nun.
Aufmerksam geworden auf die Ausstellung sind Japans Rechtsextreme. Mitglieder einer nationalistischen Jugendgruppe hätten mehrmals das Museum inspiziert. „Sie machten keinen Radau“, erzählt Nishino, „vielleicht müssen sie für ihre Chefs Bericht erstatten.“ In nationalistischen Blogger-Milieu wird gehetzt: „Weg mit dem Museum!“ Sie betrachten die kritische Geschichtsschau als Besudelung der nationalen Ehre. Nishino sagt zwar, sie fürchte sich nicht vor den Rechtsradikalen, doch schläft sich aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu Hause.
Ein Rentner, der an diesem Nachmittag das Museum besucht, zieht ein Billett vom Museum des Yasukuni-Schrein aus der Tasche, das er davor besichtigte. „Ich wollte beide Seiten sehen.“ In der umstrittenen Gedenkstätte im Zentrum Tokio werden auch Kriegsverbrecher verehrt. Das Museum auf dem Schreingelände ist ein Musterbeispiel, für die verharmlosende Darstellung der japanischen Kriegsgeschichte Welcher Darstellung gibt der 70-Jährige nun den Vorzug? „Beide haben ihre Berechtigung“, meint er. Mit ihrem Sohn besucht eine Lehrerin aus Tokio das neue Museum, „um mein Wissen aufzufrischen“. Sie erzählt, es sei heikel das Thema „Trostfrauen“ zu unterrichten. Sie kenne Kolleginnen, die Schwierigkeiten mit den Schulbehörden hätten.
Rumiko Nishino, die Museumsdirektorin, verströmt Optimismus für die Zukunft. Die Mehrheit der Bevölkerung sei im Unterschied zu den Politikern zu einer kritischen Aufarbeitung der Geschichte bereit, glaubt sie.
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