Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Wer kann sich Mobilität in der Stadt überhaupt in Zukunft noch leisten?
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Ein Auto habe ich nicht, ich fahre nur ungern mit dem Fahrrad, ich bin ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Ich habe eine Monatskarte, und ich finde, dass die Stadt Hamburg ein vorbildlich ausgebautes öffentliches Nahverkehrsnetz hat. Es gibt Bauarbeiten und gesperrte Strecken, Verspätungen und volle Abteile, es gibt stinkende, pöbelnde Menschen, aber das alles stört mich nicht so sehr, es gehört stetig verbessert, aber es ist auch das Leben.
Mit dem Leben, mit dem man in öffentlichen Verkehrsmitteln auf besonders intensive Weise in Berührung kommt, komme ich meistens zurecht. Ich habe von Leuten gehört, dass sie auch Auto fahren, weil sie diese Nähe ablehnen. Das kann ich zwar verstehen, aber ich halte Menschen, die aus solchen Gründen mit ihrem Auto meine Luft verpesten, – die einem Problem ausweichen, um ein anderes und eigentlich viel substanzielleres Problem herzustellen – , für selbst alles andere als sozial verträglich. Welcher Gestank ist schlimmer, der menschliche oder der gesundheitsschädliche?
Es hat in meiner Familie jedes Mitglied ständig wiederkehrende Atemwegsbeschwerden. Als wir im diesjährigen Urlaub in den Alpen waren, verschwanden bei jedem von uns nach wenigen Tagen diese Beschwerden. Kaum zurückgekehrt, sind sie wieder da. Wir wohnen nahe der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße, in Hochsommertagen werden die Menschen an diesen Straßen langsam vergiftet. Aber gibt es nicht gute Möglichkeiten, städtische Bewegungen zu regulieren, sodass die Menschen in diesen Städten besser, gesünder und weniger gefährlich leben können?
Nahverkehr ist eine Möglichkeit, Fahrrad ist eine Möglichkeit, selbst Elektroroller sind eine kleine Möglichkeit, die Umstände zu verbessern. Gestern Nacht sah ich drei dieser Roller still die Straße entlangsummen, und da dachte ich das erste Mal, wie angenehm es ist, dass es drei Roller sind und nicht drei Autos. Ich werde oft nachts wach, weil Autos vor meinem Schlafzimmer abfahren oder anfahren, weil die Motoren heulen, weil jemand die Wagentüren zuknallt. Ich wünschte, es lägen, statt der paar Autos, die dort parken, Roller, wegen mir auch kreuz und quer, herum. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Kombination aus öffentlichem Nahverkehr und Roller ein Auto vollkommen ersetzen könnte. Wie schön leise es wäre, wie beruhigt die Stadt wäre. Eine Zukunftsvision.
Ärgerlich ist, dass der HVV schon wieder über eine Preiserhöhung nachdenkt. Jedes Jahr wird die Karte teurer. Die Inflation, die höheren Kosten, so wird es begründet, so ist es wohl, aber ich, zum Beispiel, verdiene nicht jährlich mehr Geld. Wer einen gutbezahlten Job hat, regelmäßig sein Gehalt nach oben angepasst kriegt, dem ist das wohl egal, da gehen Gehaltserhöhung und Preisanpassung, wie es heißt, parallel. Aber ich kenne sehr viele Leute, die seit vielen Jahren, im freiberuflichen Bereich, eben nicht mehr Geld verdienen, und auch für den normalen Angestellten erhöht sich doch nicht jährlich das Gehalt, das ist einfach nicht die Regel, trotz Inflation, der HVV aber zieht jedes Jahr die Preise an.
Wir haben einen Mindestlohn von € 9,19. Die Einzelfahrt zwei Ringe kostet in Hamburg € 3,30. In welchem Verhältnis steht das? Wie teuer darf Bahnfahren sein? Wer kann sich Mobilität in der Stadt überhaupt in Zukunft noch leisten? Und das ist doch jetzt schon die Frage. Manche Familien können einfach nicht am Samstag mal eben wohin fahren.
Was ist also die Lösung? Der Nahverkehr muss günstig werden, sehr günstig, kostenlos. Die Stadt muss es als eine der wichtigsten Aufgaben ansehen, den Nahverkehr so leistungsfähig und attraktiv zu machen, dass Autos aus unseren Städten verschwinden, und auch der Lieferverkehr muss zeitlich begrenzt werden. Für eine menschenfreundliche, gesunde Umwelt. Wo nicht Kinder totgefahren werden, weil sie „nicht aufgepasst“ haben. Wo sie nicht mehr ständig aufpassen müssen.
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