heute in hamburg: „Direkt mit dem Leben konfrontiert“
Filmvorführung „Reiss Aus“ und Gespräch mit Protagonist*innen Lena Wendt und Ulrich Stirnat: 21.45 Uhr, Open-Air-Kino im Schanzenpark, Sternschanze 1
Interview Inga Kemper
taz: Frau Wendt, Sie und ihr Freund hatten gute Jobs in Hamburg. Wieso haben Sie alles hingeschmissen, um durch Afrika zu reisen?
Lena Wendt: Ulli hatte einen Burnout und ich war schon immer viel mit dem Rucksack unterwegs. Als Ulli eine Therapie gemacht hat, um die Depression aufzuarbeiten, hat er entschieden, zu kündigen. Dann meinte ich: „Lass uns mal reisen gehen“, weil ich den Traum hatte, die westafrikanische Küste bis Südafrika mit dem eigenen Auto zu bereisen.
Haben Sie von Beginn an geplant, einen Film daraus zu machen?
Nee, gar nicht. Weil Ullis Familie sich so viele Sorgen gemacht hat, haben wir versprochen, einen Blog zu machen. Daraus wurde ziemlich schnell ein Videoblog für den ich an Ullis altem Laptop geschnitten habe, um allen daheim ohne Worte zu zeigen, wie sich Marokko, Burkina Faso, Mali, all die Ländern anfühlen.
Gab es Momente, in denen Sie sich für Ihre Privilegien als reiche Europäer geschämt haben?
Ich bin dankbar dafür, in einem Land geboren zu sein, in dem Frieden herrscht, und einen Reisepass zu haben, der mir erlaubt in fast alle Länder der Welt zu reisen. Und ja, das würde ich mir von Herzen für alle wünschen. Solange das nicht zutrifft, habe ich das Tauschen für mich entdeckt. Ich tausche gern alles, was ich kann, mit jedem, der Lust hat, ohne Scham und auf Augenhöhe.
Wie sah Ihr Alltag während der Afrikareise aus?
Lena Wendt, 34, ist Autorin und Fotografin und reiste mit ihrem Freund zwei Jahre im Auto durch Afrika.
Jeder Tag war anders. Wir sind in jedem Land so lange geblieben, wie das Visum es uns erlaubt hat. Wir haben auch ganz viel in Dörfern mit den Leuten gelebt. Unterwegs gab es eine klare Arbeitsverteilung: Ulli repariert das Auto, ich lerne schon mal alle kennen und koche. Es gab super lange Fahrtage, weil du für 200 Kilometer gut acht Stunden brauchen kannst. Auf keinem anderen Kontinent waren die Unterschiede für mich so extrem wie auf dem afrikanischen. Du bist so direkt mit Leben konfrontiert. Du kriegst große Freude nicht, ohne vielleicht schon im nächsten Moment tiefe Trauer oder Betroffenheit zu spüren.
Ist es das Gefühl des „intensiven Erlebens“, was Sie hier in Deutschland vermissen?
Ich habe mir das bewahrt. Ich meditiere jeden Tag mehrfach, tanze, laufe barfuß, lache einfach ganz viel und das ist für mich das größte zwischenmenschliche Geheimnis.
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