… DIE LIEBIGSTRASSE 14?: Weiterkämpfen
Eines muss man den einstigen Bewohnern der Liebigstraße 14 lassen: Stets verstanden sie es, sich zu inszenieren. Erinnert sei an das fulminante bengalische Feuer, das entzündet wurde, wenn Demonstrationszüge das Haus passierten. Vermummte standen fackelschwenkend auf dem Dach, ihre Konturen zeichneten sich vor dem Abendhimmel ab. Durchhalteparolen, kämpferische Lieder und das Knattern der Polizeihubschrauber rundeten das Bild ab.
Demonstrationen für den Erhalt des Hausprojekts gab es viele. Längst nicht alle blieben friedlich. Den Kapitalisten im Kampf gegen Gentrifizierung die Zähne zeigen – das gehörte zur Inszenierung. Auch am 2. Februar 2011, als 3.800 Polizisten anrückten, um das Haus zu räumen. Im Morgengrauen setzten sie den Rammbock auf die verbarrikierte Haustür an. Da schallte durch die Straßenschluchten das Mundharmonika-Motiv aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Was für eine Dramaturgie!
Das Haus ist verloren, aber die Liebigleute kämpfen weiter – inzwischen auch auf juristischem Parkett. Ihre Anwälte hatten versucht, die Räumung gerichtlich zu stoppen, weil gegen den Hausverein Liebig 14 e. V. kein Räumungstitel vorlag. Dabei beriefen sie sich auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Aber das Berliner Amtsgericht und das Landgericht wiesen das Ansinnen ab. Auch vor dem Verfassungsgericht konnte sich der Verein kein Gehör verschaffen. Seine Verfassungsbeschwerde wurde ohne Begründung als unzulässig abgewiesen.
Hat doch eh keinen Sinn mehr weiterzubohren, würden andere sagen. Nicht so die Liebigs. Sie wollen ihr Recht. Jetzt sind sie zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Ihr Rechtsanwalt Max Althoff hat die Unterlagen am Freitag persönlich in Straßburg abgegeben. Ziel der Beschwerde: Das Gericht soll feststellen, dass dem Verein Liebig 14 e. V. von den Berliner Gerichten ein faires Verfahren verwehrt wurde.
Bis zu einer Entscheidung könne ein Jahr vergehen, sagte Althoffs Kanzleipartner Michael De Saavedra-Mai. Es gehe sozusagen um den Blick von außen. „Dass die Rechtslage politisch unverfärbt erkannt wird: Diese Räumung war rechtswidrig.“ Das nennt man einen langen Atem haben. PLU
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