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Rollstuhlfahrende auf dem SchlagermoveEin Stück vom Spaß

Dieses Jahr fährt ein Wagen für Rollstuhlfahrende beim Schlagermove mit. Ein wichtiges Zeichen, findet Dirk Rosenkranz von der Muskelschwund-Hilfe.

Schlagermove: Aus der Menschenmenge heraus ist im Sitzen nicht viel zu sehen Foto: dpa

Hamburg taz | Erstmals wird ein Truck für Rollstuhlfahrende beim Hamburger Schlagermove mitfahren. Die seit vielen Jahren umstrittene Party-Parade in Sankt Pauli findet dieses Wochenende statt und will sich für Inklusion stark machen. 2018 geriet das „Festival der Liebe“ in die Kritik und es wurde über eine Verlegung diskutiert. Hauptsächlich Anwohner und Anwohnerinnen fordern das Aus des Straßenfestes.

Der Initiator des Inklusionsprojekts, Peter Sebastian, ist selbst Schlagersänger und Produzent – und ein langjähriger Entertainer des Schlagermoves. Er sei öfters mit Teilnehmenden im Rollstuhl ins Gespräch gekommen, die sich über eine erschwerte Teilnahme beklagten. So kam die Idee letztes Jahr zustande.

Der Umzug war eigentlich bereits ausgebucht und alle Startnummern vergeben. Nur eine begrenzte Anzahl von Wagen darf jedes Jahr teilnehmen. Frank Klingner, Organisator des Schlagermoves, war jedoch angetan von Sebastians Idee und verwirklichte sie. Dem Inklusions-Truck, wie er von den Organisatoren genannt wird, wurde die Wagennummer 23a verliehen.

Die größte Hürde war die Prüfung beim TÜV, denn die LKW unterliegen strikten Sicherheitsbestimmungen. „Wir mussten den Wagen um einiges umbauen. Um für Rollstuhlfahrende zugänglich zu sein, mussten wir eine Rampe und tiefere Absperrgitter einbauen, damit sie vom Wagen auch etwas vom Zug sehen können“, sagt Sebastian.

Der Schlagermove ist ...

alt: Es gibt ihn seit 1997.

ein Hühnerstall: 400.000 Besucher*innen kamen 2018.

dreckig: Er hinterlässt Müll.

besoffen: Anwohner*innen kritisieren respektloses Verhalten.

bald weg? Eine Verlegung wurde andiskutiert.

Dirk Rosenkranz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Muskelschwund-Hilfe, koordiniert das Projekt. Er ist selbst betroffen und nimmt zum ersten Mal am Schlagermove teil – zusammen mit den anderen sieben Rollstuhlfahrenden und ihren Angehörigen. „Das lasse ich mir nicht entgehen“, freut er sich. Ohne solch einen Wagen mache die Teilhabe für eingeschränkte Menschen einfach keinen Spaß. „Man sitzt auf Hinternhöhe und sieht nicht viel“, sagt Rosenkranz.

Die Nachfrage sei enorm gewesen und die Plätze in kürzester Zeit vergeben. Interessenten mussten sich mit einem kurzen Motivationsschreiben bewerben. Zuletzt entschied ein Arbeitskreis der Muskelschwund-Hilfe über die Zulassung. An Bord steht den Mitfahrenden sogar eine Toilette zur Verfügung. Eine Betreuung gibt es auch.

„Das ist gelebte Inklusion“, findet Rosenkranz. „Das ist Spaß mittendrin, ganz normal und auf Augenhöhe.“ Mit dem Truck für Rollstuhlfahrende setze der Schlagermove ein wichtiges Zeichen für Inklusion. Das sei in Deutschland längst noch keine Selbstverständlichkeit.

Dabei hat Deutschland 2007 die UN-Behindertenrechts-Konvention ratifiziert. Vor zehn Jahren trat das entsprechende Gesetz in Kraft. Trotzdem sei die Konvention nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt worden, sagt Rosenkranz.

Die Inklusion beim Schlagermove wird durch Spendengelder finanziert. Sebastian veranstaltete eine Freundschaftsbändchen-Aktion, um Menschen auf die Initiative aufmerksam zu machen. Das übrig bleibende Geld wird zugunsten unfallgeschädigter Kinder gespendet. Obwohl der bunte Umzug so umstritten ist, steht er weiterhin unter der Schirmherrschaft der Behörde für Inneres und Sport, die die inklusive Initiative ebenfalls unterstützt.

Sebastian und Rosenkranz hoffen, dass ihr Projekt der Auftakt ist für mehr Rollstuhlfahrenden-Plätze auf dem Schlagermove. „Unser Truck soll ein Vorbild sein“, sagt Rosenkranz.

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